Die Union scheint von allen guten Geistern verlassen. Die Umfragewerte stürzten ab. Die Sperrminorität bei der Regierungsbildung ging verloren. Die Führung ist zerstritten. Sie schafft es nicht, eine gemeinsame Position zur Pandemie zu finden, leistet sich aber Machtkämpfe um Posten. Viele Anhänger haben das Theater der Hoffnungsträger Laschet und Söder satt und laufen zur Konkurrenz über. Die Union droht bei der Bundestagswahl ihre Führungsrolle im bürgerlichen Lager an die Grünen zu verlieren.

Die Geduld verloren

Im Kampf gegen die Pandemie fordern CDU-Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Söder Restriktionen. CDU-Chef Laschet torpedierte die Lockdown-Politik. Er profilierte sich als Verfechter von Öffnungen. Das Ergebnis des Konflikts: Die Infektionen nehmen zu, die Sympathiewerte der Union und des CDU-Chefs ab.

Der halbherzige Kampf gegen das Virus schürt Unmut unter den Bürgern. Lange wurden für Fehler und Versäumnisse die CDU-Bundesminister Spahn (Gesundheit) und Altmaier (Wirtschaft) verantwortlich gemacht. Laschet, CDU-Aspirant für die Kanzlerkandidatur, brachte das Kunststück fertig, den Ministern die Rolle des Sündenbocks abzunehmen.

Als Merkel im Februar erneut strikte Einschränkungen forderte, beschloss die Runde der Ministerpräsidenten eine Notbremse, die Restriktionen auslösen und die Pandemie eindämmen sollte. Die Bremse hielt nicht lange. Laschet – wie andere Landeschefs – lockerte sie. Wieder einmal wurden Vereinbarungen gebrochen, kaum dass sie beschlossen waren. Diesmal verlor Merkel die Geduld. Sie rügte Laschets Öffnungspolitik öffentlich.

Ins Knie geschossen

Ihr Schwinger erwies sich als Volltreffer. Laschet war bloßgestellt. Er sah sich gezwungen, beizubiegen. Nun propagiert auch er den Lockdown. Nun kann er ihm gar nicht schnell genug kommen. Bei einem raschen Treffen der Länderchefs sollte er beschlossen werden, forderte Laschet. Was passierte? Nichts. Sein Ruf ist verhallt.

Ende Januar erst wurde er zum Parteichef gewählt. Zwei Monate später versagen ihm sogar Ministerpräsidenten seiner Partei die Gefolgschaft. Zuerst schoss er sich mit der Öffnungspolitik ins Knie. Nun erwies sich sein Kurswechsel als Schuss in den Ofen.

Laschets Aussichten, gegen seinen CSU-Konkurrenten Söder Kanzlerkandidat der Union zu werden, haben sich verschlechtert. „Wir werden nach dem Kriterium entscheiden, wer die größten Aussichten hat, in ganz Deutschland die Wahl zu gewinnen“, sagt Laschet. An diesem Maßstab gemessen, wäre es mit seinen Chancen nicht weit her.

Auf Grund gelaufen

Nur 14,7 Prozent wollen, dass er nach der Bundestagswahl eine bedeutendere Rolle spielt. Seine Sympathiewerte rangieren weit hinter denen der beiden grünen Parteichefs, des SPD-Kanzlerkandidaten Scholz und des FDP-Chefs Lindner. Sogar Spahn und die Ko-Vorsitzende der Linken, Wissler (jeweils 14,8 Prozent), liegen vor ihm. CSU-Chef Söder steht mit 49,7 Prozent an der Spitze.

Laschet machte die Öffnungspolitik gegen Merkels und Söders Beschränkungskurs zu seinem Markenzeichen. Es sollte ihm in der Wirtschaft und in jenen Teilen der Union Akzeptanz verschaffen, die Merkel kritisch gegenüberstehen. Der Öffnungskurs verhalf ihm gegen Merz und Röttgen zum CDU-Vorsitz.

