Was haben SPD und Grüne in NRW nicht alles angestellt, um 2010 an die Macht zu kommen. Zu schwach, die Mehrheit zu erringen, muteten sie dem Land eine Minderheitsregierung zu, die nur begrenzt handlungsfähig war. Aus Angst, am Ende der Legislaturperiode 2015 die Macht zu verlieren, provozierte sie 2012 vorzeitig Neuwahlen. Seither findet Politik in NRW kaum noch statt. Das Land stagniert.

Prestige verspielt

Das Elend beginnt bei der Regierung. Das Kabinett erscheint matt. Etliche Minister wirken verbraucht. Die wenigsten haben es geschafft, sich mit Projekten zu verbinden, die das Leben der Bevölkerung erleichtern und die Wettbewerbsfähigkeit des Landes stärken.

Ein großer Teil der Minister ist jenseits der Lobbyistenkreise kaum bekannt. Die meisten spielen auch in bundesweiten politischen Debatten keine Rolle. Das Kabinett hantiert weitgehend ohne Bindung zur Verwaltung. Ein großer Teil von ihr befindet sich in der inneren Emigration. Das Kabinett müsste erneuert werden. Doch Alternativen zum aktuellen Personal sind nicht in Sicht. Das eine oder andere Kabinettsmitglied droht den Regierungsparteien bis zur NRW-Wahl 2017 zur Last zu werden.

Auch die Ministerpräsidentin hat abgebaut. Sie schwächte sich 2014 durch etliche unerwartete Aussetzer selbst. Mit leichtfertigem Gerede und mit ihrem verfassungswidrigen Vorgehen gegen einen Teil der Beamten hat sie im Land und in der Ministerialbürokratie Prestige verspielt. In der Zukunftsplanung der Bundes-SPD spielt Kraft keine Rolle mehr. Im Kreis der SPD-Regierungschefs rutschte sie hinter Hamburgs Bürgermeister Scholz in die zweite Reihe.

Vom Stand der Technik abgekoppelt

Wie viele ihrer Minister kann auch Kraft nicht vermitteln, wohin sie das hoch verschuldete Land führen will. Die Regierungschefin beschränkt sich darauf, als Landesmutter aufzutreten. Zwangsläufig treten die Defizite des Landes von Jahr zu Jahr stärker in den Vordergrund. Längst steht das Bild, das Kraft in ihren Reden von NRW zeichnet, im Kontrast zu wissenschaftlichen Erkenntnissen und zu den Alltagserfahrungen der Bürger.

Es fällt Kraft immer schwerer, die Rat- und Planlosigkeit ihrer Regierung zu verbergen. Selbst eingefleischte Sozialdemokraten beklagen den Mangel an Konzepten und flüchten sich in Resignation. Sie wird verstärkt von den riesigen Problemen der abgewirtschafteten NRW-Kommunen, aber auch von SPD-Chef Gabriel. Der Bundeswirtschaftsminister bringt die NRW-Regierung immer wieder in Verlegenheit. Gelegentlich scheint es so, als mache er Politik gegen seine Parteifreundin Kraft.

Ihre Versuche, der NRW-Koalition Schwung zu geben, tragen bisher nicht. Die digitale Offensive, die sie zum Jahresbeginn proklamierte, ist verpufft. Es fehlt an Geld und Ideen. Statt neuen Schub zu schaffen, rückte Kraft mit ihrem Vorstoß die Defizite des Landes bei der Digitalisierung erst richtig ins Rampenlicht: In NRW sind nicht nur ländliche Regionen vom Stand der Technik abgekoppelt. Auch die Großstädte im Ruhrgebiet hinken hinterher.

Die Infrastruktur verfällt

Wie begrenzt der Handlungsspielraum und die Gestaltungskraft der Landesregierung ist, zeigt sich in vielen Bereichen, besonders deutlich an der Infrastruktur. Ob Straßen, Brücken, Kanäle, Schienennahverkehr, Bahnhöfe, Züge oder die Strecken der Bahn: Die maroden Verkehrswege beeinträchtigen längst die Unternehmen und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die Industrie- und Handelskammern schlagen lauthals Alarm.

