(uh) Was ist nur mit der SPD los? Ihr Kanzlerkandidat irrlichtert, nicht durch das Verschulden der Medien und der politischen Konkurrenz, sondern durch eigenes Versagen. Dennoch wirft die Partei den Medien Kampagne-Journalismus vor. Sie verlangt, die Medien sollten endlich aufhören, über Sachverhalte zu berichten, die für Steinbrück und die SPD abträglich sind. Man könnte meinen, die SPD sehne sich nach chinesischen Zuständen.

Medienhilfe lässt nach

Der Seeheimer Kreis, der Steinbrücks Nomierung nachdrücklich gepuscht hat, ist über die Pleiten und Pannen des Kandidaten und den Unmut, den er auslöste, unter Druck geraten. Die SPD-Rechte ist es gewohnt, dass in solchen Lagen ihr verbundene Journalisten das Wort ergreifen und zu den Kritikern ein Gegengewicht bilden.

Doch diese Hilfe bleibt bisher aus. Journalisten, die als Parteigänger bekannt sind, halten sich zurück oder stimmen gar in den Chor der Kritiker ein. Steinbrücks Hantieren ist selbst mit gutem Willen nicht zu vermitteln. Wer es versuchte, geriete in Gefahr, sich zu diskreditieren.

Die Journalisten-Hilfe, auf die sich die SPD stets verlassen konnte und mit der sie in der Ära Schröder geschickt Politik machte, lässt nach. Der Generationswechsel in den Redaktionen und der Strukturwandel in der Medienbranche erschweren den Spindoktoren das Geschäft. Verlässliche journalistische Parteigänger gehen zunehmend in Pension. Der Nachwuchs ist vom Internet geprägt und schwerer auf die Parteilinie einzunorden.

Mangel an Professionalität

Und so fällt es der SPD schwer, ihre Interessen medial zu vermitteln. Die Partei wirkt wie von gestern. Schröders Spindoktor Hombach hatte so gute Medienkontakte, dass er nach seiner politischen Karriere selbst in der Branche unterkam. Er half Schröder, Kanzlerkandidat und Kanzler zu werden. Als Steinbrück seine Kandidatur antrat, hatte er nicht einmal einen Pressesprecher.

Dieser Mangel an Professionalität ist nicht nur im Umgang mit den Medien spürbar. Er findet sich auch in den politischen Aktionen der Partei. In Berlin bringt sie es fertig, sich die Verantwortung für das Flughafen-Chaos aufzuladen. Ihr Berliner Bürgermeister Wowereit tritt als Chef des Aufsichtsrates zurück, bleibt aber als Bürgermeister im Amt. Die SPD stempelt sich selbst als Steuern verschwendende Chaos-Truppe ab, nur um die Diskussion über Neuwahlen zu unterbinden. Es scheint, als könne sie nicht eng genug mit dem Flughafen-Desaster verbunden sein.

Dabei wollte Wowereit im ersten Impuls auch als Bürgermeister zurücktreten. Nun wird er mühsam im Amt gehalten. Trotzig sagt er, er laufe nicht weg. Dabei ist die Frage, ob der Schaden für den Steuerzahler größer wäre, wenn er weg liefe oder bliebe, leicht zu beantworten. Viele würden nicht verlangen, dass er liefe. Ihnen reichte es, wenn er ginge.

Etikett der Misswirtschaft

Selbst wenn er das Misstrauensvotum übersteht: Ein Triumph wird das nicht. Es wäre ein Pyrrhus-Sieg. Die SPD kann nicht ernsthaft glauben, mit Wowereit noch einmal eine Wahl zu gewinnen. Sie sollte daran gehen, einen Nachfolger auszusuchen.

Als sei der Schaden, den Wowereit anrichtete, noch nicht groß genug, lässt es die Partei zu, dass nun ihr Ministerpräsident Platzeck den Aufsichtsratsvorsitz übernimmt. Damit klebt sie sich das Etikett der Misswirtschaft endgültig und dauerhaft an. Der Schaden am Flughafen wird noch zunehmen. Er wird an Platzeck hängen bleiben. Dann ist auch er abschiedsreif.