Doch nun behindert dieses Markenzeichen den Zugriff auf die Kanzlerkandidatur. Der Öffnungskurs verträgt sich nicht mit rasant steigenden Infektionszahlen und den zunehmenden Mutationen des Virus. Mit seinem Kurs in der Pandemiepolitik ist Laschet gegen die Fakten geschlagen und auf Grund gelaufen.

Mit niemandem abgesprochen

Diese Entwicklung zeichnete sich schon zu Beginn der zweiten Infektionswelle ab. Viele Ärzte sagten hohe Krankenzahlen voraus. Merkel und Söder folgen den Prognosen. Laschet hielt an seinem Markenzeichen fest. Beim Kampf um den CDU-Vorsitz war es nützlich. Beim Kampf um die Kanzlerkandidatur schadet es.

Merkel machte ihm den Schaden drastisch klar. Sie agierte nach dem ersten Leitsatz der Volkspädagogik: Wer nicht hören will, muss fühlen. Sie ließ Laschet die Folgen seines Tuns und Lassens spüren. Sie zeigte mit dem Finger auf ihn.

Von da an konnte er nicht mehr verbergen, dass er auf Grund gefahren war. Dennoch versuchte er, den Kurs zu wechseln. Um dem Vorwurf vorzubeugen, er agiere opportunistisch und nicht sachgerecht, wollte er seinen jüngsten Schwenk von 180 Grad mit der ulkigen Wortschöpfung „Brücken-Lockdown“ kaschieren. Der Versuch schlug fehl. Er hatten ihn offenbar mit niemandem in den Unionsparteien abgesprochen.

Erneut abgewatscht

So erzeugte Laschet gerade jenen Eindruck, den er vermeiden wollte, nicht nur bei den Wählern, sondern auch in der Union. Der CDU-Chef hätte wissen müssen: Einmal leck geschlagen und auf Grund gesetzt, kann man nicht mehr manövrieren. In dieser Lage wirkt jedes Ruckeln am Steuerrad als Akt der Verzweiflung. Mit seinem Versuch, den Prestigeverlust über eine Kurskorrektur zu beheben, vergrößerte er den Schaden noch.

Es schien, als hätten die Spitzenkräfte der Union auf eine solche Vorlage nur gewartet. Laschet machte den Kurswechsel zum Lackmustest für seine Autorität als Parteichef. Es zeigte sich: Seine Reputation ist schwer beschädigt. Kaum jemand folgte ihm. Die Führungskräfte der Union verhielten sich wie die Mitglieder eines Wolfsrudels. Wer Schwäche zeigt, wird zurückgestuft.

Lachets Konkurrent Söder führte sich prompt als Leitwolf auf. Er begrüßte, dass Lachet Einsicht zeige, und postulierte zwei Grundbedingungen für den Erfolg der Union. Sie könne sich bei der Bundestagswahl nur behaupten, wenn sie trotz aller Differenzen geschlossen auftrete und sich nicht von Merkel absetze, sondern mit ihr um deren Wähler werbe. Erneut sah sich Laschet abgeschwatscht.

Bei den Bürgern festgefressen

Seit einem Jahr leistet sich die Union mit ihren Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur über den Kampf gegen die Pandemie eine schwere Kontroverse. Aus ihr und ihrer jüngsten Zuspitzung ergibt sich: Egal, ob Söder oder Laschet Kanzlerkandidat wird: Keiner von beiden ist in der Lage, die Union zu einen, die Einheit zu verkörpern und sie den Bürgern bis zur Bundestagswahl im Herbst zu vermitteln.

In der CDU gibt es nicht nur Vorbehalte gegen Söder, sondern auch gegen Laschet. In der CSU gibt es Vorbehalte gegen Laschet, und nicht jeder dort steht unverbrüchlich fest zu Söder. Der Eindruck mangelnder Geschlossenheit hat sich in beiden Schwesterparteien und bei den Bürgern festgefressen.

