Der Kampf gegen Covid 19 fördert, was er bekämpfen soll: die Ausbreitung des Virus. Um die Infektionszahlen zu drosseln, werden Einschränkungen verhängt. Nehmen die Infektionsfälle ab, werden die Einschränkungen gelockert. Prompt steigen die Infektionszahlen. Es entsteht die nächste Welle. Wieder werden Schutzmaßnahmen verschärft und bei sinkenden Infektionszahlen wieder gelockert. Es entsteht die nächste Welle. Der Wechsel von Einschränkungen und Lockerungen bremst das Virus nicht.

Die Chance genutzt

Schlimmer noch: Die zweite Infektionswelle ist schlimmer als die erste. Die dritte wird schlimmer als die zweite, sagen Experten voraus. Da die Länderchefs ihre Maßnahmen mit dem An- und Abstieg der Infektionszahlen synchronisieren, begünstigen sie nicht nur die nächste Welle. Sie ermöglichen dem Virus auch, zu Beginn jeder Welle von einem höheren Infektionsniveau aus zu starken. Die Pandemie schaukelt sich auf.

Das Ergebnis ist an jenen Karten abzulesen, die zeigen, wie verbreitet das Virus in Deutschland ist. Anfangs gab es nur hier und da einige Hofspots. Heute ist fast die ganze Republik mit ihnen übersät. Die Karten belegen, dass die Strategie der Ministerpräsidenten ihr Ziel verfehlt. Sie ist gescheitert.

Das Ausmaß des Fehlschlags zeigt sich eindrucksvoll in Ostdeutschland. Lange bewegte sich das Virus dort kaum. Die Länderchefs im Osten wehrten sich lauthals gegen scharfe Maßnahmen. Sie trauten sich nicht, sie ihren Bürgern aufzubürden. Die Folge: Die Länderchefs verspielten die günstigen Infektionszahlen. Den Virus wurde es leicht gemacht, sich auszubreiten. Es nutzte die Chance.

Für den Kampf untauglich

Bis heute haben die Länderchefs kein Mittel gefunden, das die Pandemie dauerhaft auf niedrigem Niveau hält. Mit ihren Maßnahmen reagieren sie auf die Ausbreitung des Virus. Dabei reagiert das Virus auf die Schutzmaßnahmen. Werden sie schärfer, stagnieren die Infektionen oder sinken gar, wie in Hamburg zu beobachten ist. Werden die Maßnahmen gelockert, breitet sich das Virus aus.

Statt dem Auf und Ab der Wellen zu folgen, müssten die Länderchefs sie brechen. Der Verlauf der Pandemie zeigt, dass sie mit ihrer Strategie dem Virus nicht beikommen. Warum fällt es ihnen so schwer, ihre Strategie zu ändern und die Schutzmaßnahmen so streng zu fassen, dass die Infektionszahlen niedrig bleiben?

Die Runde der Länderchefs scheint im Kampf gegen bundesweite Bedrohungen wie Covid 19 untauglich zu sein. Das Virus erfordert schnelle Entscheidungen. Doch den Länderchefs haben Mühe, Entscheidungen zu treffen. Es fällt ihnen schon schwer, sich über Sachverhalte zu verständigen. Noch schwerer fällt es ihnen, aus der Verständigung Konsequenzen zu ziehen.

Angst vor dem Wandel

Sie stehen vor vielen hohen Hürden. Sie agieren in ihren Ländern mit unterschiedlichen Koalitionspartnern, mit denen sie sich abstimmen müssen. Die Länderchefs müssen sich auch mit Lokalpolitikern und Interessenverbänden rückkoppeln: Das ist beschwerlich und kostet Zeit, die das Virus nicht gewährt. Es bestraft jeden Zeitverzug.

Die Länderchefs sind es nicht gewöhnt, harte Entscheidungen zu treffen. Sie neigen dazu, Probleme vor sich herzuschieben. Sie werden in der Regel nur so weit verkleinert, dass die Beschwernisse der Problemlösung die Last, die ein Problem erzeugt, nicht übersteigt. Lösungsvarianten erproben die Länder gerne in Modellversuchen. Oft  vergehen  Jahre, bis sie ausgewertet sind und umgesetzt werden.

Dieses Vorgehen hat in Bund und Ländern viele Defizite verursacht. Die 16 Länder pflegen ein reges Eigenleben. Sie achten darauf, es zu erhalten. Veränderungen gelten als Risiko. Jede Art von Wandel bedroht Besitzstände und produziert Konflikte mit Interessengruppen, aber auch mit der Landes- und Kommunalbürokratie. Hinter jedem Wandel lauert das Risiko, Macht zu verlieren. Vorsicht ist deshalb der Begleiter des Wandels.

