Hannelore Kraft schien in den vergangenen Monaten die Zügel schleifen zu lassen. Die NRW-Regierungschefin sendete verwirrende Signale. Im Frühjahr thematisierte sie ihren Rücktritt. Gleichzeitig ließ sie Gerüchte wuchern, sie könnte 2017 für das Amt des Bundespräsidenten antreten. Während Münster unter Wasser stand, machte sie Urlaub und war tagelang nicht zu erreichen. Das Image als bodenständige Frau, die sich um alles kümmert, bekam Kratzer.

Einfluss der Gewerkschaften

Auch der öffentliche Dienst trug dazu bei. Er steht unter Druck, seit in Berlin die Große Koalition regiert. Zunächst hofften Kommunalpolitiker und die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, die schwarz-rote Regierung könnte die Steuern erhöhen, um die Etats von Ländern und Städten zu entlasten.

Doch die Erwartung trog. SPD-Chef Gabriel entschied, das Gebot der Stunde sei es, Steuern zu senken. Ländern wie NRW, die sich Kürzungen bisher weitgehend ersparten, sind nun genötigt, sich zu beeilen, um die Schuldenbremse 2020 zu erreichen.

Rot-grünen Regierungen fällt es schwer, sich diesem Zwang zu beugen, vor allem jenen, die stark vom öffentlichen Dienst und seinen Gewerkschaften getragen werden. Deren Einfluss auf die SPD und die Grünen ist beträchtlich.

Desaster für Rot-Grün

Das gilt vor allem für NRW mit seinen zahlreichen großen Städten. Ihre Verwaltungen und Betriebe sind einflussreiche Arbeitgeber. Die Gewerkschaften sind dort gut organisiert. Sie wirken in SPD und Grüne hinein und halfen, Schwarz-Gelb abzulösen und Rot-Grün zu etablieren. Kraft verdankt es auch dem öffentlichen Dienst, dass sie ins Amt kam und dort blieb.

Mit unpopulären Kürzungen vor allem bei den Personalkosten können rot-grüne Landesregierungen leicht ihre Machtgrundlage unterspülen. Kürzungen erfordern deshalb Umsicht und müssen sorgsam begründet werden. Um Erosionen zu vermeiden, betonen Regierungen, sie gehorchten lediglich der Not und dem Zwang.

Rot-Grün in NRW missriet die erste größere Sparaktion jedoch zum Desaster. Kraft wollte das Tarifergebnis nicht auf alle Beamten übertragen. Doch die Nullrunde für höhere Beamte scheiterte vor dem Verfassungsgericht. Die Regierung musste nachbessern. Die Kürzung der Personalkosten fiel geringer aus als geplant.

Die Brocken hinwerfen

Dass die Große Koalition die Steuern nicht erhöhte, hatte Kraft hart getroffen. Die überschuldeten Kommunen waren tief enttäuscht, dass die erhoffte Entlastung aus Berlin zunächst ausblieb.

Der Unmut der Kommunalpolitiker machte sich auch an Kraft fest. Sie hatte immer wieder gefordert, die Einnahmen müssten verbessert werden. Dass sie den Koalitionsvertrag na anfänglichem Widerstreben schließlich gut hieß, ihre Forderung aber nicht durchsetzte, sorgte für viel Frust.

Er war wohl so groß, dass sich Kraft genötigt sah, ein Signal zu setzen. Sie warnte ihre Partei vor dem Versuch, sie über Intrigen zu demontieren. Sie könne die Brocken in NRW auch hinwerfen, sagte sie. Das klang wie eine Drohung Richtung Berlin und Düsseldorf. Ohne Kraft an der Spitze hätte die SPD bei der NRW-Wahl 2017 wohl kaum Chancen, sich als Regierungspartei zu behaupten.

Aufstieg auf der Karriereleiter

Die Opposition nimmt Krafts Drohung dankbar auf und wertet sie als Beleg für Amtsmüdigkeit. Kraft verliere die Lust, sich mit den Problemen des Landes herumzuschlagen und liebäugle mit einer Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten, verbreiten CDU und FDP genüsslich. Kraft habe den Zenit ihrer Wirkung auf die Wähler überschritten. Von jetzt an gehe es bergab.

Diese Behauptung ist Wasser auf die Mühlen der Kraft-Skeptiker in der SPD und ihrer Landtagsfraktion. Die Proteste der Beamten gegen die Nullrunde und die Niederlage vor dem Verfassungsgericht zerren an Krafts Autorität. CDU und FDP wissen nur zu genau, dass unter solchen Umständen in Parteien und Fraktionen sehr schnell Eigensucht um sich greift und liefern ihr deshalb Nahrung.

Inzwischen nutzen karrierebewusste Kräfte in der SPD und ihrer Landtagsfraktion die Lage, um die Regierungschefin unter Druck zu setzen und infrage zu stellen.  Mancher junge Abgeordnete, der an seinem Aufstieg arbeitet, hält die Zeit für gekommen, dass Kraft ihm auf die nächste Sprosse der Karriereleiter hilft. Mit dem Argument, die Regierungschefin müsse Handlungsfähigkeit zeigen, soll sie gedrängt werden, das Kabinett umzubilden, um Platz für Aufstiege zu schaffen.

