Die SPD kämpft – vor allem mit sich. Ihre Spitzenfunktionäre wählten Schulz mit 100 Prozent zum Parteichef. Sie taten sich und ihm einen Tort an. Die Höchstmarke suggeriert Geschlossenheit, die es nicht gibt. Sie weckt Erwartungen, die kaum zu erfüllen sind. Sie setzt den Parteichef unter Erfolgsdruck. Jedes Abweichen von dieser Maßgabe wird zwangsläufig als Misserfolg verstanden, wie die Reaktionen auf die Saarwahl zeigen. Ihr Tenor: Kaum eine Woche im Amt, wurde Schulz an der Saar rasiert.

Wünsche statt Realitäten

Mit ihrem neuen Vorsitzenden verbindet die SPD riesige Ansprüche. Sie will stärkste politische Kraft in Deutschland werden und den Kanzler stellen. Sie will die Union mithilfe der Linken und Grünen entmachten. Diese Ziele hat der linke SPD-Flügel vorgegeben, der Gabriel das Leben schwer machte und Schulz als Parteichef ins Spiel brachte.

Im Saarland ist das Projekt Rot-Rot-Grün, das im Umfeld des stellvertretenden SPD-Chefs Stegner seit langer Zeit betrieben wird, an den Wählern gescheitert. Sie sorgten dafür, dass SPD, Linke und Grüne zum Teil deutlich hinter ihren Wahlergebnissen von 2012 zurückblieben.

Um die Jahreswende noch drohte die SPD unter die 20-Prozent-Marke zu stürzen. Nun ließ sie sich dazu verführen, ihre Ziele statt an der Realität an ihren Wünschen, Sehnsüchten und Träumen zu orientieren. Mit dieser Fehlsteuerung hat sie wieder einmal ihre Gegner stark gemacht. Wieder einmal muss sie gegen selbst verschuldeten Frust ankämpfen.

Hoffnung auf Wahlsiege

Realität ist: Unter den Wählern in den alten Bundesländern gibt es große Aversionen gegen Koalitionen mit der Linken. Ihre Herkunft aus dem SED-Unrechtsregime ist unvergessen. Fast 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR erinnert der Soli noch heute viele Menschen an die Misswirtschaft der Kommunisten. Sobald die SPD in Verdacht gerät, mit der Linken gemeinsame Sache zu machen, kann sie ihr Wählerpotenzial nicht mehr ausschöpfen. Der Teil der Wähler, der die SPD in der Mitte sehen will, geht der Partei von der Fahne.

Die Landtagswahl im Saarland bestätigt diesen Befund. Zwar hat die SPD erreicht, dass heute Diskussionen über eine Koalition mit der Linken nicht mehr ganz so stark tabuisiert sind wie noch vor zwei, drei Jahren. Ausgezahlt hat sich diese Öffnung für die SPD bisher jedoch noch nicht.

Seit dem Wechsel von Gabriel zu Schulz ist es mit der SPD sehr schnell bergauf gegangen. Für diese Entwicklung gibt es zahlreiche Gründe. Schulz war partei- und innenpolitisch ein unbeschriebenes Blatt. Seit ihn die SPD nominierte, gewann sie viele neue Mitglieder. Die Umfragewerte stiegen deutlich an. Aus diesen Elementen speist die SPD die Schulzeuphorie. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, sie werde sicher in Wahlsiege münden.

Ein Trugbild inszeniert

Wird dieser Wunsch Wirklichkeit oder erweist er sich als Illusion? Trotz aller Euphorie liegen die Umfragewerte der SPD immer noch unter den 34,2 Prozent, mit denen Schröder 2005 die Kanzlerschaft verlor. Das Wahlergebnis, das die SPD unter Schulz an der Saar erreichte, liegt klar unter den 30,6 Prozent, die sie dort 2012 unter Gabriel erzielte.

Mit dem 100-Prozent-Ergebnis, das Schulz bei der Wahl zum Parteichef erhielt, inszeniert die SPD-Führungselite den Eindruck, sie stehe geschlossen hinter ihm. Es handelt sich um ein Trugbild. Nach wie vor wird die Partei von zwei Flügeln gehalten, deren Überzeugungen in vielen Punkten auseinandergehen.

Die Differenzen treten derzeit nicht zutage, weil die Partei über inhaltliche Positionen bisher noch kaum diskutiert. Schulz muss diesen Prozess zwischen den Flügeln demnächst moderieren, ein riskantes Unternehmen, das schnell aus dem Ruder laufen kann. Sein Vorgänger Gabriel weiß ein Lied davon zu singen.