Die Bundeskasse über Gebühr belasten

Die Länderchefs sind es gewöhnt, die Interessen ihrer Länder zu verfolgen und sie gegen den Bund und andere Länder zu behaupten. Das Verhältnis der Länder zum Bund ist vom Bestreben geprägt, ihre Kompetenzen zu verteidigen und Bundeshilfen einzufordern.

Merkel drängt die MP-Runde ständig, härter gegen das Virus vorzugehen. Sie schreckt nicht davor zurück, die Ministerpräsidenten bloß zu stellen. Es sind nicht nur medizinische Gründe, die sie zu diesem Vorgehen veranlassen. Es hat auch mit Geld zu tun. Merkel will nicht, dass die betulichen Länderchefs die Bundeskasse durch zögerliches Handeln über Gebühr belasten.

In der Union wird erwogen, die Länder stärker an den Ausgleichszahlungen zu beteiligen. Hinter dieser Forderung steht die Hoffnung, mancher Landeschef würde im Kampf gegen das Virus womöglich schneller und härter zur Sache zu gehen, wenn sich sein Zaudern stärker in den Länderkassen niederschlüge.

Eine lange Liste von Versäumnissen

Die Pandemie zwingt die Länderchefs, das zu tun, was sie über Jahrzehnte vernachlässigt haben. Sie sollen nun ihr Handeln über das Wohl ihres Landes hinaus auch auf das der Republik ausrichten. Dieser Anforderung wurden sie schon vor der Pandemie nur unzureichend gerecht.

Das Virus deckt viele Versäumnisse der Länderchefs auf. Sie sind für den Kampf gegen Pandemien zuständig. Ihre Vorsorge aber war mangelhaft. Wie die Bundesregierung und die Bundestagsabgeordneten versäumten es auch die Ministerpräsidenten, ihre Landesregierungen und die Länderparlamente, das Pandemie-Gutachten umzusetzen, das dem Bundestag seit 2013 vorliegt.

Die Ministerpräsidenten haben eine lange Liste von Versäumnissen abzuarbeiten. Ihre Bildungspolitik hinkt weit hinter den Erfordernissen her. Ihnen wurde zu spät bewusst, dass Schulen und Kindergärten, für die sie zuständig sind, im Kampf gegen Pandemien Dreh- und Angelpunkte sind.

Von den Anforderungen überfordert

Mühsam gehen sie nun daran, den Entwicklungsrückstand zu verringern. Das Virus treibt die Länderchefs zu Investitionen an, die sie vor der Pandemie aus Sorge um das Wohl und die Zukunft der Kinder nicht zu mobilisieren vermochten. Das Deutschland in vielen Bereichen stagniert, geht zu einem großen Teil auf das Konto der Landesregierungen und der Länderparlamente.

Die Schulbauten sind vielerorts marode. Ihre technische Ausstattung ist oft miserabel. Die Konzepte zum Schutz der Lehrer und Schüler sind Stückwerk, die Konzepte für den Unterricht im Zeitalter der Digitalisierung und unter den Bedingungen der Pandemie ebenfalls. Wie bei der Zuwanderung 2015/2016 zeigt sich in der Pandemie, dass die Bürokratie den Anforderungen nicht gewachsen ist.

Die Gesundheitsverwaltung schafft es nicht mehr, die Spuren der Infektionen zu verfolgen. Die Programme, mit denen die Gesundheitsämter arbeiten, sind veraltet. Neue sind seit Monaten vorhanden, wurden aber nicht installiert. Die Verwaltungen auf allen Ebenen hinken weit hinter dem Stand der Technik her. Es fehlt an Personal, das in Notlagen wie der Pandemie aushelfen könnte.

Die Belastungen klein halten

Um Covid 19 in Schach zu halten, müssten die Menschen einige Verhaltensweisen dauerhaft ändern. Ein Teil der Bürger schafft das nicht, ein anderer Teil will das nicht. Beide Teile leben trotz der Pandemie halbwegs komfortabel. Sie profitieren vom rationalen Verhalten der Mehrheit, die mit den Verweigerern große Geduld hat, obwohl sie gegen das Gemeinwohl agieren und die Lebensgrundlagen der Mehr- und der Minderheit, also auch ihre eigenen, untergraben.

