Tag

IG BCE

Browsing

Seit eineinhalb Jahren ist der SPD-Politiker Scholz als Bundeskanzler tätig. Gut ein Drittel seiner Amtszeit hat er verbraucht. Die Mehrheit der Wähler ist mit seiner Arbeit unzufrieden. Sie hat ihm, seiner Partei und der Koalition geschadet. Scholz steht im Wasser. Es steigt. Er bemüht sich, einen höheren Grund für seine Füße zu finden, und arbeitet krampfhaft daran, sein Image zu verbessern. In weiser Voraussicht hat die SPD für den Fall der Fälle längst vorgesorgt.

Wer sagt, Bundeskanzler Scholz wäre langsam? Er amtiert erst seit fünf Monaten. Doch schon ist er bei vielen Bürgern unten durch. Sie ärgern sich über sein schleppendes Regierungstempo und sein schlechtes Kommunikationsverhalten. Für jemanden, der sich mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, wie eine Schnecke zu agieren, hat Scholz seinen Ruf ziemlich flott ruiniert.

Die Abgeordneten des Bundestages stecken in Erklärungsnot. Bis 2015 konnten sie sich einreden, Deutschland wäre gut organisiert. Dieses Selbstbild erwies sich als Selbstbetrug. 2015 zeigte die Zuwanderung, dass die Verwaltung in Krisen nicht leistungsfähig ist. 2020 zeigte die Corona-Seuche, dass die Abgeordneten ihre eigenen Pandemiepläne von 2013 nicht umgesetzt hatten. Heute zeigt der Ukraine-Krieg: Die Abgeordneten haben das Land schutzlos gemacht und Putin in die Karten gespielt.

Jahrelang zogen Ex-Fraktionschef Römer und Noch-Parteichef Groschek in der NRW-SPD und der rot-grünen NRW-Koalition die Strippen. Nun sind sie ihnen entglitten. Die beiden Strategen haben es hinter sich. Sie hinterlassen einen Trümmerhaufen. Die NRW-SPD müsste sich erneuern. Doch so, wie sie sich nun aufstellt, scheint ihr für den Neubau der Mumm zu fehlen. Sie will sich offenbar lieber in den Trümmern einrichten.

Die Größe der NRW-SPD ist zur Last geworden. Sie zählt ein Viertel aller SPD-Mitglieder. Geht es ihr schlecht, liegt die ganze Partei am Boden. Heute geht es ihr miserabel. Der Niedergang ist seit 2005 sichtbar. Dennoch reagierte sie  nicht. Seit der NRW-Wahl im Mai 2017 kann sie ihren schlechten Zustand nicht mehr verdrängen. Sich zu erneuern, ist zur Existenzfrage geworden. Die NRW-SPD beantwortet sie auf ihre Art: Sie lässt sich von jenen sanieren, die sie klein gemacht haben.

Um Sigmar Gabriel muss man sich nicht sorgen. Der Ex-Ministerpräsident, Ex-SPD-Chef, Ex-Wirtschafts- und nun auch Ex-Außenminister hat die Rente durch. Zwar fallen nun der Dienstwagen und die Bezüge als Minister fort. Doch auch als schlichter Bundestagsabgeordneter muss er nicht am Hungertusch nagen. Außerdem könnten sich ihm nun neue Berufsperspektiven eröffnen.

Union und SPD haben sich bei der Sondierung zu einer großen Koalition über die Energiepolitik verständigt. Sie steht einer Koalition nicht mehr im Weg. NRW-Ministerpräsident Laschet (CDU) machte diesen Sachstand bekannt. Der Teil der SPD, der die große Koalition ablehnt, ist empört, weil Laschet die vereinbarte Verschwiegenheit brach. SPD-Fraktionschefin Nahles verschaffte der Empörung deutlich Gehör. Was soll sie auch anderes tun?

Noch ist die SPD nicht verloren. Im Landesverband NRW keimt nach der Niederlage bei der Landtagswahl das Bedürfnis, die Partei möge sich endlich ehrlich machen. Doch auf dem Wahlparteitag am Wochenende in Duisburg wurde der Wunsch nicht erfüllt. Das, was die NRW-SPD mit ihrem neuen Vorsitzenden Groschek als ersten Schritt der Erneuerung anbietet, reicht vielen Mitgliedern nicht. Vielen Anhängern und Wählern sicher auch nicht.

(uh) Bei der Bundestagswahl stellten die Wähler die SPD vor die Wahl: Sie konnte sich zwischen der große Koalition, Rot-Rot-Grün und der Opposition entscheiden. Für alle drei Positionen fanden sich Verfechter in der Partei. Zähneknirschend legte sie sich auf die große Koalition fest. Sie erschien ihr als das kleinere Übel. Nun zeigt sich dessen Ausmaß. Es ist beträchtlich.