Kein Zeichen von Stärke

Schulz versucht, die Risiken zu minimieren. Er schiebt die Positionierung der Partei bis dicht vor die Bundestagswahl. Mit dieser Terminierung will er die Streitlust der SPD-Flügel eindämmen, denen es bisher immer wieder gelang, mit ihren Auseinandersetzungen viele Wähler abzuschrecken.

Schulz hofft auch, dass die Wahlen in Schleswig-Holstein und in NRW demnächst zugunsten der SPD auslaufen. In diesen Ländern kann die Partei, anders als im Saarland, auf den Amtsbonus von SPD-Regierungschefs setzen. In NRW wirkt SPD-Ministerpräsidentin Kraft zwar erfolglos, schwach und angeschlagen. Sie setzt darauf, dass ihr Kontrahent Laschet keine große Magnetwirkung entfaltet. Auch das ist kein Zeichen von Stärke, gilt aber als aussichtsreich.

Hat die Schulzeuphorie mit der Niederlage der SPD im Saarland den Höhepunkt überschritten? Läuft das Rad nun bergab? Schulz wurde in den vergangenen Wochen kräftig hochgejubelt. Bei aller Euphorie war nicht zu übersehen, dass viele Medien ihn mit Skepsis betrachteten. Sie hat nach der Niederlage an der Saar beträchtlich zugenommen.

Jubel vorgetäuscht

Noch ist die Kritik an ihm vom Staunen über seinen Aufstieg überlagert. Doch enthält sie schon jene Ingredienzien, die an Kurt Beck und sein Schicksal erinnern. Wie bei Beck wird auch bei Schulz die Provinzialität zum Thema.

Kaum eine Würdigung, bei der nicht süffisant das Stichwort Würselen fällt. Auch wird gerne auf seine Tapsigkeit hingewiesen. An dieser Stelle kommt dann die Szene ins Spiel, in der er den Parteinachwuchs animiert, mit „Martin, Martin“ Jubel vorzutäuschen. Hätten Willy Brandt, Helmut Schmidt, Gerhard Schröder und Franz Müntefering so etwas gemacht? Die Szene erinnert ein wenig an die Winkelemente, die Honecker gerne verteilen ließ. – Ulrich Horn


Letzter Hinweis: Wollen Sie keinen Beitrag verpassen, können Sie rechts oben oder hier Post-von-Horn abonnieren. Empfehlen Sie Post-von-Horn auch Ihren Freunden bei Facebook und Google+.

7 Comments

  1. Es wäre für die SPD ein großer Fehler, ohne den Anspruch auf die Kanzlerschaft in den Wahlkampf zu ziehen. Wieder Juniorpartner in einer großen Koalition wäre aber vermutlich ein Ergebnis, mit dem die SPD leben könnte.
    Schulz ist ein unbeschriebenes Blatt, das heißt, wir wissen nicht, wie er sich durchsetzen wird. Oder wessen Marionette er sein wird.

    Zeit, die Show zu genießen.

    • Ulrich Horn Reply

      Vermutlich haben Sie recht. Der Anspruch, den Kanzler zu stellen, erinnert mich dennoch ein wenig an Westerwelles 18 Prozent.

  2. Hubertus Bruch Reply

    Von Stegner lernen, heißt verlieren lernen!
    Der Schulz-Hype wurde von den Medien kritisch begleitet? Da lesen Sie aber scheinbar andere Medien als ich in den letzten Wochen. Mir kam es eher so vor, als hätten sehr viele Journalisten ein Parteibuch der SPD in der Tasche. Das würde erklären, warum viele Artikel höchst unkritisch mit Sankt Martin umgegangen sind.
    Erst die Wahlen im Saarland haben nicht nur die SPD, sondern auch die schreibende Zunft wieder auf den Boden der Tatsachen geholt. Aber interessanterweise brauchte es nur einen Tag, um die Wunden zu lecken. Unerschrocken stehen seit gestern der Heilsbringer aus Würselen und mit ihm die Medien wieder im Ring und trommeln weiter auf uns ein. Bis der nächste Tiefschlag vom Wähler kommt. Vielleicht kommt das rote Establishment im Laufe der nächsten Monate ja noch in der Realität der Bürger an. Ich glaube allerdings nicht daran.
    Und noch eins zu Ihrem Artikel: Sie erwähnen Gabriel und vollkommen zu recht, dass selbst unter ihm das Wahlergebnis im Saarland besser war. Im Nachgang muss man vor ihm den Hut ziehen. Macht nur keiner in seiner Partei, da alle Vorsitzenden bis auf Brand in die Wüste geschickt werden. Das ist das große Handicap der SPD. Übrigens Ihre Vermutung, dass dem Provinzler Schulz noch schwere Zeiten in seiner Partei bevorstehen, teile ich voll und ganz. Nicht umsonst unterbindet Merkel jegliche Angrifssversuche seitens der CDU. Sie weiß, dass dem ehemalige Bürgermeister aus Würselen noch ein Feuerrutenlauf in der eigenen Partie bevorsteht. Dazu ist nur ein wenig Geduld notwendig. Bis dato war auf Stegner und seine Kumpane immer Verlass.

