Wer sagt denn, man könne Merkel nicht attackieren? Kein Tag vergeht, an dem CSU-Chef Seehofer Merkels Flüchtlingspolitik nicht benörgelt. Seine Dauerkritik hinterlässt Spuren. Ein Teil der CDU-Anhänger sieht das Treiben der Kanzlerin inzwischen ebenfalls kritisch. Die Union baut in Umfragen ab. Seehofers Attacken sollen Zeichen der Stärke sein, doch offenbaren sie nur seine Schwäche. Er versucht, Merkel zu treiben, weil er selbst ein Getriebener ist.

Herr im Haus

Er steht mächtig unter Druck. Sein dörflich und kleinstädtisch strukturiertes Bundesland ist von der Zuwanderung besonders stark betroffen. Weil es zunächst nicht gelang, die Flüchtlinge über alle Länder zu verteilen, musste Bayerns Administration hart ran. Ihrem Unmut verschafft Seehofer mit seiner Kritik an Merkel ein Ventil.

Er muss fürchten, dass über die Zuwanderung rechtsradikale Kräfte der CSU Wähler abspenstig machen. Daher setzt er sich an die Spitze der Zuwanderungsgegner. Bayern gibt sich gerne weltoffen. Abseits der Münchener Szene, auf dem Land, geht es noch ziemlich provinziell zu. Da sind die Bayern am liebsten unter sich. Dort kommt gut an, dass Seehofer den deutschen Orban gibt, Merkel attackiert und die CSU nach rechts rückt.

Dass sich seine Amtszeit dem Ende zuneigt, setzt Seehofer ebenfalls zu. Zur Bayern-Wahl 2018 tritt er nicht mehr an. Die Partei orientiert sich um. Macht und Einfluss fließen von Seehofer weg und hin auf den Prätendenten Söder. Die Zuwanderung bietet Seehofer noch einmal die Chance, den Herrn im Haus hervorzukehren.

Oberfranken auf dem Kerbholz

Seine Autorität hat stark gelitten. Seit Beginn der Großen Koalition hat die CSU in Berlin stetig an Einfluss verloren. Ihre Minister kommen kaum zu Geltung. Müller und Schmidt sind außerhalb Bayerns unbekannt. Mit den Renommierprojekten, der Maut und dem Betreuungsgeld, erlitt die CSU Schiffbruch. Dobrindt muss sich mit der maroden Infrastruktur und dem VW-Skandal herumschlagen, auch keine Gewinnerthemen. Mit ihrer Zuwanderungsentscheidung stellte ihn Merkel vor vollendete Tatsachen.

In der CSU hat sich viel Groll gegen die Kanzlerin aufgebaut. Dass sie die CDU nach links auslegte, musste ihr die CSU widerwillig durchgehen lassen. Bei zwei Wahlen marginalisierte Merkel die SPD. Diese Erfolge geben ihrem Kurs recht. Sie lassen sich nicht beiseiteschieben.

Unvergessen ist in der CSU, wie Merkel mit dem Spitzenpersonal der Partei umging. Der Erste, der Merkels Flüchtlingspolitik attackierte, war Ex-CSU-Innenminister Friedrich. Seither reißt die Kritik aus der CSU nicht mehr ab. Friedrich kommt aus Oberfranken. Dort ist man auf Merkel seit Langem sauer. Sie servierte Friedrich 2013 ab, weil er Dienstgeheimnisse ausgeplaudert hatte. Er ist nicht der einzige Oberfranke auf ihrem Kerbholz. Vor ihm bootete sie schon CSU-Hoffnungsträger Guttenberg aus. Solche Wunden vernarben schlecht.

Zweite Schwesterpartei

Attacken gegen die CDU und CDU-geführte Bundesregierungen haben in der CSU Tradition. Strauß und Kohl lagen im Dauerclinch. Je schwächer damals die Position der CSU wurde, desto heftiger wurden ihre Angriffe. Sie reichten bis zur Drohung, die Union zu spalten. Doch am Ende knickte die CSU zähneknirschend kläglich ein.

Trotz dieser Konflikte nahm die Union bei Wahlen keinen Schaden. Die CSU schöpfte über die Konflikte mit ihrer Schwesterpartei ihr Wählerpotenzial in Bayern aus. Die CDU konnte die Auseinandersetzungen nutzen, um im Rest der Republik ihre Wähler zu mobilisieren.

