In NRW kann man beobachten, wie eine Koalition versucht, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen, die sie sich selbst um den Hals gelegt hat.
Die Ausgaben kürzen
Seit vier Jahren amtiert die rot-grüne Koalition in NRW. Seither hat sie die Ausgaben des Landes munter gesteigert und seine Einnahmen beträchtlich gesenkt. Unter anderem schaffte sie die Studiengebühren und die Elternbeiträge für das dritte Kindergartenjahr ab. Nun droht diese Spendierfreude die Koalition zu strangulieren.
Bis 2020 muss NRW die Neuverschuldung auf Null herunterfahren. Von Jahr zu Jahr wird also die Möglichkeit schrumpfen, wachsende Ausgaben über Kredite zu finanzieren. Soll das Land die Schuldenbremse erreichen, muss die Regierung Kraft Leistungen kürzen und Stellen streichen.
Bisher senkte sie die Neuverschuldung nur unzureichend. Weil sie die Einnahmen zu optimistisch einschätzte und die Ausgaben unterschätzte, muss sie 2014 und 2015 mehr Schulden machen als geplant. Damit verkürzt sie den Zeitraum, der ihr zum Abbau der Neuverschuldung bleibt. Die Folgen sind für die Koalition äußerst unangenehm. Sie muss nun von Jahr zu Jahr stärker kürzen.
Die Macht riskieren
Mit ihrer Haushaltspolitik hat sich die Regierung – ohne Zutun der Opposition – selbst unter Druck gesetzt. Kürzungen sind geboten. Sie sind jedoch riskant. Je größer sie ausfallen, desto größer wird das Risiko, Widerstand auszulösen. 2015 muss Kraft über Kürzungen für 2016 entscheiden. 2017 steht die NRW-Wahl an. Die Gefahr nimmt zu, Wähler aufzubringen und die Wahl zu verlieren.
Wie schnell die Macht verspielt ist, konnten SPD und Grüne nach 2005 an der schwarz-gelben Koalition studieren. Die Regierung Rüttgers traf Entscheidungen, die den öffentlichen Dienst auf die Palme brachten. Es kam zu großen Demos, die den Sturz der schwarz-gelben Koalition einleiteten.
Einen Vorgeschmack auf das, was der rot-grünen Koalition blühen kann, erlebte sie, als sie einem Teil der Beamten die Tariferhöhung vorenthielt. Seither ist die Koalition bei vielen Beamten unten durch. Noch stärkere Kürzungen könnten die Gewerkschaften zwingen, auch gegen Rot-Grün zu mobilisieren. Die Aussicht der Koalition, die NRW-Wahl zu gewinnen, würde schrumpfen.
Gegenseitig blockieren
Um dieser Gefahr zu entrinnen, nutzt die Regierung jede Chance, ihre Einnahmen zu erhöhen. Je stärker sie steigen, desto weniger muss gekürzt werden. Wie groß die Sorge ist, für Kürzungen abgestraft zu werden, zeigte sich, als die Regierung entgegen früherer Zusicherungen ankündigte, die Grunderwerbssteuer anzuheben. Um sich Kürzungen zu ersparen, riskiert die Regierung sogar, Investitionen in den Wohnungsbau zu erschweren.
Seit Langem wird in der Koalition über die Verteilung der Einschnitte gesprochen. Die Grünen wollen im Bereich des SPD-geführten Innenministeriums kürzen. Sie empfehlen, Verwaltungen der Polizei zu straffen und dort viele Hundert Stellen zu streichen. In der SPD wird darüber geredet, im Bereich des grünen Schulministeriums zu kürzen.
Allmählich rückt der Zeitpunkt heran, an dem die Koalition Entscheidungen treffen muss. Bisher bemüht sich jeder Koalitionspartner, die Wünsche des anderen abzuwehren, um seine Interessen zu wahren. Jeder hält dem anderen vor, er blockiere. Noch gelingt es der Koalition, ihre Differenzen intern zu halten. Ob ihr eine einvernehmliche Lösung gelingt, ist ganz und gar nicht ausgemacht.
In Stellung gegangen
Innenminister Jäger und die Polizei wiesen in den vergangenen Monaten drastisch nach, dass Kürzungen bei der Polizei ins Chaos führen. Der Versuch, Einsatzkräfte bei Fußballspielen zu verringern, schlug fehl: In Gelsenkirchen kam es zu Prügeleien. In Köln geriet eine Hooligan-Demo aus den Fugen, weil nicht genügend Polizisten bereit standen. Dabei war frühzeitig klar, dass die Demo größer ausfallen würde und die Hooligans auf Krawall gebürstet waren.
Der Polizeieinsatz missriet, wie vorauszusehen war. Er belegte eindrucksvoll, wie gefährlich es wäre, Stellen bei der Polizei zu streichen. Der Chef der Polizeigewerkschaft GdP sah sich die großen Probleme der viel zu kleinen Polizeitruppe in Köln aus nächster Nähe an. Sollte die Regierung daran gehen, in größerem Umfang Planstellen bei der Polizei zu streichen, wird er wohl auf die Barrikaden gehen.