In der Union liegen nicht nur die Aspiranten auf die Kanzlerkandidatur über Kreuz. Seit 2015 haben sich beide Parteien viele Monate lang über Merkels Zuwanderungspolitik gestritten, zum Nachteil der Unionsparteien und zum Vorteil der Grünen, der FDP und der AfD. Die damaligen Schützengräben sind noch heute sichtbar.

In die Sackgasse manövriert

Die Differenzen zwischen den beiden Parteichefs lassen sich nicht dadurch beheben, dass der eine den anderen aussticht oder dass sich der eine dem anderen unterordnet. Jeder von ihnen verkörpert nicht die Einheit der Union, sondern nur einen Bestandteil ihres aktuellen Konflikts. Beiden fehlt die wichtigste Voraussetzung für die Kanzlerkandidatur: Keiner von ihnen ist in der Lage, die gesamte Union glaubhaft hinter sich zu versammeln.

Je stärker sich der Konflikt zwischen Laschet und Söder zuspitzt, desto größer wird die Unruhe in der Partei. In der Bundestagsfraktion, die bei einem Wahlsieg den Kanzlerkandidaten zum Kanzler wählen muss, ist die Unzufriedenheit besonders groß. Dort geht längst die Sorge um, über ein schwaches Wahlresultat könnte die Union viele Bundestagsmandate verlieren.

Es stellt sich die Frage: Wie können sich Laschet, Söder und die beiden Unionsparteien aus der Sackgasse bringen, in die sie sich manövriert haben? Wie könnte die große Geste des Zusammenhalts aussehen, mit der die Union Monate vor der Wahl das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen könnte?

Auf Augenhöhe geachtet

Beide Parteichefs sollten rasch erkennen: Sie werden ihrer Aufgabe in der Pandemie nicht gerecht. Keiner von ihnen taugt dazu, die Union als Spitzenkandidat in den Wahlkampf zu führen. Beide sollten auf ihren Anspruch verzichten. Schwer fallen sollte ihnen dieser Schritt nicht. Beide wissen, dass ihre Kandidatur kein Selbstläufer wäre.

Schon zweimal sind CSU-Chefs als Kanzlerkandidaten gescheitert, obwohl ihnen gute Chancen eingeräumt wurden. Bei den schlechten Umfragewerten der Union kann Söder als dritter CSU-Chef leicht auf der Strecken bleiben. Er wäre in Bayern geschwächt. Mit einer Niederlage bei der Bundestagswahl im Gepäck wäre das Ziel der CSU, bei der Bayern-Wahl 2023 die absolute Mehrheit zu gewinnen, wohl kaum zu erreichen.

Bayerns Regierungschef Söder hat stets betont, sein Platz sei in Bayern. Es würde ihm nicht schaden, wenn er nicht Kanzlerkandidat würde. Über seinen Pandemiekurs hat er sein Ansehen bundesweit gemehrt. Seit das Virus grassiert, hat er darauf geachtet, mit Merkel auf Augenhöhe zu bleiben und neben ihr zu laufen. Die Nähe zur Kanzlerin hat ihn gestärkt.

Als Schwäche ausgelegt

Schwieriger wird der Verzicht für Laschet. CDU-Chefs sind als Kanzlerkandidaten gesetzt. Der Verzicht würde Laschet als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Seine geschrumpfte Autorität bekäme noch einen Schlag. Der Schwund könnte sich für die CDU bei der NRW-Wahl 2022 negativ auswirken. Laschets Amtszeit als Ministerpräsident könnte eine Episode bleiben.

Als Kanzlerkandidat müsste er nach der Wahl in den Bundestag, selbst wenn er sie verlöre. Bliebe er in NRW, würde es für die CDU schwer, sich bei der NRW-Wahl 2022 zu behaupten. Als Wahlverlierer müsste sich Laschet hinter in der Faktion hinter deren Chef Brinkhaus einordnen oder ihn aus dem Fraktionsvorsitz drängen, ein Manöver, das einem Wahlverlierer kaum gelingen dürfte.

