(uh) Die Politik hat es versäumt, sich Verhaltensregeln zu geben. Seit zehn Jahren liegt die UN-Konvention gegen Korruption auf dem Tisch. Der Bundestag hat sie nicht umgesetzt. Nun erst wollen Union und SPD die Bestechung von Abgeordneten schärfer regeln. Das reicht nicht aus. Die Politik braucht einen umfassenden Verhaltenskodex, wie es ihn für die Wirtschaft schon seit längerem gibt.

In schiefes Licht gesetzt

Wie groß der Bedarf nach Regeln in der Politik ist, zeigte sich in den vergangenen Wochen. Der Wechsel des früheren Ministers Klaeden zu Mercedes und der geplante Wechsel des Ex-Ministers Pofalla zur Bahn lösen nur deshalb Debatten aus, weil es die Politik nicht über sich brachte, für solche Fälle Maßstäbe zu setzen. Der Mangel führt zu Kontroversen, bei denen sich die Parteien und ihr Personal gegenseitig in Verruf bringen.

Dass Regeln für Politiker fehlen, macht sich noch stärker bemerkbar, wenn es um den Umgang der Politiker mit Einkünften und Vermögen geht, wie die Steuerfälle Schmitz und Linssen belegen. Darf ein Regierungschef in seiner Regierungsmannschaft einen Steuerbetrüger dulden? Darf ein Parteipolitiker, der gleichzeitig Finanzvorstand einer Stiftung ist, mit privatem Geld in Steueroasen hantieren?

Für solche und andere Fälle fehlen klare, plausible Verhaltensregeln. Mag sein, dass sich Linssen etwas zuschulden kommen ließ. Erwiesen ist bisher nichts. Er trat nicht zurück, weil ihm etwas nachgewiesen wurde, sondern weil er mit privatem Geld in Steueroasen hantierte und sich damit in schiefes Licht setzte. Es reicht zum Rücktritt offenbar aus, wenn Politiker die Möglichkeit bieten, sie in schiefes Licht zu rücken.

Mangel an Transparenz

Wenn dieser Anspruch akzeptiert wird, resultiert daraus, dass Politiker ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend offenbaren sollten. Nur so lässt sich verhindern, dass sie Unterstellungen provozieren oder auf sich ziehen. Ein politischer Verhaltenskodex müsste sicher auch den Umgang mit politischen Verdächtigungen regeln.

Warum es diesen Kodex nicht gibt, liegt auf der Hand. Er würde den Politikern ein hohes Maß an Transparenz abverlangen, zu dem sie bisher nicht bereit sind. Außerdem würde sie einen Teil ihrer Kampffelder und Kampfinstrumente verlieren.

Seit der Jahrhundertwende führen die Parteien ihre politischen Konflikte vor allem vor Wahlkämpfen zunehmend mit Skandalen statt mit ihren politischen Plänen. Kohls Spendenskandal, Schleußers und Raus Flugskandal und Rüttgers’ Sponsorenskandal prägten Wahlkämpfe und entschieden sie.

Auch die Fälle Schmitz/Wowereit (SPD) und Linssen (CDU) kochen nun rechtzeitig vor der Europa- und der NRW-Kommunalwahl hoch. Gut möglich, dass sie dazu dienen sollen, von politischen Defiziten, fehlenden Erfolgsbilanzen und dem Mangel an Konzepten abzulenken oder auf sie hinzuweisen.

Nur ein schmutziges Geschäft

Es ist auch nicht auszuschließen, dass der Fall in der einen Partei eine Reaktion auf den Fall in der anderen ist. Man muss sich wohl darauf einstellen, dass die großen Parteien bis zur Europa- und zur NRW-Kommunalwahl am 25. Mai versuchen werden, sich noch stärker als bisher mit Skandalgeschichten in Misskredit zu bringen.

Die zehn Gebote schreiben nicht nur fest, was geboten ist, sondern auch, was verboten ist und deshalb gesühnt werden muss. Dass verhindert jedoch nicht, dass sie gebrochen werden. Dies träfe auch auf den Verhaltenskodex für Politiker zu. Er böte allerdings – ähnlich wie die zehn Gebote und die Compliance-Regelungen der Wirtschaft – einen Maßstab, an dem die Politiker sich selbst und die Bürger die Politiker messen könnten. Das wäre für beide ein Gewinn.

Diesen Maßstab haben die Politiker den Bürgern bisher verweigert. Viele Menschen erleben die Politik als schwer durchschaubare, teils abschreckende Verhaltensweisen, die keiner Regel unterworfen scheinen. Dieses Defizit, das die Politiker zu verantworten haben, treibt viele Menschen dazu, sich von der Politik abzuwenden und nicht wählen zu gehen. Es bestärkt sie in der Überzeugung, die Politik sei doch nur ein schmutziges Geschäft.


