Tag

Merz

Browsing

Die SPD wurde bei der Bundestagswahl mit einem knappem Vorsprung die stärkste Partei. Drei Viertel der Wähler stimmten gegen sie. Aus diesem Resultat leitet sie den Anspruch ab, nur ihr Spitzenkandidat Scholz könne Kanzler werden. Eine Woche nach der Bundestagswahl findet diese Ansicht eine deutliche Mehrheit. Deutschland steht kopf.

Die Wähler kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Die Union zeigt sich enttäuscht von ihrem Wahlergebnis und erzürnt über ihren Kanzlerkandidaten Laschet. Diese Reaktion zeugt von Naivität und Realitätsverlust. Schon Wochen vor der Wahl hatten die Umfragen die Niederlage angekündigt. Wer sich überrascht zeigt, entpuppt sich als Träumer.

Die Taliban waren tüchtig. Ruck zuck scheuchten sie den afghanischen Regierungschef ins Exil, führten die NATO vor und legten die Schwäche der westlichen Demokratien offen. Nebenbei sorgten sie auch dafür, dass sich die Bundesregierung zerlegte. Vor aller Welt wurde deutlich: Deutschland, die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt, wird nicht von tatkräftigen Politikern regiert, sondern lediglich von engstirnigen Bürokraten verwaltet.

Seit der Flüchtlingskrise 2015 bekämpfen sich die Funktionäre der Unionsparteien. Nun, drei Monate vor der Bundestagswahl, spielen sie den Wählern und Mitgliedern heile Welt vor. CDU-Chef Laschet und CSU-Chef Söder stellten gerade das Wahlprogramm ihrer Union vor. Sie nutzten den Anlass, um Einvernehmen zu demonstrieren. Die zelebrierte Verbundenheit wirkt scheinheilig.

Die CDU hat gerade eben noch die Kurve gekriegt. Hätte die Partei ihrem Vorsitzenden Laschet die Kanzlerkandidatur verweigert, wäre die Bundestagswahl für die Union wohl schon heute verloren. Söder hat das, wenn auch ziemlich spät, doch noch begriffen und klein beigegeben. Viele CDU-Mitglieder, die ihn nach wie vor anhimmeln, sind noch nicht so weit wie er.

Zweimal scheiterte CDU-Mitglied Merz beim politischen Comeback. Beide Male versuchte er, den CDU-Vorsitz zu übernehmen, um Kanzlerkandidat zu werden. Nach dem ersten Fehlversuch 2018 half er, seine Bezwingerin Kramp-Karrenbauer zu demontieren. Auch nach dem zweiten Fehlschlag, nun gegen Laschet, gibt er nicht auf. Merz will in den Bundestag. Muss nun auch Laschet mit Kramp-Karrenbauers Schicksal rechnen?

Die Pandemie verändert Lebenspläne. Seit 18 Jahren sitzt Jens Spahn für die CDU im Bundestag. Der 40-jährige hat es bis zum Vize-Parteichef und Bundesgesundheitsminister gebracht. In den Sympathie-Rankings rangierte er gleich hinter Merkel. Man sagt, er habe das Zeug, CDU-Chef und Kanzler zu werden. Er selbst glaubt das auch. Er ist es gewohnt, seinem Ehrgeiz freien Lauf zu lassen. Doch  auch ihm setzt die Pandemie Grenzen. Ihm schwimmen die Felle weg.

Neuer Parteichef, alte Probleme: Laschet will Merkels Kurs fortsetzen. Der rechte Parteiflügel mit Merz und Schäuble an der Spitze will ihn nach rechts verschieben. Auf dem jüngsten Parteitag scheiterten die Rechten erneut. Sie haben keine Aussicht auf Erfolg. Dennoch werden sie Laschet wie schon Merkel und Kramp-Karrenbauer das Leben schwer machen. Eines haben die Rechten immerhin geschafft: Zu Beginn des Superwahljahres machten sie jedem klar: Die CDU bleibt zerrissen. Eine Meisterleistung. 

Seit 15 Jahren regiert die Union Deutschland. Im Vergleich zu ihren Konkurrentinnen stehen CDU und CSU trotz ihrer langen Regierungszeit gut da. Doch der Schein trügt. Beide Parteien haben sich lange bekämpft. Sie betrieben jahrelang den Verfall ihrer Union. Ihre Konflikte legten sie gerade erst bei, auch unter dem Druck der nahenden Bundestagswahl im Herbst. Die CDU quält sich seit Langem damit ab, Ersatz für Merkel zu finden. Die Partei ist abgekämpft und ausgelaugt.