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Mitte Februar war die Union noch Volkspartei. Dann stürzte sie ab. Sie halbierte ihren Vorsprung zur SPD und schrumpfte hinter den Grünen zur zweiten Kraft. Den Niedergang hält sie für temporär. Sie hat ihn sich redlich verdient. Sie ist seit Langem zerstritten. Der Konflikt erreichte einen weiteren Höhepunkt, als CSU-Chef Söder nach der Kanzlerkandidatur griff. Der Regionalpolitiker aus Bayern, der in der Champions League mitspielen will, vertiefte die Spaltung und demontierte sich selbst.

Alle Welt spricht von einer Regierungskrise der Republik. Dabei hat sie nur eine Parteienkrise. Die kleinste der drei Berliner Koalitionsparteien, Bayerns Regionalkraft CSU, hat Angst, bei der Landtagswahl am 14. Oktober die absolute Mehrheit zu verlieren. Die Umfragewerte sinken. Schuld gibt die CSU der Kanzlerin Merkel und ihrer Flüchtlingspolitik. Ein starkes Signal soll den Abwärtstrend brechen. Die CSU will die Kanzlerin stürzen. CDU-Konservative sind bereit zu helfen.

Noch sitzt die AfD nicht im Bundestag, doch längst arbeiten dort Kräfte an deren Ziel, Bundeskanzlerin Merkel zu stürzen. Die CSU nimmt der AfD die Arbeit ab: Führende CSU-Funktionäre haben sich daran gemacht, Merkel aus dem Amt zu mobben. Von Woche zu Woche verstärken sie ihre Angriffe. Doch die Erfolgsaussichten schwinden. Statt Merkel geraten ihre Gegner unter Druck.

Der Terroranschlag in Paris und die Zuwanderung sind das Ergebnis politischen Versagens. Sie wurden auch durch Europas Schwäche und durch Versäumnisse und Fehlentscheidungen seiner Parlamente und Regierungen begünstigt. Jüngste Äußerungen aus der bayrischen und der polnischen Regierung deuten darauf hin, dass sich die bedrückende Tradition einer Politik fortsetzen will, die ihren Aufgaben nicht gerecht wird.

Wer sagt denn, man könne Merkel nicht attackieren? Kein Tag vergeht, an dem CSU-Chef Seehofer Merkels Flüchtlingspolitik nicht benörgelt. Seine Dauerkritik hinterlässt Spuren. Ein Teil der CDU-Anhänger sieht das Treiben der Kanzlerin inzwischen ebenfalls kritisch. Die Union baut in Umfragen ab. Seehofers Attacken sollen Zeichen der Stärke sein, doch offenbaren sie nur seine Schwäche. Er versucht, Merkel zu treiben, weil er selbst ein Getriebener ist.

Die Zuwanderung zwingt Europa, verdrängte Realitäten zur Kenntnis zu nehmen. Kaum überschritten die ersten Flüchtlingstrecks die EU-Grenzen, erwiesen sich viele Gewiss- und Gewohnheiten als Selbsttäuschung. Lange wähnte sich Europa als Insel der Seligen. Nun ist die selbstgerechte Isolation aufgebrochen. Das Wolkenkuckucksheim fällt in sich zusammen. Unter seinen Trümmern werden Defizite und Schwachpunkte sichtbar.

(uh) Der SPD ist kaum noch zu helfen. Mühsam rappelte sie sich nach der Wahlniederlage auf und rang sich zur großen Koalition durch. Schon schien es, als könnte sie die Union ein wenig an die Wand drücken und dem 20 Prozent-Gefängnis entfliehen. Doch dann verhedderte sich die SPD im Fall Edathy/Oppermann. Prompt fiel sie in einer Umfrage um zwei auf 22 Prozent zurück. Den Absturz hat sie sich selbst zuzuschreiben. Sie will aus Schaden partout nicht klug werden.

(uh) Die große Koalition will nicht länger Opfer ihres Versagens sein. Sie will wieder Herr des Geschehens werden. Und so redet sie den Schaden, den sie über den Fall Edathy anrichtete, klein – und sich gleich mit. Doch das Löschwasser vergrößert den Brandschaden. Die Bundestagsabgeordneten merken gar nicht, dass sie sich immer weiter bloß stellen. Sie wurden gewählt, um Verantwortung zu tragen. Nun stellt sich heraus: Niemand will sie übernehmen.

(uh) Der Fall Edathy offenbart: Die politische Kultur hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Spitzen des Staates und der Parteien geben offen zu erkennen, dass sie sich mit ihren Interessen über Recht und Gesetz hinwegsetzen. Schuldbewusst zeigen sie sich nicht. Sie handeln nicht nur verantwortungslos. Sie tun auch noch, als sei das ganz natürlich.

(uh) FDP-Chef Rösler lässt sich als Drachentöter feiern. Er verkauft die Entscheidung, Joachim Gauck im Verbund mit SPD und Grünen gegen Kanzlerin Merkel durchzusetzen, als Heldentat. Er gibt den Ritter, der Merkel in die Knie zwang. Bei Licht besehen entpuppt sich die Geschichte als Märchen.