(uh) Der Fall Edathy offenbart: Die politische Kultur hat einen neuen Tiefpunkt erreicht. Spitzen des Staates und der Parteien geben offen zu erkennen, dass sie sich mit ihren Interessen über Recht und Gesetz hinwegsetzen. Schuldbewusst zeigen sie sich nicht. Sie handeln nicht nur verantwortungslos. Sie tun auch noch, als sei das ganz natürlich.

Die Öffentlichkeit getäuscht

CSU- und SPD-Politiker belasteten die große Koalition. Das wäre zu verschmerzen. Schlimmer ist, dass die Politiker zur Belastung für das Gemeinwesen wurden. Ex-Innenminister Friedrich, SPD-Parteichef Gabriel und der heutige SPD-Fraktionschef Oppermann stellten das Wohl ihrer Partei und der Regierung über das Recht.

Der Schaden ist beträchtlich: CSU-Innenminister Friedrich plauderte ein Dienstgeheimnis aus. Damit schuf er die Möglichkeit, die Ermittlungen gegen Edathy zu behindern. SPD-Chef Gabriel akzeptierte dieses Verhalten und betätigte sich als Brandbeschleuniger. Das Ergebnis: Der Staatsanwaltschaft hat den Eindruck, führende Politiker wirkten daran mit, die Ermittlungen zu behindern.

Der heutige SPD-Fraktionschef Oppermann versuchte nach eigenen Angaben, den Präsidenten des Bundeskriminalamtes, Ziercke, zum Bruch des Dienstgeheimnisses zu verleiten. Wie seine Fraktionsgeschäftsführerin Lambrecht täuschte er zunächst die Öffentlichkeit darüber, dass die SPD-Spitze früh über den Fall Edathy informiert war.

SPD bestraft sich selbst

Eine weitere Folge der unseligen Kooperation zwischen CSU und SPD: So widerwärtig das Delikt ist, um dass es in diesem Fall geht: Es ist unwahrscheinlich, dass Edathy das bekommt, worauf er einen Anspruch hat: einen fairen Prozess.

Kanzlerin Merkel zwang Friedrich zum Rücktritt. Er weigert sich, seinen Fehler einzusehen. Er wirkt jämmerlich und auf traurige Weise schon komisch. Ähnlich lächerlich macht sich Gabriel mit seiner großspurigen Versicherung, bei der SPD werde es keinen Rücktritt geben.

Er wäre notwendig. Erforderlich ist er nicht. Niemand, der etwas auf sich hält, wird nun noch mit Oppermann vertrauliche Vereinbarungen treffen wollen. Er ist diskreditiert. Bleibt er im Amt, schadet er der SPD. Hält die Partei ihn im Amt, bestraft sie sich selbst.

Ohne Rücksicht auf Rang und Funktion

Auch Gabriel ist angeschlagen. Der Parteichef wurde seinem schlechten Ruf gerecht. Er brach gegenüber Friedrich die Vertraulichkeit. Er brachte es nicht fertig, mit der Information, die ihm Friedrich zuraunte, verantwortungsbewusst umzugehen. Auch er Gabriel beteiligte sich daran, Belange der Partei über die des Rechtsstaates zu stellen. Auch er hat sich diskreditiert.

Edathy behauptet inzwischen, niemand habe ihn über die Ermittlungen informiert. Man kann das glauben oder auch nicht. Seine Erklärung wirkt wie der Versuch, die SPD-Spitze und den möglichen Informanten zu entlasten. Edathy äußert sich spät. Die Spekulationen grassieren seit Tagen. Seine Glaubwürdigkeit wurde beschädigt. Doch er half dabei kräftig mit.

Ob es der Staatsanwaltschaft gelingt, Klarheit in die verworrenen Abläufe zu bringen, ist fraglich. Versuchen sollte sie es, ohne Rücksicht auf Rang und Funktion. Durchaus denkbar, dass die Ermittlungen Überraschungen zu Tage fördern.

