(uh) Die SPD hat sich ihren Kanzlerkandidaten nicht ausgesucht. Steinbrück wurde ihr vom Vorsitzenden Gabriel und von Fraktionschef Steinmeier auferlegt. Auf dem Parteitag am Sonntag in Hannover sanktionierte die Partei diesen autokratischen Akt nachträglich, mit 93,45 Prozent der Stimmen. Das Ergebnis zeugt weniger vom Rückhalt, den Steinbrück in der Partei genießt, als von der Disziplin der Delegierten.

Solide Rede

Hätten sie ihm weniger als 90 Prozent gegeben, hätten sie ihn beschädigt und ihre Wahlchancen gemindert. Die Gefahr war offenbar groß. Führende Genossen sahen sich noch kurz vor dem Parteitag gezwungen, die 90 Prozent-Marke als Ziel vorzugeben, aus Sorge, die Delegierten könnten Steinbrück für seine Skandale abstrafen. Zumindest den Delegierten, die für den Bundestag kandidieren, war klar, dass sie ihre Zukunft gefährdeten, wenn sie gegen Steinbrück gestimmt hätten.

Der Kandidat erleichterte den Delegierten die Zustimmung. Seine Rede war nicht brilliant, aber solide. Sie formulierte, womit alle Gruppierungen der Partei leben können. Nicht alle werden rundum zufrieden sein, doch die meisten werden ihre Vorstellungen in der einen oder anderen Passage der Rede wiedergefunden haben.

Dass er nicht die Partei beflügelt, sondern sie ihn tragen muss, hatten führende Parteifreunde jüngst noch deutlich gemacht. Sie sicherten dem Hoffnungsträger öffentlich ihre Hilfe zu, eine Zusage, die sich eigentlich von selbst versteht, aber nach all den Irritationen, die er ausgelöst hat, wohl nicht mehr selbstverständlich war.

Keine Spur von Aufbruch

Das fernsehtaugliche Beifall- und Jubel-Ritual, das auch auf SPD-Parteitagen vollzogen wird, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Partei die Kandidatenkür missglückte. Ihre Planung war der Partei entglitten. Ursprünglich sollte sie zur großen Inszenierung werden. Sie sollte den Aufbruch der Partei symbolisieren und sie aus dem Gefängnis der 20-Prozent-Umfragen befreien. Nach Steinbrücks Honoraraffäre war daran nicht mehr zu denken. Von Aufbruch fehlt bisher jede Spur.

Auch die Troika brachte ihn nicht zustande. Sie erwies sich nicht als Treibsatz, sondern als Ballast. Steinmeier, Steinbrück und Gabriel blockierten sich und offenbarten Kommunikationsprobleme. Steinbrück stolperte lange vor dem geplanten Termin in die Kandidatur. Er war erstaunlich unvorbereitet: Er hatte kein Team, kein Konzept, nicht einmal einen Pressesprecher. Auch die Partei, die Deutschland unbedingt regieren will,  hatte nicht vorgesorgt.

Die Versäumnisse traten deutlich hervor, als der Kandidat daran ging, sich mit seinen Vorträgen und Personalentscheidungen selbst zu demontieren. Seine Nähe zu den Banken, die ihn für seine Vorträge gut bezahlten, kann er kaum noch wegreden, nachdem bekannt wurde, welchen Einfluss er ihnen als Finanzminister auf die Gesetzgebung einräumte.

Auch das unbeholfene Krisenmanagement wird ihm weiter anhängen. Im Hintergrund seiner Wahlkampagne lauert die Sorge in der Partei, es könnte noch das eine order andere zu Tage treten, das ihn diskreditieren und die Partei in Verlegenheit bringen könnte.

Grundton schwindenden Respekts

Schon ziehen Beobachter den Vergleich zum früheren Bundespräsidenten Wulff, der sich aus dem Sog der Medienattacken nicht mehr freischwimmen konnte. Auch Steinbrück begegnen die Journalisten inzwischen in einem leisen, doch unüberhörbaren Grundton schwindenden Respekts,  mit Vorhaltungen und Vorbehalten, die ihn zur Rechtfertigung zwingen. Und die gelegentlich ins Satirische abgleiten, auf das er kaum reagieren kann.

Nicht unproblematisch ist sein Bemühen, das Gerechtigkeit als Kern des SPD-Wahlkampfes zu verkörpern. Ein Teil der gesellschaftlichen Verwerfungen, die er thematisieren will, haben ihren Ursprung und ihre Beschleunigung in der Schröderschen Agenda-Politik, die er vehement verficht. Die Rolle des Sozialpolitikers liegt weit weg von dem Profil, das sich bisher erarbeitete. Ob er die neue Rolle glaubwürdig ausfüllen kann, ohne sein Profil zu beschädigen?

