(uh) Die Grünen sind mit sich geschlagen. Ihren Flügeln fehlt der Rumpf. Vor der Wahl erklärten sie, sie wollten regieren. Nach der Wahl gestehen sie, regierungsunfähig zu sein. Vor der Wahl ketteten sie sich an die SPD. Nach der Wahl zeigt sich: Sie sind sogar geknebelt. Die Sondierungsgespräche mit der Union gerieten zum Offenbarungseid. Seit die Grünen 2005 aus der Regierung gewählt wurden, ist die Partei zunehmend verkümmert.

Generationswechsel blockiert

Kommt eine große Koalition zustande, werden die Grünen bis 2017 zwölf Jahre lang in der Opposition gesessen haben. Diese riesige Gestaltungspause haben sie jener Garde zu verdanken, die in der Ära Schröder in Amt und Würden kam und es nach deren Ende nicht über sich brachte, abzutreten.

Die Trittins und Künasts, Höhns, Becks und Roths saugten sich in der Opposition an Fraktionsmandaten und Parteifunktionen fest. Fehler und Versäumnisse aus der Regierungszeit wurden nicht aufgearbeitet, Inhalte und Personal nicht erneuert – 2005 nicht, 2009 nicht. Wenn es die Grünen 2013 nicht schaffen, die alte Garde zu entmachten, werden sie 2017 vor noch größeren Problemen stehen als heute.

Die überständigen Versager haben nicht nur drei Wahlniederlagen zu verantworten. Sie blockieren seit langem den Generationswechsel in Partei und Fraktion. Politiker wie Trittin, Künast und Roth haben beweisen, dass sie unfähig sind, die Partei zum Erfolg zu führen. Wie kann sie diese Riege von Gescheiterten in Sondierungsgespräche schicken?

Regeneration stockt

Spätestens 2009 hätten die Grünen aufräumen müssen. Seit Fischer privatisiert, fehlt der Partei der strategische Kopf. Trittin ist in dieser Rolle überfordert. Sein Versuch, die Grünen zur Premium-SPD zu toupieren, ist der Partei nicht bekommen. Sein Bemühen, Rot-Grün im Wahlkampf gegen alle Evidenz als Machtoption darzustellen, machte sie lächerlich.

Die Grünen hätten ihm und manchem anderen rechtzeitig das Handwerk legen müssen. Stattdessen wurstelte sich die 2005 abgewählte Parteielite durch eine Legislaturperiode nach der anderen, weil sie von Parteiposten und Mandaten nicht lassen mochten. Dass Claudia Roth – kaum als Parteichefin zurückgetreten – immer noch nicht Ruhe geben kann und nach dem Pöstchen des Vize-Bundestagspräsidenten greift, spricht Bände.

Seit der Berlin-Wahl, bei der sich Künast entzauberte, kann niemand bei den Grünen mehr übersehen, dass sich die Partei an Haupt und Gliedern modernisieren muss. Die Regeneration stockt seit langem, weil sich keine Instanz fand, die in der Lage wäre, die Erneuerung zu erzwingen. Mancher grüne Sympathisant dürfte der Rotation nachtrauern.

Einfluss verloren

Sollte die große Koalition zustande kommen, werden die Grünen in den rot-grün regierten Ländern ihre liebe Not haben. Die Energiewende wird von Berlin aus eine Richtung einschlagen, die den Grünen in den Ländern nicht gefallen dürfte, vor allem denen in NRW nicht. Bei den NRW-Realos ist der Zorn auf den linken Flügel gewaltig.

Die Bindung an die SPD schränkte vor der Wahl den Aktionsradius der Grünen massiv ein und verändert nun nach der Wahl die Macht- und Einflussverhältnisse zu ihren Lasten. Als vierte Kraft werden sie es schwer haben, ihre Ziele zu verfolgen.

Die Spannungen in den rot-grünen Länder-Koalitionen werden zunehmen und sich verschärfen. Der unumgängliche Versuch, sich zur Union hin zu öffnen, wird die rot-grünen Bündnisse zusätzlich belasten.


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7 Comments

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  2. Gestern hat mir ein befreundeter Sozialdemokrat aus gemeinsamen rot-grünen Koalitionszeiten in NRW geklagt, wieso eigentlich die Grünen die charmanteste Machtkonstellation, die sich je einem kleinen Koalitionspartner in dieser Republik geboten hat, ausgeschlagen haben. Denn, so meinte er, Schwarz-Grün würde die SPD zwar parteipolitisch erst mal schonen, trotzdem aber über die Länderkoalitionen und den Bundesrat zur Unterstützung nötigen, wollte sie sich nicht dem Vorwurf der parteipolitischen Blockade stellen.

