Für die CDU-Konservativen wurde der Hamburger Parteitag zum Debakel. Seit Jahren wollen sie Merkel stürzen. Im vergangenen Sommer wagten sie den Angriff. Sie wähnten sich fast am Ziel, als Merkel nach der Hessenwahl auf den CDU-Vorsitz verzichtete. In Hamburg wollten sie ihr den Rest geben. Der Plan ging daneben. Merkels Rückzug von der Parteispitze, ein Beleg ihrer schwindenden Macht, drehte sich gegen ihre Gegner. Nicht Merkel fiel. Ihre Kontrahenten stürzten. Der begeisterte Flieger Merz, der sich gerne als Überflieger inszeniert, legte wieder einmal eine Bruchlandung hin.

Den Kleingarten durchgepflügt

Sie scheiterten an ihrem Unvermögen, an der Umsicht, mit der Merkel den Ausstieg aus der Politik plant, und an dem Machtwillen, mit dem ihre Nachfolgefavoritin Kramp-Karrenbauer den CDU-Vorsitz anstrebte. Vor aller Augen hebelten die beiden Frauen nicht nur das gegnerische Männerbündnis aus, das sich tief rechts in der Partei verortet, sich aber dennoch für deren Zentrum hält. Es gelang den Frauen auch, das Lager der Konservativen zu spalten.

Merkel und Kramp-Karrenbauer versuchen nun, die jungen Konservativen einzubinden. Spahn sitzt bereits als Minister in Merkels Kabinett und im CDU-Präsidium. Ziemiak steht als Generalsekretär der neuen Vorsitzenden in der Parteispitze. Spahn und die jungen Kräfte hinter ihm erzielten in Hamburg zwar nur ein mäßiges Ergebnis. Dennoch war der Parteitag für sie ein großer Erfolg. Es war ihr Durchbruch.

Sie gaben bei der Vorsitzendenwahl den Ausschlag. Sie gewannen mehr Einfluss in der Partei. Im Lager der Konservativen werden sich demnächst die Verhältnisse ändern. Nicht mehr die alten, sondern die jungen Kräfte werden dort den Ton angeben. Merkels Rücktritt sorgte dafür, dass in Hamburg das große Feld der Partei und den Kleingarten der Konservativen kräftig durchgepflügt wurde.

Castingshow als Frischzellenkur

Viele CDU-Mitglieder empfanden das Casting der Kandidaten für den Parteivorsitz als Frischzellenkur. Dabei handelte es sich doch um einen ganz gewöhnlichen knochenharten Machtkampf. Die Mitglieder dienten als Statisten. Sie durften zuschauen und zuhören, aber nicht mitspielen. Die Entscheidung blieb den Delegierten des Parteitags vorbehalten, der CDU-Funktionärselite.

Sie gibt sich und ihre Entscheidungen gerne als Spiegelbild der Partei aus. Seit ihrer Niederlage in Hamburg behaupten die Konservativen denn auch, das Wahlergebnis zeige, Merz habe fast die Hälfte der Partei hinter sich. Das ist falsch. Die Mehrheitsverhältnisse unter den Delegierten entsprachen denen in der Mitgliedschaft nicht.

Auf dem Hamburger Parteitag hatten die konservativen Delegierten die Mehrheit. Merz verfehlte sie nur knapp, weil ein Teil der jungen Konservativen aus Spahns Lager zu Kramp-Karrenbauer umschwenkte. Hätten die Konservativen im zweiten Wahlgang zusammengehalten oder hätte Spahn im ersten Wahlgang verzichtet, wäre Merz CDU-Chef geworden. Die meisten Konservativen waren entschlossen, ihn an der Mehrheit der Mitglieder vorbei und über sie hinweg an die Spitze der Partei zu bringen.

Die Bruchstelle geschaffen

Die Konservativen und ihr Kandidat Merz haben nur ein knappes Drittel der Mitglieder hinter sich. Die Mehrheit bevorzugt Kramp-Karrenbauer. Noch größer ist die Mehrheit gegen Merz unter den Wählern. Erstaunlich ist das nicht. Seit Jahren hat er keinen politischen Erfolg vorzuweisen. Dass ihn die Konservativen dennoch als Heilsbringer auf- und anbieten, obwohl er recht unbeliebt und erfolglos ist, lässt sich nur mit mangelndem Realitätssinn erklären.