Der Plan, für stärkeren sozialen Ausgleich zu sorgen und diese Politik auch durch Steuererhöhungen zu forcieren, könnte zudem den politischen Gegner stark machen. Und frühere FDP-Wähler mobilisieren, sich dieser Partei erneut zuzuwenden und ihr Auftrieb zu verschaffen. Ein Effekt, der nach dem Wahltag weitreichende Folgen haben könnte.

13 Comments

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  3. Walter Stach Reply

    1.

    Nach sehr lange Zeit habe ich am Sonntag endlich einmal wieder eine Rede gehört, die nach ihrem Inhalt und ihrer Diktion eine p o l i t i s c h e war.
    Muß ich dazu Vergleiche zu den unerträglichen Reden des sonstigen politischen Spitzenpersonals in Deutschland ziehen -von Merkel, über Seehofer bis Brüderle?

    2.
    Wie läßt sich einigermaßen solide der Nachweis führen, daß die Deligierten aus Parteidisziplin und nicht aus Überzeugung für Steinbrück votiert haben? Da wird in den Medien etwas ohne den Ansatz einer plausiblen Begründung behauptet und viele quatschen es nach.

    Für alle Delegierten -ich war keiner-,mit denen ich gesprochen habe, war die Rede keine solide, sondern eine, die sie begeistert und vor allem nachdrücklich und vermutlich nachhaltig für einen engagierten Wahlkampf motiviert hat.

    3.
    Und nun -sh. vorstehend, sh.auch H. Geisler bei M.Ilgner-, gibt es sozusagen auf die Anti-Steinbrück-Kampagne „oben drauf“ noch den Versuch, Steinbrück irgend wie in die Nähe des CDU-Mannes Wulf zurücken.Geht es noch?
    Ich erwarte ja schon lange nicht mehr, daß guter Journalismus sich u.a.beweist in einer faktenorientierten Berichterstattung und in davon getrennten Kommentaren, die wenigstens gelegentlich frei sind von allzu offenkundigen und sehr handfesten parteipolitischen Zielen.

    Ich bin seit rd. 4o Jahre Sozialdemokrat. Ich sage das, der Klarheit und Wahrheit wegen. Gelegentlich sollten auch Redakteure „Farbe bekennen“, damit man weiß, woher der Wind weht.

    • Ulrich Horn Reply

      Damit Sie wissen, woran Sie mit mir sind: Ich gehöre keiner Partei an.

  4. Manfred Mchael Schwirske Reply

    „Politisch“ mag die Rede an sich sein. Problem ist, dass Steinbruecks Auftritt in Wort und Geist auf sein Credo und seine politische Vergangenheit partout nicht passt. Und Fakt ist, dass den Delegierten keine Option auf Alternativen gelassen wurde. Die Sozialdemokratie ist fest im Griff der kleinen Parteielite und hat zur Gegenwehr nicht die Substanz, noch den Mut.
    Dies Syndrom des Friss oder Stirb hat Horn noch eher buchstabiert als interpretiert. Es liegt auf der Hand.

  5. Walter Stach Reply

    Ulrich Horn:
    Man muß keiner politischen Partei angehören und kann trotzdem oder gerade deswegen sehr wohl eine klare parteipolitische Ausrichtung/Orientierung haben und dementsprechend kommentieren.
    Es würde der Wahrheit und Klarheit dienen, wenn jedermann über den Verfasser eines Kommentars oder den Nachfrager in einem Interview oder über andere Meinungsmacher wissen würde, wo „man“ seine parteipolitischen Präferenzen hat.
    Ich weiß, daß das „ein frommer Wunsch“ ist, aber für mich kkein unsinnger.

    Manfred, Michael:
    Ich beurteile den Kanzlerkandidaten Steinbrück als politische Persönlichkeit völlig anders als Du,und zwar nicht erst nach seiner glänzenden Parteitagsrede.
    Darüber müßten wir bei Gelegenheit, aber wahrscheinlich gibt es die nicht, etwas ausführlicher unsere Argumente austauschen als das hier geschehen kann.

    Ich habe mich sehr gefreut, daß die Interpretation der Steinbrück-Rede durch Jacob Augstein in SPIEGEL online im wesentlichen mit der meinen übereinstimmt.
    Diese Augstein-Interpretation widerspricht allerdings dem, was von der Mehrheit der Redakteure dazu gesagt und geschrieben wurde, um so beachtenswerter ist sie. Ich bemühe mich, den Augstein-Text „unter’s Volk zu bringen“.

