Deutsche Politiker zeigen seit Langem keine Lust mehr, Politik zu machen. Sie schwätzen viel über Probleme, tun aber nur wenig, um sie zu verkleinern. Dass Politiker Probleme lösen, erwartet kaum noch jemand. Schlimmer noch: Die Bürger wissen, sollten Abgeordnete in Parlamenten und Regierungen doch einmal tätig werden, heißt es, in Deckung zu gehen. Die Probleme könnten sich vergrößern.
Die Union liegt am Boden. Sie verlor bei der Bundestagswahl ihren Vorrang. Sie ist zerstritten. Beide Parteichefs sind diskreditiert. Die CSU ist inhaltlich verdorrt. Die CDU leidet unter ihrer langen Führungskrise. Der Partei fehlt die Kraft zu kämpfen. Dennoch leistet sie sich einen Richtungskampf. Der rechte Flügel will die CDU übernehmen. Ihr größter Landesverband NRW steckt in der Bredouille. Er muss ein halbes Jahr vor der NRW-Wahl im Mai seine Führungskraft Laschet gegen Wüst austauschen.
Der CDU-Vize-Vorsitzende und Gesundheitsminister Spahn droht in den Strudel des Skandals um den entlassenen „Bild“-Chefredakteur Reichelt und Springer-Chef Döpfner zu geraten. Ein Bericht des „Spiegel“ legt nahe, Spahn sei dem CDU-Kanzlerkandidaten Laschet während des Wahlkampfs in den Rücken gefallen und habe die negative Berichterstattung der „Bild“ über Laschet genährt.
Die CDU hat nicht nur die jüngste Wahl verloren. Ihrer Führungselite kam zuvor schon das Gefühl für Anstand abhanden. Es zeichnet sich ab, dass die Probleme, die zur Niederlage führten, unter den Teppich gekehrt werden. Die Union erodiert. Mehr als die Hälfte ihrer Anhänger ist auf dem Absprung. Sie würden es begrüßen, wenn Scholz Kanzler und die SPD Regierungspartei würde. Nach der Wahlniederlage ist dies die nächste Ohrfeige für die Union.
Beim Aufstieg zur CDU-Spitze hat Laschet bekannte Parteifreunde hinter sich gelassen. Nach der Niederlage der Union bei der Bundestagswahl gehen die Unterlegenen nun daran, ihn auszubooten und sich für den CDU-Vorsitz in Stellung zu bringen. Die vier apokalyptischen Reiter Merz, Röttgen, Söder und Spahn verstärken die Schwäche der Union ausgerechnet in dem Moment, in dem eine Koalition gesucht wird, die Deutschland erneuern soll.
Die SPD wurde bei der Bundestagswahl mit einem knappem Vorsprung die stärkste Partei. Drei Viertel der Wähler stimmten gegen sie. Aus diesem Resultat leitet sie den Anspruch ab, nur ihr Spitzenkandidat Scholz könne Kanzler werden. Eine Woche nach der Bundestagswahl findet diese Ansicht eine deutliche Mehrheit. Deutschland steht kopf.
Die Taliban waren tüchtig. Ruck zuck scheuchten sie den afghanischen Regierungschef ins Exil, führten die NATO vor und legten die Schwäche der westlichen Demokratien offen. Nebenbei sorgten sie auch dafür, dass sich die Bundesregierung zerlegte. Vor aller Welt wurde deutlich: Deutschland, die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt, wird nicht von tatkräftigen Politikern regiert, sondern lediglich von engstirnigen Bürokraten verwaltet.
Seit der Flüchtlingskrise 2015 bekämpfen sich die Funktionäre der Unionsparteien. Nun, drei Monate vor der Bundestagswahl, spielen sie den Wählern und Mitgliedern heile Welt vor. CDU-Chef Laschet und CSU-Chef Söder stellten gerade das Wahlprogramm ihrer Union vor. Sie nutzten den Anlass, um Einvernehmen zu demonstrieren. Die zelebrierte Verbundenheit wirkt scheinheilig.
Was macht eine Partei stark? Die Zahl ihrer Mitglieder? Ihr Wahlprogramm? Oder ihr Spitzenkandidat? Die Menge der Mitglieder kann es nicht sein. Die SPD zählt mehr als 400.000 und in Umfragen 15 Prozent. Die Grünen haben 300.000 Mitglieder weniger, aber rund fünf Prozentpunkte mehr.
Die Pandemie kommt teuer. Sie kostet viele Menschenleben und viele Milliarden. Sie vernichtet auch politisches Kapital. Sie hat die Schwächen der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse freigelegt. Viele Politiker haben sich in der Pandemie um ihren Ruf gebracht. Mancher dürfte seine Zeit hinter sich haben.