Intrigen in den eigene Reihen

Hellsichtig hatte Kraft im Frühjahr öffentlich vor Intrigen in der eigenen Partei gewarnt. „Wir sind alle darauf gefasst. Es kann einem passieren. Man muss damit rechnen“, sagte sie und fügte dann hinzu: „Wenn mich einer bekämpft, dann in der Regel die eigenen Leute.“ Sie dürfte sich noch daran erinnern, wie Rau in den 90er Jahren von eigenen Genossen aus dem Amt gemobbt wurde, nachdem er einmal selbst seinen Rücktritt angesprochen hatte.

Um solchen Umtrieben die Spitze zu nehmen, setzte Kraft vor ein paar Tagen das nächste Signal. Sie widersprach allen Unlust- und Fluchtgerüchten. Sie bleibe in NRW und werde bei der Landtagswahl 2017 erneut antreten. Ihre Botschaft: Niemand solle sich täuschen. Sie habe die Zügel in der Hand. Doch hat sie noch die Energie, sie zu straffen?

Damit niemand an ihrer Entschlossenheit zweifelt, erklärte sie, mit den bisherigen Kürzungen bei den Beamten sei es nicht getan. Die Personalkosten des Landes müssten weiter sinken. Ob Kraft und der SPD dieser Plan bekommt, könnte sich schon bei den Bürgermeister-Wahlen im Herbst 2015 zeigen. – Ulrich Horn


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4 Comments

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  2. Kraft hat die Zügel in der Hand, und sie zieht diese immer fester an. Der Einfluss der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und des öffentlichen Dienstes selber auf Rot-Grün ist weitaus schwächer als dargestellt. Obwohl das nun vom Verfassungsgerichtshof gekippte Nullrundengesetz evident verfassungswidrig war, haben alle Regierungsabgeordneten, darunter zahlreiche Gewerkschaftsfunktionäre und -mitglieder sowie Beamte, die Auseinandersetzung mit dem Gesetz verweigert. In namentlicher Abstimmung haben seinerzeit alle diese Abgeordneten das Gesetz brav abgenickt.
    Nach der Pleite vor dem Verfassungsgerichtshof haben sich dann die Spitzenverbände der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes von Kraft ohne Not eine Vereinbarung aufzwingen lassen, die ebenfalls zumindest in Teilen verfassungsrechtlich bedenklich sein dürfte – anstatt Kraft einfach machen zu lassen und sie erneut vor das Gericht zu zerren. Das ganze wurde von Kraft noch mit weiteren Drohungen für die Zukunft garniert. Nebenher bemerkt, das alles hatte eine Austrittswelle bei den Verbänden zur Folge, die diese natürlich bestreiten.
    Deutlicher kann sich aber nicht zeigen, wer Herrin im Hause ist – die Gewerkschaften eher nicht.
    Der neue Gesetzentwurf zur Besoldungsanpassung ist nun vom Landtag an den zuständigen Ausschuss überwiesen worden, obwohl er in einem Punkt schlicht rechtswidrig (Versorgungsabschlag für Kommunalbeamte verstößt gegen NRW-Recht) und in weiteren Punkten (Erhöhung für 2013,2014 liegt zum Teil unter 1%, Alimentation ist nach Maßgabe des Verfassungsgerichtshofes insoweit verfassungswidrig) nicht verfassungskonform ist.
    Auch diesmal verweigern sich die angesprochenen MdL der Debatte, und es steht zu erwarten, dass auch dieses Gesetz ohne intensive Prüfung mit Kadavergehorsam verabschiedet werden wird.

    Nie waren der öffentliche Dienst und seine Gewerkschaften in NRW zahnloser und ohnmächtiger als unter Kraft.

  3. ManInBlakk ist für diese unbedingt gebotene Richtigstellung zu danken. Auch der Begriff des „Kadavergehorsams“ der Abgeordneten ist leider zutreffend. Die Verantwortung für den traurigen Zustand unseres Landes liegt eben nicht nur bei Frau Kraft und ihren Vorgängern im Amt, sondern bei all jenen Abgeordneten, die die Verfassungsbrüche der Regierenden stets gehorsam exekutieren.

    Zur Erinnerung:

    „(1) Der Landtag besteht aus den vom Volke gewählten Abgeordneten.

    (2) Die Abgeordneten stimmen nach ihrer freien, nur durch die Rücksicht auf das Volkswohl bestimmten Überzeugung; sie sind an Aufträge nicht gebunden.“ (Art. 30 Landesverfassung).

    Das nachhaltige und systematische Versagen der Volksvertreter vor den an die Wahrnehmung ihres Mandats zu stellenden Anforderungen untergräbt letztendlich die Legitimation des Parlaments insgesamt.

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