Die Ampelkoalition entstand notgedrungen. Alternativen, die vor der Bundestagswahl 2021 im Gespräch waren wie Rot-grün-rot, Schwarz-grün und die Jamaikakoalition, hatten nach der Wahl keine Mehrheit oder fanden nicht die Kraft, eine Mehrheit zu bilden. Die Ampelkoalition war eine Verlegenheitslösung. Sie erweist sich immer mehr als eine Konstruktion des Übergangs. Sie ist drauf und dran, zum Auslaufmodell zu werden.

Leichtfertig die Gewichte verschoben

Hinweise mehren sich, dass die Koalition mürbe wird. Die Gewichte zwischen den drei Partnern haben sich seit der Wahl stark verschoben. Differenzen treten immer deutlicher hervor. Sie beizulegen, wird zunehmend zum Kraftakt. Die Umfragen deuten darauf hin, dass sich immer mehr Wähler von der Koalition absetzen.

Vor zwei Jahren erschien die Ampel abwegig. Damals wirkte das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien halbwegs stabil. Umfragen signalisierten über Monate Schwarz-grün. Die SPD träumte von Rot-rot-grün.

Auf dem ersten Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr 2020 lag die Union bei 40 Prozent. Die Grünen belegten vor der SPD den zweiten Platz. Dann brachte die Union die Gewichte zwischen den Parteien hochmütig und leichtfertig mit Eskapaden in Bewegung. Von da an ging es mit ihr bergab.

Die Puste verloren

Sie leistete sich Machtkämpfe und Fehler in der Corona-Politik. Bis zum Frühjahr 2021 hatte sie fast die Hälfte ihrer Anhänger verjagt und war hinter die Grünen zurückgefallen. Es war nicht mehr von Schwarz-grün die Rede, sondern von Grün-schwarz.

Bis zum Sommer 2021 erholte sich die Union zwar ein wenig. Zu Beginn des heißen Wahlkampfs war sie mit 30 Prozent wieder stärkste Kraft. Doch dann ging ihr über das Grinsen ihres Kanzlerkandidaten Laschet in der Flutkatastrophe erneut die Puste aus. Wieder liefen ihr viele Wähler davon.

Bei der Wahl landete sie mit 24,1 Prozent hinter der SPD auf Rang 2. Die Botschaft der Wähler erreichte Laschet nicht. Erzürnt darüber, dass er trotz seiner Wahlpleite und der Paralyse von CDU und CSU nach dem Kanzleramt schielte, ließen die Wähler noch mehr Luft aus der Union. Sie fiel auf 20 Prozent zurück.

Auf 15 Prozent heruntergewirtschaftet

Tritt fasste sie wieder, als sich Laschet zurückzog. Heute ist sie mit 29 Prozent erneut stärkste Kraft. Derzeit legt sie pro Woche einen Prozentpunkt zu. In Schleswig-Holstein und in NRW konnte die CDU sogar ihre Spitzenpositionen ausbauen.

Der jüngste Zulauf ist nicht allein das Verdienst der Union. Zwar trägt sie ihre Machtkämpfe nicht mehr offen aus. Zur Geltung kommt die ungewohnte Disziplin jedoch erst dank der Hilfe, die ihr die SPD großmütig zukommen lässt, seit sie den Kanzler stellt.

Die Partei hatte sich am Abend der Bundestagswahl 2017 für bankrott erklärt. Vor der Wahl wollte sie regieren, nach der Wahl nur opponieren. Dann änderte sie ihre Meinung erneut. Im Herbst 2018 war sie auf 15 Prozent heruntergewirtschaftet. Dort klebte sie fast drei Jahre lang.

Starkes Wahlergebnis

Auf die Beine kam sie erst, als Union und Grüne sich daran machten, sie zu beleben und Schwarz-grün zunichtezumachen. CDU-Kanzlerkandidat Laschet half der SPD mit seinem Grinsen im Flutgebiet. Die grüne Spitzenkandidatin Baerbock assistiert ihm. Sie vertrieb mit ihrem frisierten Lebenslauf viele grüne Sympathisanten.

Die SPD wusste nicht, wie ihr geschah. Innerhalb von zwei Monaten legte sie um zwei Drittel zu. Bei der Wahl wurde sie mit 25,7 Prozent stärkste Partei. Sie hatte ihre Streithähne stillgestellt und den Stammwählern Hilfe versprochen. Sie hob sich von Union und Grünen vorteilhaft ab und konnte von deren Fehlern profitieren.

Nach der Wahl wuchs die SPD sogar noch über ihr starkes Wahlresultat hinaus. Ihr kam zugute, dass Laschet auf Kritik stieß, weil er trotz seiner Niederlage regieren wollte. Als Vorteil erwies sich für die SPD auch, dass sich die Ampelparteien rasch und konfliktfrei auf eine Koalition einigten.