Auch die Gewerkschaften der Lehrer sind längst in Stellung gegangen. Sie können darauf verweisen, dass NRW zu große Klassen hat und die Schulen demnächst mit der Integration behinderter Schüler fertig werden müssen und deshalb jede Lehrerstelle gebraucht wird.
Keinen Königsweg entdeckt
Wo wird die Regierung kürzen? Sie kann sich vor guten Ratschlägen kaum noch retten. Die Rheinische Post hat eifrig zusammengetragen, wer dem Kabinett wo wie viel zu kürzen empfahl, und kam auf einen Gesamtbetrag von zwei Milliarden Euro. Diese Hausnummer wird manchen Empfänger von Landesmitteln zusammenzucken lassen.
Macht sich die Koalition solche Empfehlungen zu eigen? Einen Königsweg für Kürzungen hat Rot-Grün bisher nicht entdeckt. Der grüne Fraktionschef Priggen prophezeit, es werde wohl auf viele kleine Einschnitte hinauslaufen. Ob dann aber auch die Proteste klein ausfallen, ist keineswegs gewiss. – Ulrich Horn
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4 Comments
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Knapper und treffender kann man die Situation kaum beschreiben. Welche Lösung bietet sich denn in dieser schwierigen Lage an?
Die von der Rheinischen Post zusammen getragenen Kürzungsvorschläge sind von eher durchwachsener Qualität. So empfiehlt z. B. ein „Experte“ vom Bund der Steuerzahler, für Beamte die 41 Stundenwoche einzuführen. Hierdurch ließen sich jährlich 150 Mio. € einsparen. Ihm scheint entgangen zu sein, dass die 41 Stundenwoche für Beamte bereits 2003 eingeführt wurde. Sicher wird man beim Bund der Steuerzahler von einer beträchtlichen Kompetenz auf den Gebieten Lobbyismus, Selbstinszenierung und Wichtigtuerei ausgehen können, guter Rat in Sachen Wirtschafts- und Finanzpolitik ist von dort nicht zu erwarten.
Sicher ist die Erhöhung der Grunderwerbsteuer zu kritisieren. Sie belastet diejenigen, die mit i. d. R. selbstverdientem Geld die Anstrengung unternehmen, Wohneigentum zu erwerben. Eigentlich gehört die Grunderwerbsteuer auf selbstgenutztes Wohneigentum abgeschafft, zumindest deutlich reduziert. Dass genau das Gegenteil geschieht, ist allein der Tatsache geschuldet, dass die Länder über keine andere Steuerquelle mit einem nennenswerten Einnahmepotenzial verfügen.
Finanzpolitischen Gestaltungsspielraum haben Landesregierungen demgegenüber auf der Ausgabenseite. Seit 2003 haben alle Landesregierungen ihre Sparanstrengungen darauf konzentriert, den Beamten systematisch in die Taschen zu greifen. So folgte Sonderopfer auf Sonderopfer – in der Summe ein jährlicher Sparbeitrag der NRW Beamten von inzwischen deutlich mehr als 2 Mrd. €. Keine andere Bevölkerungsgruppe wurde in jüngerer Zeit derart geschöpft. Allerdings gibt es Anzeichen, dass die Zeit dieser Raubzüge bald zu Ende gehen könnte: Am 3. Dezember dürfte der Finanzminister mit Spannung verfolgen, was in Karlsruhe verhandelt wird.
Es bleibt festzuhalten: Die letzten Landtagswahlen wurden mit Versprechungen gewonnen, deren Einlösung sich NRW unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen nicht leisten kann. Dies gilt sowohl für die Abschaffung der Studiengebühren als auch für das beitragsfreie Kindergartenjahr.
Verantwortliche Finanzpolitik erfordert demgegenüber eine grundlegende Reform der bundesdeutschen Finanzverfassung mit dem Ziel einer gerechten und transparenten vertikalen wie horizontalen Zuordnung von Aufgaben und Finanzmitteln zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das Steuersystem ist so umzugestalten, dass große Vermögen und Erbschaften sowie Kapitaleinkommen angemessen zur Finanzierung gesellschaftlich notwendiger Aufgaben herangezogen werden. Kein Landesfinanzminister darf sich mehr zu einer so fragwürdigen Maßnahme wie einer Erhöhung der Grunderwerbsteuer gezwungen sehen.
Dies wären Projekte gewesen, für die eine große Koalition im Bund hätte stehen müssen. Dass es so nicht gekommen ist, daran hat unsere Ministerpräsidentin und SPD-Landes- sowie Stv. Bundesvorsitzende einen gewissen Anteil …
Deswegen, sehr geehrter Herr Horn, kann ich Ihrem Bild von der Schlinge, die man sich selbst um den Hals gelegt hat, leider nicht widersprechen.
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