Heute kann die SPD kann nur staunend zuschauen, wie sich die übrigen politischen Kräfte um Merkel gruppieren: rechts von ihr die CSU, links von ihr Grüne, Linke und regierungsferne Organisationen. Wo immer sich Merkel aufstellt, repräsentiert sie die Mitte. Die SPD sieht offenbar keine andere Möglichkeit, als Merkel zu folgen. Man könnte meinen, die SPD sei dabei, sich nach der CSU zur zweiten Schwesterpartei der CDU zu machen.

Nur wenig Spielraum

Seehofers Kritik verliert an Gewicht, je deutlicher wird, dass Merkel ein immer größeres Rad dreht. Zunächst öffnete sie die Tür für Zuwanderer. Nun versucht sie, die Zuwanderung zu drosseln und zu kanalisieren. Der Widerstand in ihrer Partei gegen ein Einwanderungsgesetz hat sich verkleinert. Die Behauptung, Deutschland sei kein Einwanderungsland, ist widerlegt. Auch in der EU setzt sie eine einheitliche Linie durch.

Die Ursachen der Flüchtlingsbewegung gewinnen nun endlich Beachtung. Es formiert sich eine Front gegen den IS-Terror im Irak und in Syrien. Putin bietet sich als Partner an, Merkel befürwortet die Kooperation mit ihm, wohl in Absprache mit Obama und Hollande. Unterdessen scheint sich der Ukrainekonflikt zu beruhigen, der zu Sanktionen gegen Russland führte. Mit der Forderung, den Wirtschaftsboykott zu beenden, rennt Gabriel die Tür ein, die Merkel geöffnet hat.

Seehofer hat für seine Kritik an Merkel nicht allzu großen Spielraum. Treibt er es zu bunt, werden ihm die CSU-Bundestagsabgeordneten in die Parade fahren. Sie wollen nicht, dass ihre Wiederwahl dadurch gefährdet wird, dass ihr Parteichef die Kanzlerkandidatin beschädigt.

Multikulti vor der Tür

Die Zuwanderung wird Deutschland verändern, besonders stark jedoch Bayern. Um mal richtig Multikulti zu erleben, mussten die Bayern bisher nach London oder New York reisen. Dort konnten sie die bunte Welt bestaunen, ohne von ihr berührt zu werden. Heimgekehrt auf bayrischen Boden, ließ es sich aufatmen: Mia san mia.

Diese Idylle zerbricht. Inzwischen liegt Multikulti für die Bayern ganz nah. Sie brauchen nur vor die Tür zu gehen. Wie lange wird es wohl dauern, bis in Altötting und Pfaffenhofen auch die Flüchtlinge aus Syrien sagen und denken: Mia san mia? – Ulrich Horn


Letzter Hinweis: Wollen Sie keinen Beitrag verpassen, können Sie rechts oben oder hier Post-von-Horn abonnieren. Empfehlen Sie Post-von-Horn auch Ihren Freunden bei Facebook und Google+.

7 Comments

  1. walter dyroff Reply

    -..auf dem Land, geht es noch ziemlich provinziell zu. Da sind die Bayern am liebsten unter sich.-
    Das haben sie mit den Menschen in Goslar und Gütersloh gemeinsam. Es scheint mir keine speziell bayerische Eigenschaft zu sein.

    -Vor ihm bootete sie schon CSU-Hoffnungsträger Guttenberg aus.-
    Danke dafür, Frau Merkel.

    -Um mal richtig Multikulti zu erleben, mussten die Bayern bisher nach London oder New York reisen.-
    Warum in die Ferne schweifen? Die Bahnhofstraße in Bielefeld ist auch ganz nett.

    -Wie lange wird es wohl dauern, bis in Altötting und Pfaffenhofen auch die Flüchtlinge aus Syrien sagen und denken: Mia san mia?-
    Ungefähr so lange wie die Szimanskis und Slomkas brauchten, um Kaiser, Führer und diverse Kanzler als ihr Oberhaupt anzuerkennen. Also, ziemlich lange.
    Ob die Integration reibungsarm verläuft, hängt von der wirtschaftlichen Entwicklung ab. Hier setzen Frau Merkel, Herr Seehofer und der Vizekanzler als Erfüllungsgehilfen des großen Geldes die falschen Signale.

  2. „Sie wollen nicht, dass ihre Wiederwahl dadurch gefährdet wird, dass ihr Parteichef die Kanzlerkandidatin beschädigt“.
    Wer so weit vorausdenkt, gilt manchen in diesen Zeiten als Phantast. Bis in 2 Jahren fließt noch vieles die Isar hinunter. Und es deutet eine Menge darauf hin, dass das nicht nur Wasser sein wird.