Ohne politische Linie

Mit dem Wahlerfolg der SPD griff die Vermutung um sich, die Partei könnte ihr lange andauerndes 15-Prozent-Tief endlich überwunden haben und ihren frisch errungenen Spitzenplatz behaupten und vielleicht sogar noch ausbauen.

Die SPD verstärkte den Eindruck, sie sei als Volkspartei wieder geboren. Sie erklärte sich und den Wählern ihren Erfolg damit, dass sie nun geeint sei und ihr Spitzenkandidat Scholz auf die Wähler besonders attraktiv wirke.

Beide Behauptungen widerlegte die Ampel, als sie zu arbeiten begann. Schon bald hatten die SPD, ihr Kanzler und ihre Minister mit dem Vorwurf kämpfen, sie seien ihren Aufgaben nicht gewachsen, hätten keine Linie und agierten zu zögerlich. Bis heute werden sie diese Vorwürfe nicht los. Sie bestätigen sich immer wieder.

Als unfähig abgestempelt

Über Putins Angriff auf die Ukraine fraßen sie sich fest. Scholz half dem überfallenen Land erst, als es unvermeidbar war, und dann nur dürftig. Dieser Linie blieb er bis heute treu. Er proklamierte die Zeitenwende, bremste sie jedoch aus Angst vor ihren Folgen. Längst steht er im Verdacht, Putin in die Karten zu spielen.

Worte und Taten fallen bei Scholz häufig auseinander. Auf Kritik reagiert er mit Kritik an den Kritikern. Es fällt ihm schwer, Differenzen in der Koalition auszugleichen. Obendrein wirken die SPD-Minister Lambrecht (Verteidigung), Faeser (Innen) und Geywitz (Bauen) unbeholfen. Sie sind als unfähig abgestempelt.

Im Wahlkampf profilierte sich die SPD als Partei der kleinen Leute. Seit sie in Berlin wieder regiert, hat sie Mühe, diesen Anspruch einzulösen. Im Entlastungspaket, das ihr Arbeitsminister Heil vor der NRW-Wahl startete, enthielt er Rentnern die Energiepreispauschale von 300 Euro vor.

Aufstieg beendet

Prompt nahm der steile Aufstieg, den die SPD um die Bundestagswahl herum erlebt hatte, bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und NRW ein jähes Ende. In NRW zeigten die Rentner der SPD, wo der Hammer hängt.

Sie sorgten dafür, dass aus dem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD auf den letzten Metern vor der Wahl die CDU einen deutlichen Vorsprung gewann und zum klaren Sieger wurde, während die SPD eine krachende Niederlage kassierten musste.

Im Bund ist die SPD heute nicht nur weit hinter ihr Wahlergebnis zurückgefallen, sondern auch hinter die Union und die Grünen. Sie rutschte unter die 20-Prozent-Marke. Sie schrumpft auf das 15-Prozent-Niveau zurück. Sie wird wieder das, was sie vor der Wahl war: neben der AfD, der FDP und der Linken die vierte Kleinpartei.

Keine Strahlkraft entwickelt

Scholz wird den Normalisierungsprozess der SPD kaum aufhalten können. Er wirkt bürokratisch, hölzern und unnahbar. Er kann den Bürgern seine Politik nicht erklären. Er schafft es bisher auch nicht, die Koalition und die SPD als Marken mit Strahl- und Anziehungskraft zu präsentieren.

Er tut sich schwer, die Rolle des Kanzlers auszufüllen. Den Bürgern fällt es schwer, ihn zu verstehen. Wie will jemand Probleme lösen, der selbst Teil der Probleme ist? Bis heute gilt: Je stärker Scholz in Erscheinung tritt, desto stärker sinken die Umfragewerte der SPD.

Zuspruch findet er in Branchen, die viel Energie brauchen, sich leichtfertig von Putins billiger Energie abhängig machten, lange von ihr profitierten und heute befürchten, er könnte den Hahn zudrehen. Ihnen gefällt, dass Scholz alles unterlässt, von dem anzunehmen wäre, es könnte Putin provozieren. Es sind jene Branchen, die Deutschland und Europa von Putin abhängig machten.

Ihren Zuspruch halbiert

Nicht nur die SPD verliert in der Ampelkoalition immer stärker an Gewicht. Auch die FDP hat mit der Rolle als Regierungspartei ihre liebe Not. Ihr gelingt es ebenfalls nicht, aus ihren Ressorts für sich und die Koalition Gewinn zu schlagen. Seit klar war, dass sie Regierungspartei würde, hat sie ihren Zuspruch halbiert.

In Schleswig-Holstein wird sie zum Regieren nicht mehr benötigt, demnächst wohl auch nicht mehr in NRW. Im Saarland reicht es nicht einmal zur Opposition. Dort wurde die FDP aus dem Landtag gewählt. Derzeit bekommt ihr weder das Regieren noch das Opponieren.

