Zum Auftakt des Bundestagswahlkampfes wurde am Sonntag in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gewählt. Interessanter als die Ergebnisse waren die Reaktionen auf sie. Wer die Auszählung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen verfolgte, konnte den Eindruck gewinnen, die Republik stünde kurz vor dem Machtwechsel. Für diesen Eindruck sorgte vor allem die SPD. Ihre Politiker, allen voran ihr Kanzlerkandidat Scholz, bemühten sich sehr, den Zuschauern potemkinsche Dörfer zu präsentieren.
Die Union sieht sich von zwei Skandalen belastet. Dabei sind es eigentlich drei. Einige ihrer Abgeordneten waren einem Diktator zu Diensten. Andere missbrauchten ihr Mandat, um sich in der Pandemie an der Not der Wähler zu bereichern. Zum dritten Skandal entwickelt sich die Reaktion der Union auf Verfehlungen ihrer Abgeordneten. Die Maßnahmen, die CDU und CSU erwägen, um Wiederholungen zu verhindern, reichen nicht aus. Es scheint, als habe die Union noch nicht begriffen, wie ernst ihre Lage ist.
Zweimal scheiterte CDU-Mitglied Merz beim politischen Comeback. Beide Male versuchte er, den CDU-Vorsitz zu übernehmen, um Kanzlerkandidat zu werden. Nach dem ersten Fehlversuch 2018 half er, seine Bezwingerin Kramp-Karrenbauer zu demontieren. Auch nach dem zweiten Fehlschlag, nun gegen Laschet, gibt er nicht auf. Merz will in den Bundestag. Muss nun auch Laschet mit Kramp-Karrenbauers Schicksal rechnen?
Zwei Frauen über 90. Beide leben im eigenen Haushalt, eine in Baden-Württemberg, die andere in NRW. Die Frau in Baden-Württemberg erhielt bereits die zweite Corona-Impfung in der Woche vor dem 25. Januar. An jenem Montag begann NRW erst, Impftermine zu vergeben. Die Frau in NRW stand noch Mitte der Woche ohne Termin da. Ihre Kinder versuchten von morgens bis abends vergeblich, einen zu bekommen. Sie waren baff, als NRW-Ministerpräsident Laschet befand: „Der Impfstart ist gelungen.“
Noch haben die SPD-Mitglieder nicht entschieden, wer die nächste Parteispitze bilden soll. Ein Ergebnis der Suche steht jedoch schon fest: Die Mitgliederbefragung sollte die Mitglieder mobilisieren, die Partei erneuern und sie gegenüber ihren Konkurrenten nach vorne bringen. Alle drei Ziele wurden bisher verfehlt. Die SPD muss sich darauf einstellen, dass sich ihr Niedergang auch unter der neuen Führungsspitze fortsetzen wird.
Die CDU ist gespalten. Die Zuwanderung hat diesen Befund offenbart. Die Suche nach einem Merkel-Nachfolger hat ihn bestätigt. Der konservative CDU-Flügel, der mehr sein will, als er ist, hat die AfD stark und die CDU schwach geredet. Das Ergebnis: Die Union begann zu verdorren, die AfD zu erblühen. Nun kritisieren die Konservativen den Schaden, zu dem sie beitrugen. Obendrein wollen sie ihn nutzen, um die Führung der CDU zu übernehmen.
In der Politik bleibt nichts ohne Folgen. Islands Regierungschef muss sich nach den Enthüllungen aus Panama vom Acker machen. Die Große Koalition muss sich auf die Socken machen, Missstände abzustellen, die sie bisher großzügig oder leichtfertig sich selbst überließ und damit Steuerbetrügern zugänglich machte. In Baden-Württemberg arbeitet die CDU daran, die Grünen in Zukunft noch stärker zu machen. Die EU will Europa über das Asylrecht stärken und riskiert dabei, Europa weiter zu schwächen.
Landesregierungen neigen dazu, ihr Bundesland schön zu reden. Die NRW-Regierung macht schon einmal eine bemerkenswerte Ausnahme. Sie bestätigte kürzlich, was allen klar ist, die ab und an über die Grenzen ihres Bundeslandes hinauszuschauen: Die Lebens- und Arbeitsbedingungen in Deutschland sind sehr unterschiedlich. Was in Baden-Württemberg gang und gäbe ist, ist in NRW noch lange nicht selbstverständlich.
(uh) Den CDU-Bundestagsabgeordneten Pofalla zieht es zur Bahn. Er hat in der Union und im Kanzleramt lange hart gearbeitet. Nun will er mehr Geld verdienen. Sein Wechsel in die Wirtschaft stößt auf Kritik. Sie ist nachvollziehbar. Den Wechsel nur als Akt privater Begehrlichkeit zu sehen, greift jedoch zu kurz. Es geht vor allem um die Bahn, nicht so sehr um Pofalla.
(uh) Es war gut, dass in Baden-Württemberg über das Projekt S 21 abgestimmt wurde. Das musste ja mal geklärt werden. Laufen die Planungen nicht schon seit einer Generation? Und die Proteste seit Monaten? Die Republik kann aufatmen. Wer hätte noch geglaubt, dass es die Baden-Württemberger fertig brächten, sich über sich selbst Gewissheit zu verschaffen.