(uh) Die CDU fällt in den Großstädten zurück. Das bestätigen die Kommunalwahlen in NRW und Niedersachsen. Wie erklärt sich die Partei die Verluste? Ihr Generalsekretär Tauber meint, sie müsse sich darum bemühen, das urbane Lebensgefühl besser zu treffen. Da kann man nur sagen: Waidmannsheil. Solange die CDU das urbane Lebensgefühl sucht und treffen will, hat sie ihren Tiefpunkt in den Großstädten wohl noch nicht erreicht.

Kampfbegriff aus der Propaganda-Kiste

Seit jeher gehört zur politischen Auseinandersetzung die Behauptung, der Gegner sei nicht auf der Höhe der Zeit. Eine Partei, der dieses Brandzeichen aufgedrückt wird, gilt als rückschrittlich, unmodern und den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen. Die CDU ist der Behauptung, ihr fehle der Zugang zum Lebensgefühl der Großstädte, hilflos ausgeliefert, weil sie dazu neigt, ihr zu glauben. Teile der Partei benutzen sie selbst gerne, um sich in den eigenen Reihen Vorteile gegen andere Gruppierungen zu verschaffen.

Was es mit dem Lebensgefühl der Großstädte auf sich hat, bleibt nebulös. Es wird vorausgesetzt, dass es existiere, dass jeder wisse, wie es beschaffen sei und jeder nachvollziehen könne, dass die CDU ihm nicht entspreche. Zweifler werden auf die Großstadt-Kandidaten der Partei verwiesen. Sie werden für großstadtuntauglich erklärt, wenn ihre Wahlergebnisse schwach ausfallen. Haben Kandidaten mit guten Wahlresultaten das Lebensgefühl in ihrer Stadt getroffen? Wer das Lebensgefühl zur Bedingung für den Wahlerfolg macht, setzt voraus, der Wähler bewerte die Kandidaten nach ihrem Zugang zum Lebensgefühl. Doch welcher Wähler tut das?

Bei der Lebensgefühl-Debatte bleibt außer Acht, dass es in einer Stadt mehrere koexistierende und konkurrierende Lebensgefühle geben kann. Wie sich Kandidaten die Lebensgefühle ihrer Stadt erschließen sollen, um Wahlen zu gewinnen, bleibt ebenfalls im Dunkeln – aus gutem Grund. Jede Präzisierung würde das Lebensgefühl als das entlarven, was es ist: ein Kampfbegriff aus der parteipolitischen Propaganda-Kiste zur Diffamierung des politischen Gegners.

Kein Projekt des Aufbruchs

In der praktischen Politik ist das Lebensgefühl ohne Belang. Will ein Kandidat in einer erfolglosen, verzagten Stadt Wahlen gewinnen, kann er sich deren deprimierendes „Lebensgefühl“ nicht zu eigen machen. Er muss eher dessen Gegenteil vermitteln. Er muss Optimismus und Hoffnung ausstrahlen.

Parteien und Politiker werden nicht gewählt, weil sie ein Lebensgefühl verkörpern, sondern weil viele Wähler annehmen, sie seien in der Lage, die Lebensumstände in ihrer Stadt zu gestalten. Dem Düsseldorfer Ex-Oberbürgermeister Elbers von der CDU traute die Mehrheit diese Aufgabe nicht zu, seinem SPD-Konkurrenten Geisel dagegen sehr wohl.

Dabei kennt die Mehrheit Geisel gar nicht, und schon gar nicht seinen Zugang zu den Lebensgefühlen in Düsseldorf. Geisel wurde gewählt, weil viele Wähler Elbers über hatten und Geisel ein Projekt präsentierte, dem die Mehrheit zustimmt: Er will die Stadtteile aufpolieren und in Schwung bringen. Das gefällt auch CDU-Wählern. Elbers fehlte ein solches Projekt des Aufbruchs. Er begnügte sich mit dem Hinweis, in der Stadt laufe doch alles gut. Geisels Vorhaben führte den Wählern vor Augen, dass noch vieles zu verbessern sei und die CDU mit Elbers ohne Plan da stand.

An Spannbreite eingebüßt

Ob Großstadt, Kleinstadt oder Dorf – wer Kommunalwahlen gewinnen will, muss eine Idee davon haben, wohin sich die Kommune entwickeln soll. Die Idee muss so beschaffen sein, dass sich mit ihr eine Mehrheit mobilisieren lässt. Die Aufgabe im Wahlkampf besteht darin, die Mehrheit hinter der Idee zu versammeln. Der Kandidat muss nicht ein Lebensgefühl verkörpern, sondern sein Konzept. Die Wähler erwarten nicht, dass Politiker das urbane Lebensgefühl suchen. Sie wünschen, dass sich das Leben in den Kommunen verbessert.

Der CDU fällt es in großen Städten schwer, eine Zukunftsidee zu entwickeln. Wo ihr das gelingt, bringt sie es oft nicht fertig, die Mehrheit hinter diese Idee zu scharen. Das liegt vor allem daran, dass die CDU in den großen Städten viel von jener Spannbreite einbüßte, die eine Volkspartei auszeichnet. Den Verlust zurückzugewinnen, setzt voraus, dass man ihn zur Kenntnis nimmt. Die Kraft zur Erneuerung wird sich kaum einstellen, wenn sich die Partei nur darum bemüht, ein ominöses Lebensgefühl zu suchen und zu treffen.


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