Die Ministerpräsidenten müssten diese Gruppen in die Schranken weisen, weil sie die Schutzmaßnahmen sabotieren. Die Länderchefs halten sich zurück. Sie weichen das medizinisch Erforderliche nicht nur mit dem wirtschaftlich, sondern auch mit dem politisch Opportunen auf.

Sie wollen die wirtschaftlichen und finanziellen Belastungen ihrer Länder klein halten. Sie befürchten, die Leugner der Pandemie und die Gegner der Schutzmaßnahmen könnten sich weiter radikalisieren und noch stärkeren Zulauf erhalten. Nicht auszuschließen ist, dass mancher Ministerpräsident befürchtet, der Protest könnte sich gegen ihn richten.

Hoffnungsspender statt Spielverderber

Trotz aller Beteuerungen, die Schutzmaßnahmen zu verschärfen und zu verlängern, werden sie über Weihnachten wieder gelockert. Die Ministerpräsidenten machen dem Virus ein Weihnachtsgeschenk. Es bekommt die Chance, sich über die Festtage weiter auszubreiten.

Pünktlich zu den traditionellen Ansprachen der Parteichefs am Dreikönigstag könnten die Zahlen der Infektionen und Todesopfer neue Höchststände erklimmen. Sollte dieser Fall eintreten, dürfte es für die Bürger noch ungemütlicher werden.

Für die Länderchefs wird sich die Lage dennoch entspannen. Ihr Risiko, bei der folgsamen Mehrheit der Bürger unter Kritik zu geraten, hat sich in den vergangenen Tagen gemindert.. Statt als Spielverderber können sie demnächst als Hoffnungsspender auftreten. Immer wieder werden sie darauf hinweisen, dass in absehbarer Zeit genügend Impfstoff bereitstehen wird, um das Virus zu besiegen. – Ulrich Horn

4 Comments

  1. Mit Angst und Panikmache im Stile von Frau Merkel ist niemandem geholfen. Und mit dem politischen Kaffeekränzchen von Frau Merkel mit den zum Rapport angetretenen Ministerpräsidenten beschädigt Merkel den Bundestag, den sie kaltschnäuzig einfach links liegen läßt.

    Die Fans von harten Maßnahmen sollten sich aber vielleicht einmal mit Schmidt-Chanasit unterhalten und sich erst mal aufklären lassen, bevor sie den „schwarzen Sheriff“ raushängen lassen:
    https://www.t-online.de/gesundheit/krankheiten-symptome/id_89056030/corona-virologe-schmidt-chanasit-lockdown-verschiebt-nur-das-problem.html

  2. Hubertus Bruch Reply

    Warum sich über Realitäten aufregen? Ein Virus muss kreativ und agil sein, ein Behörde eben nicht, eine Bevölkerung besteht größtenteils aus vernünftigen Menschen aber auch aus Spinnern und Politiker wissen, dass es bald einen Impfstoff gibt und dass Wähler ein Kurzzeitgedächtnis haben.

  3. Eberhard Becker Reply

    Eine schöne Analyse, die die Verhältnisse prägnant darstellt. Den Ministerpräsidenten fehlt der Mut zu deutlichen Worten (Söder manchmal ausgenommen), lieber gerieren sie sich als Weichmacher der Vorschläge der Bundesregierung und möchten damit Punkte für die nächste Wahl sammeln. Teile der Bevölkerung verkleiden ihren Unwillen, ihre Nachbarn vor Ansteckung zu schützen, als Demokratierettung. Die freie Entscheidung, sich womöglich anzustecken, ist eben nicht auch die Freiheit, andere zu gefährden. Das kleine Einmaleins unseres Zusammenlebens. Wer dann von Panikmache spricht, hat den ganzen Komplex einer Pandemie noch nicht gedanklich durchdrungen. Schauen wir nur nach Asien. Die Impfung wird sicher erst in Monaten Erleichterung bringen.

  4. „Nehmen die Infektionsfälle ab, werden die Einschränkungen gelockert. Prompt steigen die Infektionszahlen.“ Nach dem ersten Lockdown,bzw. nach den entsprechenden Lockerungen sind die Infektionszahlen über Monate nicht angestiegen. Ja sie sind sogar schon kurz vor Beginn des Lockdowns gefallen. Und das alles ganz ohne Maskenpflicht.Jetzt steigen die Infektionzzahlen massiv trotz immer mehr ausgeweiteter Maskenpflicht.So simpel ist die Logik also nicht.

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