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5 Comments

  1. Die Forderung nach eindeutigen und allgemein gültigen Regeln trifft den Nagel auf den Kopf. Nichts gegen den Stellungswechsel von Politik und Wirtschaft – ich habe selbst erfahren, wie gut das tut – aber es muss Karenzzeiten, Vertrauensfristen geben, die nicht alles verhindern können, aber wenigstens im Mindestmaß sicherstellen, dass kein aktuelles Insiderwissen oder Profit aus Entscheidungsprozessen mit „hinüber“ genommen werden. In der Wirtschaft gibt es das schon lange. Daimler-Vorstand Rentschler wird bis auf weiteres nicht zu VW, BMW oder anderen Arbeitgebern wechseln und sein Insiderwissen mitnehmen können, weil ihn sein Vertrag daran hindert. Das wäre bei v. Klaeden, Yzer, Profalla, Vesper usw. Mindestanforderung. Ein Jahr wäre sicher die absolute Mindestgrenze, lieber drei Jahre, um auszuschließen, dass Interessenverquickungen stattfinden. Die Übergangsfristen für die Versorgung politischer Beamter sehen entsprechende Versorgungsübergänge bereits heute vor.

    Dabei wird es immer Grenzfälle geben – die Stimmen verstummen nicht, die behaupten, dass Daimler Staatsseketär v. Klaeden als politischen Preis „schlucken“ musste, um die EADS-Anteile loszuwerden … was natürlich realiter in überhaupt keinem Zusammenhang miteinander steht. Oder der überraschende Wechsel des Kölner Oberstadtdirektors Ruschmeier, nachdem er den Bau und die Anmietung des technischen Rathauses durch den Esch-Fonds durchgesetzt hatte – auf den Geschäftsführersessel des Esch-Fonds – wie das Leben so spielt – derartige Zufälle wird es vermutlich immer wieder geben, – allerdings könnte eine gesetzliche Regelung vorsehen, dass in solchen Fällen z.B. eine Compliance-Prüfung des Einzelfalls durch eine Ombudsfrau erfolgen solle, die dem Bundestag direkt berichtet und jährlich einen Bericht veröffentlicht. Eine Bundes-Compliancebeauftragte – warum eigentlich nicht? Deren Bericht jährlich im Parlament diskutiert würde…
    Der erste Fall für eine solche Position wäre wohl die Besetzung des Amts der neuen Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit. (BfDI) Ohne die Person im Konkreten voreingenommen bewerten zu wollen – auch ein ehemaliger Beamter, der aus der Polizeiverwaltung kam, entpuppte sich in der Vergangenheit als unbestechlicher und akribischer Datenschützer – es ging darum, eine Person, die kein Bundestagsmandat errungen hatte, mit einem „Posten“ zu versorgen – auch solche Vorgänge sollten in Zukunft untersucht und die Entscheidungsprozesse transparent gemacht werden.
    Denn: Was ist das eigentlich für eine Regierung, die – in einer historischen Situation, in der Daten der Bürgerinnen und Bürger durch eine fremde, zu allem entschlossene, „befreundete“ Macht ausspioniert werden und Grundrechte unserer Verfassung täglich massiv gebrochen werden, eine Schlüsselposition im Kampf um diese Grundrechte nicht fachlich, sondern rein nach parteipolitischer Versorgungslogik besetzt?
    Wie können Bürger diesen Politikern noch zutrauen, dass diese ihr Volk im Zweifelsfall beschützen – vor Datendiebstahl, Ausspähung im privaten Bereich – aber viel wichtiger: Bei Wirtschaftsspionage und Urheberrechtsverletzungen, Ideenklau und Know-how Diebstahl durch einen anderen Staat? Für Frau Merkel ist das alles „Neuland“. Für Gabriel und die SPD auch, sonst hätten sie dem peinlichen Spiel um die Benennung der BfDI nicht zugestimmt. SPD und die Bürgerrechte – ein Fremdwort, wenn man die Koalitionsvereinbarungen liest und die Praxis zur Kenntnis nimmt. Schade. Peinlich. Von Kelber bis Wiefelspütz und von Edathy bis Bosbach. An jedem bleibt was hängen – je fachlich absurder, desto korrupter.

  2. Pingback: Der Ruhrpilot | Ruhrbarone

  3. Pingback: Links anne Ruhr (10.02.2014) » Pottblog

  4. Was die Politik braucht, ist eine funktionierende Justiz, vor der Politiker echte Angst haben.

  5. Auch ein Verhaltenskodex würde die rücksichtslosen und moralisch verkommenen Politiker und Wirtschaftsbosse nicht daran hindern zu belügen und zu betrügen, wenn ihnen die Gier sämtliche humanen Gefühle geraubt hat.
    Die einen belügen ihre Wähler, damit die anderen ihre „Mitarbeiter“ ausbeuten können. Unterstützt werden beide durch die raktionären, vom Großkapital beherrschten Medien.

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