Klar ist schon jetzt: Die beteiligten Politiker und ihre Parteien haben Glaubwürdigkeit eingebüßt. Die Widersprüche sind unübersehbar. Die Beteiligten bezichtigen sich gegenseitig, die Unwahrheit zu sagen. Glaubwürdig wirkt keiner von ihnen. Wie kann die Koalition bei dieser Lage zur Tagesordnung zurückkehren, ohne zu heucheln?

Alles auf den Tisch

Auf dem Tisch liegt längst noch nicht alles, was dort hingehört. Es wird Zeit, dass es dort hinkommt. Das beginnt schon mit Friedrichs Behauptung, er habe Gabriel über Edathy informiert, um das Vertrauen zwischen den künftigen Koalitionspartnern zu festigen. Eine Erklärung, die wie ein Stück aus dem Märchenbuch klingt.

Bei der Aufklärung des NSU-Skandals waren Edathy und Friedrich erbitterte Gegner. Friedrich verteidigte die Sicherheitsbehörden, während Edathy deren Versagen im Umgang mit den Rechtsradikalen bloß stellte mit dem Ziel, Friedrich zu beschädigen.

Den Sicherheitsbehörden graute davor, dass der Innenpolitiker Edahy in der großen Koalition eine Führungsaufgabe erhalten könnte. Dass er unter Pädophilie-Verdacht geriet, kam vielen in der Szene gelegen. Friedrichs Information an Gabriel diente wohl vor allem dem Zweck, den Aufstieg eines politischen Gegners zu verhindern.


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9 Comments

  1. Wie lange dieses Schmierentheater auch dauert, es bleiben nur zwei Fragen.
    Wie lange hält die GroKo? Und wann gibt es Neuwahlen?

  2. Manfred Michael Schwirske Reply

    Bislang fehlt es an einem Delikt. Was bei Bewertung und Mutmaßung entscheidend zu beachten wäre. Man lese bei Prantl nach.

    • Ulrich Horn Reply

      Was Mutmaßungen im Zusammenhang mit Prantl angeht, empfehle ich: http://blog.polygon.de/2014/02/14/pis_hoheitlicheinformationen/5534.
      Was das Delikt angeht: Friedrich und Gabriel nahmen in Kauf, die Ermittlungen zu erschweren und zu behindern und das Delikt zu verschütten. Prantl stellt ja selbst Mutmaßungen dazu an, indem er unterstellt, Edathy habe Festplatten vernichtet. Die politische Bewertung hängt nicht von der Frage ab, ob ein Delikt vorliege oder nicht. Friedrich und Gabriel stellten sich diese Frage gar nicht. Sie agierten, als sei die Sache klar. Darin besteht ja gerade ein wesentlicher Teil ihres skandalösen Verhaltens.

  3. Ben Springfield Reply

    Wenn man den Medien glaubt, ist das alles richtig, was Sie schreiben. Aber wer glaubt schon den Medien. Wie wäre es damit: Edathy musste weichen, weil er im NSU-Auschuss zuviel wahre Zusammenhänge aufdeckte. Friedrich musste gehen, weil er für Deutschland den Gen-Mais verhindern wollte. Das war gegen die Befehle seiner Chefin. Und das bewegt Deutschland und wird von den Medien nicht behandelt: Die unverschämte Stimmenhaltung unserer Regierung bei der Abstimmung über Gen-Mais. Das wird durch die Edathy-Debatte = Peanuts zugedeckt! Und dann war da auch noch Olympia. Schade, dass Sie jetzt auch noch den Medien das Wort reden.

  4. Nimmt man alle Fälle der letzten Jahre zusammen, so haben sie eins gemeinsam: Unsere selbsternannte Elite versteht sich nicht mehr als dem Volk verpflichtet, sondern gebärdet sich als „Neuer Adel“, der dem Recht und dem Gesetz nicht mehr unterworfen ist. Es gibt sogar den Begriff „Neofeudalismus“ oder „Moderner Feudalismus“ dafür. Das geht übrigens in den Kommunen schon los, mit den Stadtverordneten und vor allem den Bürgermeistern. Das kann man in seiner Lokalzeitung lesen.