  3. Hubertus Bruch Reply

    “Die multikulturelle Gesellschaft ist hart, schnell, grausam und wenig solidarisch, sie ist von beträchtlichen sozialen Ungleichgewichten geprägt und kennt Wanderungsgewinner ebenso wie Modernisierungsverlierer, sie hat die Tendenz, in eine Vielfalt von Gruppen und Gemeinschaften auseinanderzustreben und ihren Zusammenhalt sowie die Verbindlichkeit ihrer Werte einzubüßen.” Daniel Cohn-Bendit. Ich schätze allerdings, dass Sie das so nicht gemeint haben, oder?
    Das Thema ist in Gänze von links bis rechts von der Union besetzt. Bereits heute brauchen weder die Bayern noch wir alle nach New York oder London zu reisen. Es reicht ein Ausflug nach Duisburg, Essen oder Köln und wir tauchen ein in Gesellschaften, deren Werte Rot und Grün seit Jahrzenten bekämpfen und nun zusätzlich an den Bahnhöfen willkommen heißen. Eine ziemlich obskure Situation.
    Interessant finde ich, dass sich sowohl Politik als auch Presse vor 2016/2017 wegducken. Was passiert denn, wenn der Zustrom weiter anhält? Wie werden wir dann die Bilder an den Zäunen ertragen? Wie wollen die Kommunen das bezahlen, wenn ein Großteil der Gelder des Bundes in den Ländern versacken? Woher sollen in so kurzer Zeit die ganzen Deutschlehrer/Räumlichkeiten kommen? Was passiert, wenn auch nur 50 % der jungen Männer keinen Job bekommen? Glauben Politiker und Journalisten allen Ernstes, dass die deutsche Mittelschicht ihre Kinder in Kindergärten und Schulen mit sprachunkundigen Migranten schickt?
    Ihr Hinweis gen London und New York ist da hilfreich. Da können wir uns anschauen, wo die Multikultireise wohl hingehen wird.

    • Ulrich Horn Reply

      Auf Ihre Frage an mich brauche ich gar nicht zu antworten. Das tun Sie selbst – mit dem letzten Satz Ihres Kommentars.

      • Hubertus Bruch Reply

        Ja, das stimmt natürlich! War auch eher ironisch-provokativ gemeint.

  4. Das grosse Problem liegt im Arbeitsmarkt. Und einer falschen Wirtschaftspolitik. Zwar hat Seehofer mal angedeutet, zugunsten einer höheren Inlandsnachfrage die Schuldenbremse im GG auszusetzen, aber solange die Politik nicht bereit ist, alles einem verbindlichen Beschäftigungsziel unterzuordnen, sind die Flüchtlinge auch nicht zu intregrieren.
    Über die Hälfte (55,2%)- bei den Singles sogar 64,7% der abhängig beschäftigten Aufstocker arbeitet wöchentlich weniger als 15 Stunden. d.h. in einer früheren Arbeitsmarktstatistik wären diese als Vollarbeitslose gezählt worden. Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist alles andere als ein boomender.

  5. Roland Appel Reply

    Migration und Flucht sind Realitäten unserer Weltregion – übrigens wandern jählich über 800.000 Menschen aus Deutschland AUS! Man kann es natürlich auch wie Pippi Langstrumpf, Seehofer, Orban und andere Rechtspopulisten machen, auch hier die Welt anders backen. Klappt aber nicht – ich finde es immer wieder witzig, wie die verbalen Anhänger der Marktwirtschaft und des Freihandels, freier Kapitalflüsse usw. glauben, Menschen in Grenzen einsperren zu können. Am besten noch nach Kriegen wie in Syrien und Libyen, an denen man waffenliefernd Mitverantwortung trägt. Wenn solcher Irrsinn nicht klappt, beschimpft man dann Politiker oder zündet Füchtlingsheime an. Tolle Intelligenzleistung.
    Die CSU ist sich immer noch nicht klar darüber, dass die Kanzlerin für ein Einwanderungsrecht neben dem Asyl, das dringen gebraucht wird, auch eine Mehrheit gemeinsam mit SPD und Grünen, aber ohne die CSU suchen könnte – ohne die Ewiggestrigen und populistischen CSU-Fundis, die dann mit Pegida und NPD im rechten Sumpf gründeln könnten. Dann hätte die SPD auch in Bayern endlich mal ne Chance.

Reply To Hubertus Bruch Cancel Reply