(uh) Peer Steinbrück hat Konkurrenz bekommen. Monatelang hatte man den Eindruck, die SPD-Kanzlerkandidatur laufe auf ihn zu. Doch nun, ehe sich diese Vermutung zur Gewissheit verfestigt und sich damit jeder Korrektur entzöge, ist nun ein weiterer Politiker aus der Deckung gekommen: SPD-Chef Gabriel.

Weitere Aspiranten im Spiel

Der Parteivorsitzende bekannte kürzlich: Auch er traue sich die Kandidatur zu. Damit ist klar: Die SPD wird die Besetzung des Kandidaten-Postens nicht als Personality-Show, sondern als Casting-Show inszenieren.

Die Zahl der Bewerber könnte noch steigen. Einige Aspiranten wurden ins Spiel gebracht, ohne sich bisher an ihm zu beteiligen. Ambitionen auf die Kandidatur sagt man unter anderem auch Fraktionschef Steinmeier, Berlins Bürgermeister Wowereit und NRW-Ministerpräsidentin Kraft nach.

Die drei haben allerdings ein Handicap. Ihnen fehlt die Protektion der SPD-Alt-Kanzler. Deren Gunst ist klar verteilt. Steinbrück genießt das Wohlwollen Schmidts, Gabriel die Hilfe Schröders. Er war es, der kürzlich gegen die allgemeine Steinbrück-Euphorie klar machte, dass Gabriel als SPD-Chef den ersten Zugriff auf die Kandidatur habe. Das ermutigte Gabriel offenbar, sein Interesse öffentlich anzumelden. Damit eröffnete er den zweite Akt des Castings „Die SPD sucht ihren Kanzlerkandidaten“. Und die ganze Republik kann mitfiebern.

Einigkeit demonstriert

Wer sich wie Steinbrück und Gabriel die Kandidatur zutraut, glaubt natürlich auch, er sei der Kanzlerschaft gewachsen. Ob und in welchem Maß das zutrifft, interessiert die SPD zurzeit gar nicht so sehr. Sie freut sich darüber, dass sie in den Umfragen nach Jahren des vergeblichen Reckens und Streckens nun der 30-Prozent-Hürde zum Greifen nahe gekommen ist. Und dass sich die schwarz-gelbe Koalition selbst zerlegt. Das vor allem dürfte der Grund sein, warum die SPD zuletzt in den Umfragen zugelegt hat. Dass sie dies der eigenen Leistung zu verdanken hat, glauben die meisten Beobachter jedenfalls eher nicht.

Welche Lehre daraus zu ziehen ist, liegt auf der Hand: Die SPD muss alles unterlassen, was vom Elend der Koalition ablenken könnte. Auch müssen die beiden SPD-Kandidaten darauf achten, nicht aneinander zu rasseln und sich vom politischen Gegner nicht gegeneinander ausspielen zu lassen. Um solchem Ärger vorzubeugen, haben sich die beiden Kandidaten mit SPD-Fraktionschef Steinmeier schon vorbeugend als Troika präsentiert, immer schön nach dem Motto: Wir sind uns einig.

Ungemach droht momentan nicht so sehr vom politischen Gegner. Es lauert viel mehr in der eigenen Partei. Steinbrück und Gabriel haben Genossen, die ihnen die Kanzler-Eignung zusprechen, und Genossen, die sie ihnen absprechen. Keiner der beiden hat die Partei geschlossen hinter sich. Keiner kann davon ausgehen, sie geschlossen hinter sich zu bringen. Eigentlich gute Voraussetzungen für einen dritten Bewerber. Doch der ist bisher nicht zu erkennen. Steinmeier lässt sich zwar als möglichen Bewerber handeln, hält sich jedoch bedeckt.

Das Kandidaten-Karussell beschleunigt sich

Die Kandidaten-Karussell der SPD wird sich in dem Maße beschleunigen, in dem der Zerfall der Koalition voranschreitet, Neuwahlen wahrscheinlicher werden oder der reguläre Wahltermin 2013 näher rückt. Dass die Kandidatenfrage für die SPD schon heute so wichtig ist, hat viele Gründe.

1. Nach derzeitigen Umfragen könnten SPD und Grüne die nächste Regierung stellen. Bliebe das so, wäre der SPD-Kanzlerkandidat auch der nächste Kanzler. Das fordert den Ehrgeiz heraus.
2. Die Kandidatenfrage ist einer der wenigen Punkte, mit denen die SPD derzeit Aufmerksamkeit gewinnen kann. Ihre inhaltlichen Pläne, soweit vorhanden, haben angesichts der Finanz- und Schuldenkrise kaum Chancen, wahrgenommen und diskutiert zu werden.
3. Die öffentliche Kandidatensuche hilft der SPD dabei, den internen Konflikte und den Streit um die Parteireform zu verdecken.
4. Die Debatte über die Kandidaten trägt dazu bei, die Wechselstimmung weiter anzufachen. Auch das destabilisiert die schwarz-gelbe Koalition und verschafft der SPD Auftrieb.

Inszenierung des Wahlkampfes

Es wäre nicht das erste Mal, dass die SPD die Kandidatenfrage als dramaturgisches Mittel zur Inszenierung ihres Wahlkampfes nutzt. Dazu gehört auch, dass sie so tut, als käme ihr die Diskussion umgelegen. Schon vor der Wahl 1998 zelebrierte sie die Suche nach dem Kanzlerkandidaten mit großem Erfolg, und zwar als Wettkampf zwischen Schröder und Lafontaine. Damals schaffte es die Partei, die Aufmerksamkeit auf diese parteiinterne Konkurrenz zu fokussieren und die damalige schwarz-gelbe Koalition zu dominieren. So gelang es, CDU-Kanzler Kohl nach 16 Jahren aus dem Amt zu hieven.

Ähnlich wie heute drückte die SPD damals inhaltliche Fragen beiseite, etwa mit dem Spruch: „Wir machen nicht alles anders, aber vieles besser.“ Nach der Wahl stellte sich dann heraus, dass die Partei nicht darauf vorbereitet war, die Regierung zu übernehmen. Und dass sie tatsächlich aus zwei Parteien besteht: Einem zahlenmäßig großen linken Lager, und einer durchschlagskräftigen kleinen, aber machtbewussten rechten Truppe.

Inhaltlich unvorbereitet

Was aus dem damaligen Kanzler-Kandidaten-Schauspiel erwuchs, ist bekannt: Der Wettstreit zwischen Schröder und Lafontaine endete mit deren Bruch. Die mangelnde inhaltliche Vorbereitung mündete in die verspätete und daher überhastete Agenda-Politik. Sie löste eine Massenflucht unter den Mitgliedern aus und führte schließlich zur Gründung der neuen Partei Die Linke. Seither ist die SPD stark geschrumpft und hat große Probleme, sich als Volkspartei über Wasser zu halten.

Heute schickt sie sich an, das Kandidaten-Casting noch opulenter zu inszenieren, wiederum mit guten Erfolgsaussichten. Doch was wird sie tun, wenn sie die Macht errungen hat? Dass die SPD-Führung die Partei auf jene Probleme vorbereitet, mit der es die nächste SPD-geführte Bundesregierung zu tun bekommen wird, ist nicht so recht erkennbar. Wenn die SPD das nicht ändert, könnte sie nach dem Wahlsieg ganz schnell in eine weitere Zerreißprobe geraten, die sie noch weiter schwächt. Viel bliebe von der Partei dann nicht mehr übrig.

 

 

2 Comments

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