  3. In der DDR gab es ein politisches Magazin, das der „Schwarze Kanal“ hieß. Moderator war Karl-Eduard von Schnitzler, der in der DDR nur Karl-Eduard von Schnitz hieß, weil nämlich an dieser Stelle sofort weggeschaltet wurde. So halte ich es auch mit Martin Schulz, der bei mir nur Martin ist. Dieser Artikel von Ulrich Horn hat mich in diesem Verfahren bestärkt. Es lohnt einfach nicht.

  4. Düsseldorfer Reply

    Trotz tiefsitzender Vorbehalte vieler alter traditioneller Sozialdemokraten gegen ein Linksbündnis der SPD mit der SED-Nachfolgeorganisation Die Linke glaube ich, dass Schulz sich in seiner bekannt unklaren Art ein solches Volksfront-Bündnis weiter offen halten wird. Die rote Landesmutter wird sich nicht entblöden, dem mit ihrem Spruch „Keine Ausschließeritits!“ beizupflichten. Damit spekulieren beide darauf, dass der nordrhein-westfälische Durchschnittswähler lieber auf einer Gefühlswelle mitschwimmen will, als seinen Grips zu benutzen. Ich fürchte sogar, dass sie mit einem Gefühlswahlkampf ohne klare Standortbestimmungen und Sachaussagen (etwa zur Finanzierung ihrer Versprechen) hierzulande durchkommen könnten, zumal die CDU – insbesondere in Gestalt ihres Spitzenkandidaten – kaum energisch und kämpferisch genug auftritt, um den Wählern die miese Regierungsbilanz von Rot-Grün und das Alternativprogramm zum rotgrünen Murx begreiflich zu machen. Allerdings hat es die Opposition leider auch schwer, gegen den Wind anzukommen, den die Presselandschaft macht, weil sie offenbar einen Narren an diesem Schulz gefressen hat. Dass Schulz im Saarland nicht zog, wird zurecht der guten Performance von Kramp-Karrenbauer zugeschrieben. Doch welche Performance hat Laschet?

  5. Lieber Herr Horn, Sie haben einen wunderbaren Satz formuliert:

    „Im Saarland ist das Projekt Rot-Rot-Grün, das im Umfeld des stellvertretenden SPD-Chefs Stegner seit langer Zeit betrieben wird, an den Wählern gescheitert.“

    Ich habe mal die SPD gewählt, weil ich Kohl und den Stillstand so satt hatte.
    Mittlerweile beneide ich alle Länder, in denen die Bevölkerung die Politiker wählt, und diese das machen müssen, was diese Bevölkerung mehrheitlich will.
    Man hat sich in Deutschland mittlerweile so selbstverständlich an ein neo-feudalistisches Strukturproblem in der Politik gewöhnt, und deshalb kommen auch die 100 Prozent wieder zu Tage.
    Wenn die „Höflinge tagen“, die brav ihren Listenplatz behalten wollen, der ihre Berufspolitiker-Karriere absichert. Denn wer aus der Reihe tanzt, wird nach hinten versetzt, das ordnen die Partei-Führer* an und aus die Maus, wenn die Zweitstimmen nicht ausreichen, um den Listenplatz zu behalten.

    Es hat schlimme Gründe, warum so Länder wie Island oder die Schweiz von unseren Spezial-Demokraten so stinkig bekrittelt werden und die Staatsmedien sie schlechtreden, denn dort bestehen die ältesten europäischen, echten Volksdemokratien.
    Dort muss jede Direkt-Kandidatur durch die Mehrheit der Bevölkerung bestätigt werden, und dann beauftragt diese Bevölkerungsmehrheit die mit Mehrheit gewählten Volksvertreter per Volksabstimmung, was die Bevölkerung lieber möchte!

    Also praktizierende, lebendige Demokratie, und das schon seit Jahrhunderten, in denen sich kein Personenkult, keine Verrücktheiten, keine Korruption, keine Kriegslüsternheit entwickeln konnte.
    Eigentlich das Beste, was es in der Realität geben kann.

    Bei uns „scheitern Politiker an den Wählern“, wobei ich die „Hofberichts-Medien“ (meine), die mit Zwangsgebühren von der gebeutelten Bevölkerung (finanziert) werden, um sie permanent zu indoktrinieren, damit diese neo-feudale politische Struktur schöngefärbt bleibt.
    Hätten wir ein reines Mehrheits-Wahlrecht wie in unseren Nachbarländern, wäre Schulz überhaupt kein Thema.

Write A Comment