Bei der Bundestagswahl gewannen die drei Ampel-Partner 52 Prozent der Wähler. Rot und Gelb steuerten 37,2 Prozentpunkte bei. Ihr Anteil ist seither um fast ein Drittel auf 26 Prozentpunkte zusammengefallen.

Glaubwürdiger geworden

Dass die Ampel trotz der starken Einbußen von SPD und FDP immer noch 50 Prozent in der Wählerschaft behauptet, verdankt sie den Grünen. Ihnen gelang, woran der Rest der Koalition bisher scheitert: Sie nutzen ihre Regierungsämter, um ihr Ansehen zu steigern.

Die Partei legte seit der Bundestagswahl um fast zwei Drittel zu. Nach dem ungewöhnlich starken Anstieg in so kurzer Zeit ist sie heute mit 24 Prozentpunkten die stärkste Kraft in der Koalition. Sie liegt 20 Prozent vor der SPD und ist gut dreimal so stark wie die FDP.

Die grünen Minister Habeck (Wirtschaft) und Baerbock (Außenpolitik) genießen mehr Sympathie als Politiker anderer Parteien. Die grünen Minister und ihre Partei gewannen seit Putins Angriff an Glaubwürdigkeit. Ihnen spielt in die Karten, dass er jene Außen- und Wirtschaftspolitik der Großen Koalitionen gründlich diskreditiert hat, die sie in den vergangenen Jahren stets kritisierten.

Ausweg aus der Krise

Heute gilt ihre Wirtschafts- und Außenpolitik nicht nur immer mehr Bürgern, sondern auch immer mehr Unternehmen als Ausweg aus der Krise, in die sich Deutschland und Europa mit der starken Abhängigkeit von russischem Öl und Gas manövriert haben.

Wichtige Anliegen der Grünen haben Gewicht gewonnen: ihre Kritik am Verbrauch fossiler Energie; ihre Forderung, sie durch erneuerbare Energie zu ersetzen und Klima wie Umwelt zu schonen; ihre Kritik an Autokratien und Diktaturen; ihre Forderung, sich nicht von ihnen abhängig zu machen.

Nach der Bundestagswahl 2017 vollzogen die Grünen ihre eigene Zeitenwende. Damals wurden sie mit 8,9 Prozent schwächste Partei im Bundestag. Seither lösen sie ihre Konflikte intern. Als Söder und Seehofer 2018 Merkel stürzen wollten, hatten viele empörte CSU-Sympathisanten kein Problem mehr damit, die Grünen zu wählen.

Fehler korrigieren

Die SPD und die Union rechtfertigten die Bindung an Diktatoren mit der Behauptung, wirtschaftliche Kontakte führten zu deren Demokratisierung. Wie die Union redete die SPD sich und den Bürgern lange die Gier der Wirtschaft nach billiger Energie mit der Parole „Wandel durch Handel“ schön.

Dass der Zuspruch zu den Grünen wächst, erklärt sich auch daraus, dass sie nicht bereit sind, Missstände zu verbrämen. Baerbock geißelt Unterdrücker und lehnt Kumpanei mit ihnen ab. Ihre deutlichen Ansagen verbinden sich mit der Empörung der Bürger über Putins Verbrechen. Diese Mischung wirkt für die Grünen wie Hefe.

Ehe Habeck die Energiewende vorantreiben kann, muss er die Fehler der Großen Koalition aus dem Zeitalter der fossilen Energie beheben, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht. Weil er aus dem Unbehagen über den Pragmatismus, zu dem er sich gezwungen sieht, keinen Hehl macht, findet er Akzeptanz bei den Grünen und Anerkennung bei Unternehmen und Wählern. Steigende Umfragewerte sind der Lohn.

Immer mehr Schwarz-grün

Die Wähler haben längst gemerkt, dass die Grünen Volks- und Kanzlerpartei werden wollen. Wären die derzeitigen Umfragewerte das Wahlergebnis, säßen die Grünen im Kanzleramt. Je weiter die SPD schrumpft, desto schwächer werden ihr aktueller Bundeskanzler und seine Autorität in seiner Partei und in der Bevölkerung.

Auch in der Koalition werden sich die Reibungen verstärken, sollten SPD und FDP ihren Abwärtstrend und den Aufwärtstrend der Grünen nicht stoppen können. Je näher die FDP auf die Fünf-Prozent-Hürde zu trudelt, desto größer wird ihr Bedürfnis werden, sich zu profilieren, wenn es sein muss, auch auf deren Kosten.

In Baden-Württemberg und in Hessen koalieren CDU und Grüne. In Schleswig-Holstein und NRW bahnen sich Schwarz-grün an. In Brandenburg arbeiten sie mit der SPD zusammen. Sollte Schwarz-grün auch nach der Niedersachsenwahl im Oktober zustande kommen, geriete nicht nur die Ampel im Bund unter Druck. Nach der nächsten Bundestagswahl könnten die Grünen womöglich auch die Union hinter sich lasen. – Ulrich Horn

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