    • Ulrich Horn Reply

      Nach meiner Erfahrung fällt es Parteimitgliedern manchmal schwer zu akzeptieren, dass man Parteien und Politik bewerten kann, ohne Mitglied oder Sympathisant irgendeiner Partei zu sein. Die Neigung, Journalisten und Kommentatoren parteipolitisch zu verorten, tritt häufig auf, wenn Kritik abgewehrt und entwertet werden soll. Dies dient oft dem Zweck, die eigenen Anhänger gegen Kritik zu immunisieren und Kritiker zu stigmatisieren. Ich kenne politisch aufgeschlossene Menschen, die bei Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen jeweils anderen Parteien ihre Stimme geben. Es soll sogar Menschen geben, die einmal die Aktion der einen Partei und dann die einer anderen unterstützen, weil sie die Aktionen der einen oder der anderen einmal für sinnvoll und ein anderes Mal für Schwachsinn halten. Die meisten Menschen sind keine Parteigänger. Sie unterstützen diese oder jene Partei, wenn überhaupt, weil sie diesen oder jenen Punkt für sachgerecht halten.
      Was die Bewertung Steinbrücks angeht, kann ein Blick auf Annotazioni hilfreich sein. Man findet ihn auch in diesem Blog unter Aufgelesen … Nr. 66 – 2012 unter 2.b: Best of Steinbrück: Ein Rückblick in Zitaten.

    • Pan Pavlakoudis Reply

      Sorry, Walter, Peer hat doch rein gar nichts konkretisiert, rein gar nichts gesagt! Er sagte das, was gehört werden sollte. Dumm ist Peer nicht und hat anscheinend Schopenhauer gelesen.

      Die Rede hätte auch Merkel halten können! Es kann doch unter intelligenten und politisch engagierten Menschen nicht der Konsens darüber fehlen, dass Textbausteine, zum Teil witzig und pathetisch, aneinandergereiht wurden!

      Ich meine es nicht zynisch, Walter. Die Semantik politischer Reden, und nicht erst moderner, sind keine Offenbarung. Die Redner sind austauschbar. Jeder Zuhörer kann seine Wünsche hineininterpretieren und es ist dann auch einfacher, Kritisches nicht mehr misszuverstehen.

  6. Manfred Michael Schwirske Reply

    Wir haben uns mit dem Kandidaten aus unterschiedlichen Perspektiven auseinandergesetzt. Die meist nicht sehr weit auseinander liegt.

    Um es auf den Punkt zu bringen:
    Ich beklage 1. dass die SPD sich mit der eigenen jüngsten Geschichte alles andere als kritisch auseinandergesetzt hat. Also nicht wirklich gelernt hat. Dass 2. die SPD nicht das erforderliche Niveau der Kritik an der Krise aufbringt, das zu ihrer Bewältigung erforderlich ist. Und dass 3. dies alles auf der absoluten top-down Orientierung der Partei beruht, die einer kleinen Elite von Spitzenfunktionären, alle Verantwortung überlässt. Von Spitzenfunktionären, die damit überfordert sind und sein müssen, die aber dieses Defizit nicht ansatzweise wahrnehmen. So auch Steinbrück.

    Oder anders gesagt: die Partei hat sich fest gefahren und es ist unabdingbar die Aufgabe der Basis, dies zu verändern. Mit oder ohne diesen oder jenen mehr oder weniger blendenden Kandidaten.

  7. Walter Stach Reply

    Pan,
    kleiner Widerspruch:
    Steinbrück hat in seiner 1/12 stündigen Rede sehr Vieles sehr konkret gesagt. Zum Teil mit der Einleitung: „Ich als Bundeskanzler werde…….“!

    -Pan,haben Sie die ganze(!!)Rede gehört und/oder gelesen -sorry-.

    Diese Rede hätte Frau Merkel nie gehalten trotz ihrer unerschöpflichen Fähigkeiten, morgen Positionen zu beziehen, die ihr heute noch völlig fremd sind.

