(uh) Eines der traurigsten Kapitel der NRW-Politik ist der Verfall der Städte. Politiker aller Ebenen und Parteien haben ihn betrieben, durch Handeln und durch Unterlassen. Der Niedergang wird voranschreiten und die Bürger treffen. Inzwischen sehen sich die Verursacher gezwungen zu reagieren. Doch sie bringen keine nachhaltige Lösung zustande. Sie nehmen Zuflucht zur Flickschusterei.

So gut wie ruiniert

Das Ausmaß des Verfalls ist beeindruckend. Von den 396 NRW-Städten sind 34 so gut wie ruiniert, darunter Duisburg, Oberhausen, Hagen, Hamm, Remscheid und Wuppertal. Diese 34 Städte werden 2012 mehr Schulden als Vermögen haben. Ihr Eigentum, die städtische Infrastruktur, gehört längst nicht mehr ihnen, sondern den Banken.

Eine Menge weiterer Städte steht kurz vor dem Absturz auf dieses Elendsniveau. Auch bei ihnen kann von kommunaler Selbstverwaltung keine Rede mehr sein. Sie stehen unter Aufsicht der Regierungspräsidenten. In diesen Städten tun die Kommunalpolitiker nur noch so, als entwickelten sie ihre Stadt.

In diesen maroden Städten reichen die Einnahmen nicht mehr aus, die Pflichtaufgaben zu bezahlen. Laufende Kosten wie Gehälter begleichen die Ratsdamen und -herren seit langem schon mit teuren Überziehungskrediten. Sie türmen sich in NRW auf 20 Milliarden Euro, genau so hoch wie die Kassenkredite aller übrigen deutschen Städte zusammengenommen. Schon weigern sich Banken, NRW-Städten Kredite zu geben.

Hilfe für Habenichtse

Nur 50 bis 60 NRW-Städte haben ihre Haushalte noch halbwegs in Schuss. Dass es so bleibt, ist keineswegs sicher, denn die rot-grüne Minderheitsregierung arbeitet Hand in Hand mit den Bürgermeistern der schwachen Städte daran, die Rahmenbedingungen für die einigermaßen gut wirtschaftenden Kommunen zu verschlechtern.

So haben sich 27 dieser Habenichtse aus dem Ruhrgebiet und dem Bergischen Land unter der pathetischen Parole „Raus aus den Schulden / Für die Würde unserer Städte“ zusammengeschlossen. Der parteiübergreifende Interessenverband mit dem albernen Namen, den Mülheims Oberbürgermeisterin Mühlenfeld (SPD) leitet, fordert Hilfen von Bund und Land. Seit der Landtagswahl 2010 kann die Truppe beim Land mit offenen Ohren rechnen.

NRW-Ministerpräsidentin Kraft (SPD) kommt wie Mühlenfeld aus Mülheim. Und NRW-Innenminister Jäger, zuständig für die NRW-Kommunen, stammt aus der Problemstadt Duisburg. Auch er hat starke lokale Interessen, sich als Schutzpatron der heruntergewirtschafteten Städte feiern zu lassen: Seit dem Loveparade-Unglück arbeitet er daran, die schwächelnde Duisburger SPD nach vorn zu bringen und Duisburgs CDU-Oberbürgermeister Sauerland zu stürzen.

Von eigenen Fehlern ablenken

Der Bürgermeister-Interessenclub, der für die „Würde der Städte“ kämpft, dient auch dazu, vom Versagen der Bürgermeister, Oberbürgermeister, Räte und örtlichen Parteiorganisationen abzulenken. Ausgiebig jammern die Stadtchefs, denen der Pleitegeier auf der Schulter sitzt, Land und Bund hätten „Jahrzehnte lang Leistungsgesetze ohne ausreichende Gegenfinanzierung zu Lasten der Kommunen beschlossen – mit dramatischen Konsequenzen für viele Städte und Gemeinden“.

Ein Paradebeispiel dafür, wie Politiker versuchen, sich frei zu sprechen und die Bürger für dumm zu verkaufen. Wer bitte ist denn Bund und Land? Es sind doch die eigenen Bundes- und Landtagsabgeordneten, die Gesetze auf Kosten der Städte beschlossen haben. Die Kommunalpolitiker und ihre Parteien in den Städten, die SPD-Unterbezirke und CDU-Kreisverbände, hätten das sehr leicht verhindern können.

Sie hätten ihren Abgeordneten nur drohen müssen, sie nicht mehr aufzustellen, falls sie Beschlüsse zu Lasten ihrer Stadt fassten. Eine solche Drohung hätte ihre Wirkung nicht verfehlt. Sie ist unterblieben, aus Mangel an Problembewusstsein und Konfliktbereitschaft. Statt sich mit ihren Abgeordneten anzulegen und sie unter Druck zu setzen, beschränkten sich die Kommunalpolitiker darauf zu jammern.

Die Starken schwächen

Nun, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist und dort zu ertrinken droht, wird die Landesregierung tätig. Sie spendiert den 34 ruinierten Städten zehn Jahre lang aus Steuermitteln 350 Millionen Euro. Die Subvention soll dem Abbau der Schulden dienen und mit Sparauflagen verbunden sein. Jene Städte, die demnächst abstürzen werden, sollen ebenfalls Hilfen erhalten.