In NRW verfällt nicht nur die Infrastruktur. Auch die Fähig- und Fertigkeiten der Politik, Entwicklungen voranzutreiben, sind geschrumpft. Als hätte ein Dramaturg diesen Umstand in Szene setzen wollen, erlebte während Krafts jüngster Reise durch China der Transrapid seine spektakuläre Auferstehung – in Japan. In NRW war er vor gut einem Jahrzehnt beerdigt worden.

Auch ohne diese Reminiszenz an den bekanntesten Misserfolg sozialdemokratischer Bemühungen, ein Zeichen für den Strukturwandel in NRW zu setzen, wirkte Krafts Chinatour mit Unternehmern und Wissenschaftlern im Gefolge recht skurril. China plant seinen eigenen Strukturwandel. Es will weg von der Dominanz der Schwerindustrie, hin zur Entwicklung neuer Städtekonzepte. Als Vorbild pries Kraft ihren Gastgebern das Ruhrgebiet an: „Wir sind Experten für Strukturwandel.“

Noch tiefer in den Morast

Dabei dürfte selbst im fernen China bekannt sein, dass der Himmel über der Ruhr inzwischen auch deshalb blau ist, weil viele Hunderttausend Arbeitsplätze in der Schwerindustrie ersatzlos verloren gingen und die meisten Fabriken mit rauchenden Schloten längst stillgelegt wurden. Doch Luft und Wasser im Ruhrgebiet sind im Bundesvergleich auch heute noch besonders stark belastet, wie ausgerechnet während Kraft Chinareise bekannt wurde.

Der Smog der Wiederaufbaujahre hat sich zwar verflüchtigt. Er ist jedoch Problemen gewichen, die das Ruhrgebiet auf andere Weise zu ersticken drohen. Die Revierstädte sind hoffnungslos überschuldet und weitgehend handlungsunfähig. Sie haben ihre Dienstleistungen auf ein Minimum zusammengestrichen. Ihre großen Verwaltungsapparate sind nur aufrechtzuerhalten, weil Bürger und Unternehmen mit sehr hohen Abgaben belastet werden. Die Arbeitslosigkeit liegt trotz guter Konjunktur seit Jahren im zweistelligen Prozentbereich.

Die Armut im Ruhrgebiet wächst. Sie hat den Spitzenplatz in Deutschland erklommen. Das wirtschaftliche Fundament der Städte wankt. Die Stadtwerke schwächeln. Während Kraft in China weilte, kämpft RWE ums Überleben. Bleiben die Dividenden und Steuervergünstigungen aus, die mit der Beteiligung der Kommunen an RWE verbunden sind, geraten viele Städte im Ruhrgebiet noch tiefer in den Morast.

Unfassbare Planungspannen

So wundert es nicht, dass Krafts Reise ins Reich der Mitte kaum Schlagzeilen mit Geschäftsabschlüssen machte, wohl aber mit unfassbaren Planungspannen. Die Düsseldorfer Staatskanzlei ließ Duisburgs Hafenchef ohne gültiges Visum nach China fliegen. Prompt wurde ihm die Einreise verweigert. Kaum gelandet, musste er unverrichteter Dinge mit dem nächsten Flieger zurück nach Deutschland.

Lange Gesichter machten auch die Bergbauzulieferer in Krafts Reisetross, als sie feststellten, dass sie auf dieser Regierungstour keinen Abschluss machen konnten. Ihre Spitzentechnologie ist im chinesischen Strukturwandel nicht gefragt. Bisher hat ihnen jede Landesregierung große Exportchancen prophezeit. Nun sind die Mittelständler mit der Befürchtung heimgekehrt, dass ihre Betriebe große Probleme bekommen könnten, wenn 2018 in NRW der letzte Schacht dichtgemacht wird.