    Ulrich Horn,Manfred Schwirske:

    Da Jacob Augstein keiner Partei angehört -im Gegensatz zu meiner Mitgliedschaft in der SPD-, fand ich seinen Kommentar, nämlich den eines in jeder Beziehung unabhängigen Journalisten, zur Steinbrück-Rede bemerkens-und nachdenkenswert, auch für diejenigen, für die „von vornherein“feststand, daß eine Rede von ihm auf dem SPD- Parteitag nichts anderes als Kritik verdienen würde.
    Und jeder von uns weiß doch mit einiger Sicherheit vorab , was im Regelfall Inhalt einer journalisten Meinungsäußerung sein wird, wenn man bisher Geschriebenes, bisher Gesagtes in Erinnerung hat -und zudem weiß, was die „politische Linie“ des Verlages, des Herausgebers,der Redaktionsleitung ist;soweit eine Anmerkung zur „journalistischen Neutralität“, die in der Berichterstattung selbstverständlich sein sollte, aber nicht ist, und die in der Kommentierung nicht geboten, aber dann auch verdeutlicht werden sollte.

    Warten wir ‚mal ab, wie Peer Steinbrück mit seiner SPD für die Ablösung der Kanzlerin Merkel im Wahlkampf 2o13 kämpfen wird, wie die Medien mit ihm und der SPD umgehen werden und vor allem, wie die Wähler Steinbrück und seine SPD „bewerten“.

    Manfred, noch eine Bemerkung:
    Ich habe bewußt die Rede von Steinbrück eine
    p o l i t i s c h e genannt.
    Steinbrück ist es gelungen, daß ich seit sehr langer Zeit einmal wieder 1 1/2 Stunden lang (!) mit großer Aufmerksamkeht der Rede eines Politikers zugehört habe und ich danach als SPD-Mitglied ebenfalls nach sehr langer Zeit für mich festgestellt habe:“ Ja,was Steinbrück will, was er gemeinsam mit der SPD will, das trage ich nicht nur mit, dafür kann ich auch im Wahlkampf aus Überzeugung(!!) eintreten.“

  8. Die Rede war (r)echt gut. Ich habe sie nachgelesen und auch nichts anderes erwartet. Wenn sie Oskar Lafontaine, Sarah Wagenknecht oder auch Otmar Schreiner gehalten hätte, wäre sie sogar glaubhaft gewesen. Allein bei Steinbrück fehlt mir nicht nur der Glaube, daß er das, was er dort gesagt hat, auch meint, sondern ich bin mir ziemlich sicher, daß er frei nach der Münte-Doktrin (es ist unfair, die Parteien an ihr Wahlprogramm zu erinnern) nichts aber auch gar nichts von dem zu realisieren beabsichtigt, was er gesagt hat. Ich erinnere an das SPD-Wahlprogramm 1998 und dann an die Agenda 2010, an den Wahlkampf gegen die Merkelsteuer und dann an die Erhöhung um 3 %. Bei all dem war Steinbrück an vorderster Front beteiligt. Ich glaub dem noch nicht einmal, wenn er behauptet, daß es nachts dunkel ist. Ach ja. Ich bin seit über 40 Jahren in der SPD. Sie ist jetzt fast viermal so alt und wird auch die Schröders und Steinbrücks überleben. Man braucht bzw. kann sie aber selbst als Parteimitglied nicht immer zu wählen.

  9. Walter Stach Reply

    Fritz Koch, wenn Sie als Zeuge für Glaubwürdigkeit Otmar Schreiner bemühen, bin ich bei Ihnen. Das gilt auch für Sara Wagenknecht. Nur Oskar im Zusammenhang mit Glaubwürdigkeit? Dem steht seine gesamte Biographie im Wege.

    Zustimmung, wenn Sie auf die Relativität aktueller Probleme in unserer SPD, auch solche personeller Art, hinweisen mit Blick auf die mehr als 15ojährige Geschichte der Partei.

    Wenn Sie unsere gemeinsame Partei, die SPD , nicht wählen können wegen des Spitzenkandidaten Steinbrück, was bleibt Ihnen dann als Alternative? Weitere 4 unsägliche Jahre mit der Kanzlerin Merkel?
    Politik ist Kompromiss, ist immer nur die Lösung über das kleinere Übel. Und deshalb………….!

    Ich will Sie nicht und ich kann sie nicht überzeugen wollen, trotz allem SPD und damit Steinbrück zu wählen;jeder von uns als politisch interessierter und engagierter Mensch weiß, was er politisch will bzw. nicht will und warum er das so will oder eben nicht will.

  10. Statt einer Antwort ein Zitat von Erich Kästner:

    Was auch immer geschieht:
    Nie dürft ihr so tief sinken,
    von dem Kakao, durch den man euch zieht,
    auch noch zu trinken!

    Das kleinere Übel ist derzeit leider nicht mehr
    die SPD, sondern die Linke.

    PS wo hat Lafo denn die Unwahrheit gesagt oder wenigsten falsch gelegen? Er hat im Gegenteil immer Recht gehabt.

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