Derweil rauscht die SPD bei Umfragen in den Keller. Vor allem im Süden, wo sie ohnehin nicht stark ist, schrumpft sie zur Kleinpartei. Panisch versucht sie, die Talfahrt mit Wahlversprechen zu stoppen, deren Kosten alle Rekorde brechen. Wohin diese Maßlosigkeit führt, ist an der FDP und ihrem Steuer-Versprechen zu studieren.

Gabriels Sympathiewerbung

Selbst die Zusage an verärgerte Mieter, nach der Wahl Mieterhöhungen zu deckeln, kann nach hinten losgehen. In NRW-Städten ist es auch die SPD, die dazu beiträgt, dass die Mieten steigen. Sozialdemokraten heben die Grundsteuer stark an. Die Steuererhöhung wird auf die Mieter umgelegt und wirkt wie eine Mieterhöhung.

Während die Partei unter den Problemen ächzt, die ihnen Steinbrück, Wowereit und Platzeck bereiten, betreibt Parteichef Gabriel überraschend Sympathiewerbung, als wäre er der Kanzlerkandidat. Medial gut beraten macht er Schlagzeilen mit einem Zeit-Interview, in dem er nach Homestory-Art von seiner schweren Kindheit und Jugend erzählt. Vielleicht sollte Gabriel seinen Spindoktor eine Zeit lang an Steinbrück ausleihen.

6 Comments

  1. Roland Appel Reply

    Armut unter Alleinerziehenden, die Farce der privaten Altersvorsorge für die vielen Scheinselbständigen und Minijobber, denen es am Notwendigsten fehlt und die niemals genug verdienen werden, um ihre Rente über Hartz-Niveau anzusparen. Die Einkommensschere, die auch Facharbeiter benachteiligt, vor allem aber berufstätige Mütter. Das von immer neuen Technikwellen strapazierte, marode und statt auf Vorbeugung auf Nachsorge ausgerichtete Gesundheitssystem. Die Bildungsmisere der nachfolgenden Generation, allen voran die der männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund, bei denen Religion, tradierte Rollenbilder und Machoverhalten nachhaltig jeglichen Zukunftschancen entgegenstehen.
    Die ökonomischen Auswirkungen des Fachkräftemangels, der Deregulierung und des Qualitätsverlusts der Hochschulbildung durch Bachelor und Master. Mehr gesellschaftliche Anerkennung der Berufserfahrung älterer Arbeitnehmer, Schaffung von Rentenanwartschaften für ehrenamtliches Engagement – Quotierung in Vorständen und Aufsichtsräten und bessere Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter. Die Abschaffung der Steuerfreiheit von Gewinnen aus Unternehmensverkäufen. Europa als solidarische Friedensmacht und nicht als Zahlstelle für marode Finanzhaie definiert..all dies wären brennende sozialdemokratische Wahlkampfthemen – neben der Energiewende, für die die Grünen stehen, ein ökonomisch-sozialer „New Deal“ wie ihn einst Präsident Roosevelt durchgesetzt hat. Das wäre geeignet, Identität zu stiften, Merkels Widersprüchlichkeit zu offenbaren, der SPD die aus dem Leib gerissene soziale Seele wieder zu geben.
    Stattdessen: Nichts, Leere, unendliche Weiten der Egomanen und Selbstdarsteller. Wie lange wollen sich das die SPD-Frauen noch mit ansehen? Wie groß ist die Leidensfähigkeit der Mitglieder angesichts des sich anbahnenden Desasters bei der Bundestagswahl? Geht es so weiter, hat Jürgen Trittin gute Chancen, auf Bundesebene unverhofft in die Fußstapfen seines Parteifreundes Kretschmann zu treten. Denn eines ist heute schon klar: Wer etwas ändern möchte, wer nicht „weiter so“ will, der muss Grüne wählen, denn die SPD macht keine Anstalten, etwas anderes zu wollen, als das, was Merkel tut. Schade. Was Herbert Wehner wohl für „diese Herren“ für einen Kraftausdruck gefunden hätte?

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  4. Ich bin weder SPD-Wähler noch Gabriel-Sympathisant. Das Interview fand ich trotzdem gut. Vor allem mutig, weil er mit solch intimen Details meiner Meinung nach seinen Gegner eventuell Munition für Tiefschläge an die Hand gibt.

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