Diese Mittel sollen jedoch nicht vom Land, sondern von den 50 bis 60 noch halbwegs soliden Städten aufgebracht werden. Ihnen will die Landesregierung Entlastungen streichen, die der Bund allen Kommunen gewährt. Die so eingesammelten Mittel sollen dann den Habenichtsen zufließen. Das Ziel: Die fußkranken Städte sollen 2020 einen ausgeglichenen Haushalt haben, außerdem sollen ihre Kassenkredite halbiert werden.

Ob sich die starken Städte den Eingriff des Landes gefallen lassen, wird sich zeigen. Fest steht: Die Landesregierung will die Entwicklungsperspektiven der soliden Städte zugunsten der maroden verschlechtern. Das „Hilfspaketchen“ des Landes wird das Niveau der Soliden senken, kann den Niedergang der kranken Städte jedoch kaum aufhalten. Dazu ist die Verschuldung vieler Städte zu groß und die Hilfe des Landes zu dürftig. Wie es um NRW steht, sieht man daran, dass die Regierung mehr als die 34 Städte nicht fördern kann. Alles Weitere würde das Land, das selbst übermäßig verschuldet ist, glatt überfordern, räumt die Landesregierung ein.

Um Boden unter die Füße zu bekommen, müssten marode Städte ihre Ausgaben den Einnahmen anpassen. Das wird nicht gelingen. Allein Duisburg gibt 200 Millionen Euro pro Jahr mehr aus, als es einnimmt, Essen sogar 264 Millionen. Die Städte müssten vor allem Personal abbauen. Dazu fehlt ihnen der Mut. Und so kann das schmale Subventionsrinnsal aus Düsseldorf rasch in den Rathäusern versickern. Das hat wohl auch Duisburgs Kämmerer Langner im Blick. Ohne Sparbereitschaft würde das Hilfsprogramm wirken, als pumpe man einen durchlöcherten Reifen auf, warnt er.

Neue Belastungen

Die Städte haben es nicht nur mit riesigen finanziellen Altlasten zu tun. Ihnen stehen neue Belastungen ins Haus. Die Kommunen verlieren dramatisch Einwohner. Die Zahl der alten Menschen nimmt zu, die Zahl der Erwerbsfähigen sinkt. Duisburg verliert bis 2030 mehr als 36 000 Einwohner, Castrop-Rauxel mehr als 7 000, Marl mehr als 7 500, Dorsten fast 9 000, Hagen fast 25 000, Wuppertal 21 000.

Die Zahl der Leistungsträger wird schrumpfen, die Zahl der Menschen, die von Transfermitteln leben, wird zunehmen. Die Kaufkraft wird sinken, der Handel schrumpfen. Ein-Familienhaus-Siedlungen, die viele Stadtteile im Ruhrgebiet prägen, werden überaltern und sich dann entvölkern. Die Eigenheime werden dort an Wert verlieren. Die öffentliche Infrastruktur ist zu groß und zu teuer. Sie muss verkleinert und auf die schrumpfende und alternde Bevölkerung ausgerichtet werden. Auch der Rück- und Umbau erfordert viel Geld.

So oder so kommt das die Bürger teuer zu stehen. Sie zahlen nicht nur für das Finanzdesaster, das die Politiker bisher angerichtet haben. Leistungen werden schrumpfen, Abgaben und Gebühren werden steigen. Schon behaupten Politiker im Verbund mit der Gewerkschaft Verdi, die den öffentlichen Dienst organisiert, die Kommunen seien unterfinanziert. Das läuft darauf hinaus, die Einnahmen der Städte zu erhöhen. Für die Bürger bedeutet das: Das Leben wird noch teurer.

Städte ohne Daseinszweck

Viele Gemeinden werden trotz aller Finanzhilfen manche Aufgaben mehr nicht erledigen können. Konzepte, die das in Rechnung stellen und mit den Folgen der demographischen Entwicklung verbinden, werden in der Landespolitik nicht diskutiert, geschweige denn exekutiert. Dabei wäre das längst dringend nötig. Allein im Kreis Recklinghausen sind sechs von zehn Städten schon heute am Ende. Manche können nicht einmal mehr die Schlaglöcher in ihren Straßen schließen.

Bei Kommunen wie diesen gäbe es viel zu sparen. Städte, die ihren Daseinszweck nicht erfüllen, müssen nicht auf Teufel komm raus selbständige Städte bleiben, nur um ihren teuren Verwaltungsapparat über Schulden zu finanzieren. Sie könnten auch auf andere Weise bürgernah verwaltet werden. In vielen Metropolen hätten Gebilde wie Waltrop oder Oer-Erkenschwick mit jeweils 30 000 Einwohnern nicht einmal eine Bezirksvertretung. Spandau, der kleinste Berliner Bezirk, zählt 227 000 Einwohner. Mehr als Oberhausen, Hamm oder Hagen, die finanziell am Ende sind, bald am Tropf des Landes hängen und dennoch ihre Aufgaben nicht mehr richtig wahrnehmen können.

Reply To zoom » Umleitung: Aufräumen nach den Ferien - nicht uninteressant. « Cancel Reply