  5. Sich über das Recht erhaben glaubende Akteure haben nicht weniger als eine kleine Staatskrise heraufbeschworen. Im Danaergeschenk von Friedrichs versteckten „Informationen“ waren entweder politische Gerüchte oder illegale personenbezogene Daten unter Bruch von vertraulichen Ermittlungsergebnissen enthalten. Gabriel hätte sie besser zurückweisen oder Friedrich zum Benennen von belastbaren Fakten auffordern sollen. Stattdessen hat er den „Schwarzen Peter“ an Oppermann weitergereicht.
    Der Gesamtschaden ist kaum abzusehen: Weder wird es ein unbelastetes, umfassendes Ermittlungsverfahren gegen Edathy geben können, noch wird er sich, falls die Vorwürfe nicht begründet waren, je wieder zweifelsfrei vom Verdacht befreien können, doch vielleicht vorzeitig von Ermittlungen erfahren und Beweise vernichtet zu haben. Der rechtstaatliche GAU ist eingetreten.
    Geschadet hat es allen. Aber Herr Friedrich scheint es bis heute nicht einzusehen, dass rechtstaatliche Grundsätze da sind, um Betroffene, Justiz, Amtsträger und Politiker zu schützen. Friedrich kommt gar nicht auf die Idee, er könnte allein durch seine illegale Weitergabe vertraulicher Daten gegen ein Gesetz verstoßen haben. Seine umfassende Ignoranz für jeglichen Datenschutz, die er ja schon in der NSA-Affaire gezeigt hat und die öffentlich demonstrierte Selbstgerechtigkeit nach seinen Rücktritt, den er als nächsten Schritt seiner Karriereplanung misszuverstehen scheint, machen klar, dass hier jemand Bundesinnenminister war, dem jedes Verfassungsverständnis fehlt.
    Abstoßend, welche Blüten inzwischen das bayerisch-gschaftelhuberische Verständnis von Politik und Staat als Beutegut der Gewählten treibt.
    Ekelerregend, wie dreist der CSU-Vorsitzende Seehofer unbekümmert Friedrichs Fehlverhalten verteidigt, ihn auch noch darin bestärkt.
    Der Fall entwickelt sich zu einem erschütterndes Exempel über das Verständnis einiger führender politischer Köpfe und Juristen im Hinblick auf den Stellenwert der Grund- und Verfassungsrechte und der Gewaltenteilung.
    Man darf gespannt sein, was Parlament und Justiz solchem Treiben entgegen zu setzen haben. Schneller als vermutet wird die Opposition im Bundestag merken, wie weit sie die erdrückende Mehrheit der Großen Koalition wirklich bei der Einrichtung von Untersuchungsausschüssen oder bei der Wahrnehmung von Frage- und Aufklärungsrechten kommen lässt.

  6. Justus Andreas Reply

    Es wird allerhöchste Zeit für einen Regimewechsel in Deutschland! Das gegenwärtige geht zum Glück aus dem Leim.

  7. Pingback: Links anne Ruhr (17.02.2014) » Pottblog

  8. Wann merken die Wähler und vor allem die SPD-Mitglieder, dass sie Blender, Versager und zum Teil kriminelle Karrieristen an die Spitze der BRD gewählt haben, die aus Machterhalt auch nicht vor Gesetzesbrüchen halt machen. Das Schlimme an der Sache ist, dass bei einem Crash der GroKo und vorzeitigen Neuwahlen mit großer Wahrscheinlichkeit die CDU die absolute Mehrheit bekäme. Für so lernunfähig halte ich die Mehrheit unserer Mitbürger.
    Von Merkel hört und sieht man nichts. Sie wird als einzige als die „Saubere“ in der Erinnerung der künftigen Wähler bleiben.

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