    Die CDU wiederum würde in einer solchen Koalition, wäre sie erst einmal im Amt, permanent unter Druck zu setzen sein, da ja die Grünen jederzeit eine Alternative hätten, die Kanzlerin abzuwählen – eine Machtfülle, von der die FDP 60 Jahre nur träumen konnte. Cem Özdemir wäre der erste Mann, der Angela Merkel das Fürchten lehren könnte. Warum man eine solche Chance ausschlage, wollte er wissen.

    Mein lieber, antwortete ich, ein solches Machtbewusstsein würde bedeuten, dass der kleine Koalitionspartner das Außen-, Innen-, Wirtschafts-, Energie-, Umwelt- und Verbraucherschutzministerium erfolgreich für sich beanspruchen und dort Grüne Politik durchsetzen würde. Außenminister Özdemir, Innenministerin Künast, Wirtschafts- und Energieministerin Britta Hasselmann und Umwelt- und Verbrauerschutzminister Hofreiter. Das halten die Grünen „Realos“ für Träumerei und die „Linken“ für unmöglich, weil sie sich nicht zutrauen, die Gesamtpolitik einer Koalition wesentlich mitzubestimmen.

    Aber, so wandte der Kollege ein, nichts anderes haben doch damals Genscher, Baum, Ertl und Friedrichs mit uns Sozis gemacht, uns ihren liberalen Stempel aufgedrückt – mit mickrigen 5,8% oder 6,4% nur.

    Ja, aber die Grünen denken anders. Die FDP hat damals gesagt, ist doch uns egal, was im Koalitionsvertrag steht, wir besetzen die für unsere Politik wichtigen Schlüsselressorts und handeln dann. Den Koalitionsvertrag machen wir dünn, beschränken uns auf Verfahren. Die Grünen schreiben wochenlang Verträge mit Hunderten von Seiten, Zielen, Daten, Gesetzen, Bundes- und Nebenstraßen. Sie glauben ans Papier und schreiben dicke Wunschzettel. Und dann werden – irgendwie am Ende der Verhandlungen – Ministerien danach verteilt, wer bei den Grünen mächtig ist. Inhaltlich ist immer Umwelt wichtig, der Rest ist beliebig. Also mal Bauen (Vesper), Justiz (Lütkes), Verbraucher (Kühnast), Gedöns (Steffens) usw. Löhrmann war die erste große Ausnahme. Dann wird losregiert, und wenn die Grünen plötzlich merken, dass der Koalitionspartner gar nicht macht, was sie gerne hätten, wird Koalitionskrise gespielt – erfolglos zumeist. Sie laufen dann der Macht hinterher, die sie am Anfang verspielt haben.

    Warum ist das so? Weil die Grünen ein verleugnendes Verhältnis zur Macht haben. Angeblich gibt’s keine, sind alle so gleich, dafür sind die informellen Machtstrukturen um so brutaler und inzwischen verkrusteter. Landesvorstände haben meist nichts zu sagen, sind den Fraktionen völlig ausgeliefert. Deshalb nimmt man ein solches Amt auch nur an, um vier Jahre später den Sprung in ein Parlament zu schaffen. Solche Strukturen befördern Mittelmaß, keine Überflieger. Bärbel Höhn hat in NRW kein Parteiamt, kann aber immer noch bestimmen, was in NRW geschieht. Der Parteirat der Grünen ist ein Gremium von Funktionären ohne Repräsentanz der Parteibasis, geschaffen, um Ruhe zu haben.
    Solange sich die Grünen nicht offen und ehrlich mit der Frage der innerparteilichen Macht und Machtbalance und echten Kontrollmechanismen befassen, werden sie in Zukunft nicht fähig sein, nach außen Macht kontrolliert zu gewinnen und auch verantwortlich zu nutzen.