Es wäre nicht verwunderlich, wenn dann Delegationen aus China NRW besuchen, um der Düsseldorfer Landesregierung chinesische Konzepte für einen erfolgreichen Strukturwandel anzubieten. Dass China einen seiner Spitzenmanager ohne gültiges Visum nach Deutschland fliegen lässt, wird man ganz sicher nicht erleben. – Ulrich Horn


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3 Comments

  1. Pingback: Der Ruhrpilot | Ruhrbarone

  2. walter dyroff Reply

    Sehr geehrter Herr Horn,
    Sie sagen:
    “China plant seinen eigenen Strukturwandel. Es will weg von der Dominanz der Schwerindustrie, hin zur Entwicklung neuer Städtekonzepte.“
    Um dann festzustellen:
    “weil viele Hunderttausend Arbeitsplätze in der Schwerindustrie[im Ruhrgebiet] ersatzlos verloren gingen und die meisten Fabriken mit rauchenden Schloten längst stillgelegt wurden.“

    Diese Entwicklung kann man auch in den USA, in England und dem Saar-Lor-Lux – Raum beobachten.
    In einiger Zeit werden sie diese Verhältnisse vermutlich auch in China antreffen.
    Niedergang und Konzentration der Schwerindustrie sind schon seit 1950 zu beobachten.
    Stahlkriese.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Stahlkrise

    Seit dieser Zeit bemühen sich verschieden farbige Landesregierungen erfolglos, die Symptome zu lindern.
    Weiter schreiben Sie:
    “Ihre Spitzentechnologie [der aus NRW] ist im chinesischen Strukturwandel nicht gefragt.“

    Warum wohl nicht? Taugt das Zeug nichts? Oder gibt es geopolitische Hindernisse?
    Paul C. Roberts schreibt in Antikrieg.com:
    http://antikrieg.com/aktuell/2014_03_26_wieviel.htm
    “Wieviel Krieg will Washington?
    Die Regierung Chinas, die Washingtons Kriegspläne gegen China kennt und sich voll bewusst ist der „Achse nach Asien“ Washingtons, in der das „unentbehrliche Land“ seine „Sicherung des Friedens“ durch die Einkreisung Chinas mit Marine- und Luftwaffenstützpunkten angekündigt hat, versteht, dass sie den selben Feind in Washington hat wie Russland.“

    Je länger Leute wie Röttgen und seine journalistischen Büchsenspanner in den Medien und der Nato Russland, China und Iran bedrohen, kann man es den chinesischen Oligarchen nicht verdenken, dass sie auf Vereinbarungen, die im Zweifelsfall nicht eingehalten werden, verzichten. Z. B. EU-Embargo gegen Russland.
    Welche Maßnahmen helfen nun dem Ruhrgebiet weiter?
    1. Ende der übermäßigen Exportlastigkeit.
    2. Stärkung der Binnennachfrage durch angemessene Beteiligung der Beschäftigten am Produktivitätsfortschritt. Denn auch der spiegelt sich im Arbeitsplatzabbau in der Schwerindustrie wieder.
    3. Gerechte Besteuerung aller Einkommensarten.
    4. Zerschlagung der sogenannten „Investmentbanken“.
    5. Abkoppelung Europas von der aggressiven US Politik.
    Schließlich zahlt auch Deutschland seinen Anteil an den Kriegen und Kriegsvorbereitungen in Afghanistan, der Ukraine, Libyen, Syrien usw durch Kürzung der Renten und anderer Sozialleistungen.
    Verschenkte U-Boote gehen ebenfalls zu Lasten der Infrastruktur in Deutschland.
    1. Als Kosten der direkten Subvention,
    2. als Kriegsfolgekosten (Flüchtlingsabwehr).

    Natürlich soll man auch das Wirken eines Beinfreiheit Steinbrück und Wissengesellschaft Clemens kritisch hinterfragen. Ebenso sind die Verwaltungsstrukturen, die Cross Border Leasing möglich machen, zu durchleuchten.

  3. Pingback: Links anne Ruhr (28.04.2015) » Pottblog

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