Will sich die Union aus dem Umfragetief herausarbeiten, muss sie Laschets angeschlagene Reputation stärken. Zu diesem Schritt scheinen große Teile der Union nicht bereit, solange Laschet Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur zeigt. Ohne Gesichtsverlust käme er nur davon, wenn er und Söder bei der Kanzlerkandidatur am gleichen Ende des Stricks zögen.

Einen Dritten suchen

Könnten sie sich überwinden, auf die Kandidatur zu verzichten, sich auf gleicher Augenhöhe zu begegnen und miteinander zu kooperieren, ohne auf den Prestigeverlust des anderen abzuzielen, könnten sie dazu beitragen, die Einheit der Union wiederherzustellen.

Gäbe es zwischen ihnen weder Sieger noch Besiegten, könnten sie ohne Nachteile für sich selbst mit Aussicht auf Erfolg daran mitwirken, das Vertrauen in die Union zu erneuern und zu stärken. Als zweiten Schritt zu diesem Ziel müsste sie sich auf die Suche nach einem Kanzlerkandidaten machen, den beide Parteien und ihre Vorsitzenden tragen können.

Wenn die beiden Streithähne demnächst wieder in Berlin sind, müssten sie nicht weit laufen und nicht lange suchen, um einen Dritten zu finden, der für diese Aufgabe hart genug ist. Bei diesem Unionspolitiker handelt sich um eine Frau. Sie sitzt schon im Kanzleramt, seit fast 16 Jahren. Sie will im Herbst aufhören. Wenn Söder und Laschet sie lieb bitten, erbarmt sie sich vielleicht und lässt sich breitschlagen, doch noch einmal anzutreten. – Ulrich Horn


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1 Comment

  1. Düsseldorfer Reply

    Die Grünen als Teil des bürgerlichen Lagers zu betrachten, halte ich für eine eklatante Fehleinschätzung und für eine von vielen Akteuren gewollte oder akzeptierte Verwirrung. Fehlgeleitete bürgerliche Individuen mögen – einen sich landesväterlich gebenden Kretschmann vor Augen – als Wähler ihr Kreuzchen bei den Grünen machen, es mögen auch Mitglieder der Grünen aus bürgerlichen Familien stammen, das macht die Grünen aber nicht zu Bürgerlichen im politischen Sinne. Wenn man sich das Wahlprogramm der Grünen anschaut, graust es. Den schon unter Merkel kritisch aufgedunsenen Steuer-, Abgaben- und Schuldenstaat wollen sie weiter ausbauen. Verbote, planwirtschaftliche Regulierung, Nanny State, Etatismus und Interventionismus setzen sie an die Stelle bürgerlicher Eigenverantwortung. Die Idee der bürgerlichen Familie ist ihnen weitgehend abhanden gekommen. Den bürgerlichen Gedanken der Nation lassen sie in einen Konzept des Internationalismus, Multikulturalismus und europäischen Zentralismus untergehen. Sie fördern fragwürdige identitäre Konzepte. Minderheiten und von ihnen vorangetriebene Genderpolitik fördern sie zulasten tradierter bürgerlicher Auffassungen. Viele ihrer Politiker pflegen eine kumpelhafte Nähe zu Hausbesetzern, Antifa, Antideutschen und ähnlichen Milieus, in denen sie sich selbst lange aufgehalten haben und von denen sie sich teilweise nie gelöst haben. Ein treffliches Beispiel ist der Kreuzberger Baustadtrat Florian Schmidt und dessen beharrliche Weigerungen, rechtsstaatliche Regeln einzuhalten. Die Grünen stehen insgesamt für eine auf tiefgreifende Umwälzungen angelegte Gesellschaftspolitik, die hergebrachten bürgerlichen Vorstellungen diametral entgegengesetzt ist.

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