  3. Bei der hier so geäußerten Kritik an den Bundes-Grünen erscheint es schwer vorstellbar, z.B. den NRW-Landes-Grünen einen anderen Status zu unterstellen als denen im Bund. Sicher liegt es an der Qualität, an der Kompetenz und der persönlichen Aufrichtigkeit, wenn Politiker nicht nur Anhänger für Lobby-Projekte suchen, sondern für durchaus vernünftige Sachpolitik einstehen.
    Die Grünen sind aber nie ohne die weit verzweigten Umwelt-Verbände und -Organisationen zu betrachten, sondern immer auch als deren politische Partei vorhanden, die eine sehr ausgeprägte Interessen-Politik in einem engagierten, aktionistischen Für und einem Anti vertritt, also eine Klientel von ideologisch geprägten Gruppen, die stets visionär statt rational unterwegs sind.
    Das ist das, was die Grünen ausmacht, da ändert Personalwechsel nichts, wenn in den Köpfen ständig der gleiche „Plumsack“ wie eh und je umgeht, ob bei dieser oder jener abstrusen Idee als Vorwand, um die Bevölkerung zu bevormunden, zu gängeln und zu bewirtschaften.
    Da hilft eher, die Mittelzuflüsse an die Grünen aus den Branchen aufzuzeigen, die von den Grünen ins Geschäft gebracht wurden, nun aber feststellen, dass mit den „Hoods von der Halde“ als grünem Nachwuchs eher Chaoten als Persönlichkeiten in der Partei kein Format besitzen.
    Das politisch Destruktive unter der medial geschönten Oberfläche der Grünen ändert sich doch nicht, ob sie nun in der Opposition oder an einer Regierung beteiligt sind, es bleibt eben das Profil der Grünen, das sie keine fröhlichen, freien Menschen mit erfolgreicher Lebensgestaltung und Zuversicht vertreten oder ertragen, weil sie selbst halt so gerne an ausgesuchten Problemen leiden, und daran sollen eben alle teilhaben.
    Probleme nicht zu verursachen, sondern zu lösen, entspricht nicht grüner Politik.
    Wenn die SPD für sich als Partei den Unterschied zum Wesen grüner Politik nicht mehr vermitteln kann, dann tut sie sich und ihren Wählern keinen Gefallen, die nach Lösungen ihrer realer Probleme suchen, wie Arbeitsplatz bedroht, ständig steigende Kosten, usw., statt grüne Visionen zu pflegen.

  4. Die Entwicklung der Grünen von einer Protestpartei zu einer ökologischen FDP war mir schon immer suspekt. Doch die Analyse: „Vor der Wahl erklärten sie, sie wollten regieren. Nach der Wahl gestehen sie, regierungsunfähig zu sein“, ist nicht nur überzogen, sondern rundweg falsch.
    Anders als die SPD buhlt und schielt sie nicht nach Ministerposten, sondern urteilt genau nach den Vorgaben, die sie vor der Wahl ihren Wählern versprochen haben.
    Die Grünen erkennen – anders als die SPD – dass notwendige Vorhaben einer nächsten Regierung, wie z. B. Mindestlohn, Finanzausstattung der Kommunen, Reichensteuer, Rechte für Lesben und Schwule, Kitaplätze, etc., mit den Unionsparteien nicht umzusetzen sind.
    Alles, was die Grünen und die SPD im Wahlkampf gefordert haben, wäre mit der Linkspartei zu verwirklichen, aber exakt mit der Partei, die dies alles ablehnt, führt die SPD Verhandlungen. Wer, außer den Seeheimern, versteht so etwas?

    Die Grünen sind nicht regierungsunfähig, sondern schließen ja eine Koalition mit der Linkspartei nicht aus. Es ist die SPD, die die gewählte linke Mehrheit ausschließt und ihre Wähler, Mitglieder und ihre Grundsätze wegen ein paar Ministerposten verrät.
    Es sind die Seeheimer Steinmeier, Gabriel, Karst, Heil und Nahles, die ihre letzte Chance noch einmal an die Futtertröge zu kommen, entgegen aller Vernunft und koste es, was es wolle, zu nutzen suchen und dem Konvent am Sonntag Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU schmackhaft machen werden.

    Da die 200 ausgesuchten Spitzenfunktionären auch ihre Pfründe nicht aufgeben wollen, steht der Ausgang dieser „Theateraufführung“ schon fest.

  5. Da würde ich doch mal zur Zurückhaltung mahnen! Die Grünen sind noch nicht ganz aus dem Spiel um die Regierungsmacht in Berlin außen vor. Denn ein Hintertürchen hat man sich ja offen gelassen, falls es mit der Großen Koalition doch nichts werden sollte. Und die CDU/CSU hat nun die Option, die SPD bei Koalitionsverhandlungen unter Druck zu setzen:

    Mindestlohn adé! Jedenfalls nicht sofort, und wenn, dann nur in eingeschränkter Form, wie es die Union gerne haben will.

    Wird sich die SPD nun wieder zum „billigen Jakob“ machen, nur um mitregieren zu dürfen? Am Katzentisch. Die Grünen stehen ja bereit und würden dann nicht mehr Nein sagen.

  6. TuxDerPinguin Reply

    Schade, dass die Grünen sich nicht mit der CDU trauen, obwohl man eigentlich für alle Probleme zufriedenstellende Kompromisse in den Gesprächen finden konnte.

    Grünen-Wähler sind jedoch sehr machtinteressiert. Die wollen auch Grünes Programm, egal in welcher Kombination, umgesetzt sehen. Der Rückzieher der Grünen Spitze wird da sicher wieder Stimmen kosten.

    „NRW-Realos“ gibts sowas überhaupt? Habe NRW immer klar als linken Flügel der Grünen gesehen… so wie BaWü eben stark „Realo“ ist…

  7. Pingback: Die Grünen vermasseln den Aufbruch | Carta

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