Dass die Konservativen Merz zu ihrem Kandidaten machten, offenbart erneut jene Mischung aus Selbstüberschätzung und Unvermögen, mit der die Konservativen seit Jahrzehnten an ihren Zielen vorbeischießen. Lange förderte ihr Schutzherr Schäuble seinen Zögling Spahn als Hoffnungsträger. Doch als es darauf ankam, setzte Schäuble auf Merz. Der Ex-Politiker verschaffte den Konservativen viel Aufmerksamkeit, aber auch viel Verdruss.

Mit seinem neuen Favoriten schuf Schäuble die Bruchstelle, an der das Lager der Konservativen auseinander fallen konnte oder sich spalten ließ. Dass Merz vielen jungen Anhängern Spahns kaum zu vermitteln war, lag auf der Hand. Wie tief die Verstimmung der jungen Konservativen war, zeigte sich, als Spahn erklärte, er denke gar nicht daran, seine Kandidatur zugunsten von Merz aufzugeben.

Risikobereitschaft belohnt

Spahn läutete die Alarmglocke. Lag es da nicht nahe, die jungen Konservativen an Merz zu binden, um dessen Wahl zu sichern? Von solchen Versuchen ist nichts bekannt. Die alten Konservativen scheinen die Glocke überhört zu haben. Die Merz-Konkurrentin Kramp-Karrenbauer hörte sie sehr wohl. Sie bot dem Chef der Jungen Union an, Generalsekretär zu werden. Der Merkel-Kritiker Ziemiak schlug ein. Die Mehrheit für Kramp-Karrenbauer stand.

Dass Merz und Schäuble sträflich unterließen, was Kramp-Karrenbauer beherzt tat, verwundert nicht. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Merz, Schäuble und die Männerriege des Andenpakts an sich selbst scheiterten, wenn es hart auf hart geht. Mit seiner schwachen Kandidatenrede riss Merz kaum jemanden mit. Während die konservativen Herren die Hände in den Schoß legten, setzten Merkel und Kramp-Karrenbauer umsichtig und entschlossen alles auf eine Karte. Ihre Risikobereitschaft überrollte die Konservativen und wurde mit vollem Erfolg belohnt.

Auch wenn die alten Konservativen und ihre Strippenzieher noch für manchen Wirbel sorgen werden: Sie haben ausgedient. Die jungen Konservativen, die sich auf Kramp-Karrenbauers Seite schlugen, werden weitere junge Leute nach sich ziehen. Sie werden in der Partei und im Lager der Konservativen an Einfluss gewinnen und dort bald immer mehr den Ton angeben.

Den Kopf aus der Schlinge gezogen

In Hamburg setzte sich nicht nur Merkels Favoritin durch. Merkel erreichte auch, dass sich die alten Konservativen, die ihr immer wieder Knüppel zwischen die Beine warfen, selbst bloß stellten und von jungen Konservativen ausgespielt wurden. Der Generationswechsel ist eingeleitet. Wollen die jungen Leute in der CDU eine Zukunft haben, werden sie nun das tun müssen, was sie bisher infrage stellten: Sie müssen darum kämpfen, dass die Partei trotz aller Differenzen geschlossen auftritt. Diese Aufgabe ist mit dem Absolutheitsanspruch der alten Konservativen nicht zu bewältigen.

Wäre es nach deren Willen gegangen, hätte es so weit gar nicht kommen sollen. Konservative Unionsfunktionäre wollten Merkel bereits im Sommer den Garaus machen. Mit Seehofer als Rammbock kochten sie die Flüchtlingsfrage wieder hoch. Es lief auf eine Art Palastrevolte hinaus. Schäuble sollte Übergangskanzler werden. Merz wäre zum Parteitag hin als CDU-Chef ins Spiel gekommen. Dem Kurswechsel scharf nach rechts hätte nichts mehr im Weg gestanden.

Die Revolte gegen Merkel scheiterte, weil die Anführer Seehofer und Söder weit überzogen. Die Merkel-Kritiker unter den Unionsfunktionären gerieten unter den Druck der Mitglieder und der Wähler. Sie fanden den Umgang mit Merkel unanständig und empörten sich lauthals. Seehofer und Söder mussten klein beigeben. Merkel konnte ihren Kopf gerade noch aus der Schlinge ziehen.

Ins Rampenlicht geschoben

Seither war jedoch klar, dass sich die auseinander strebenden Kräfte in der Union von Merkel nicht mehr zusammenbinden ließen. Nach Seehofers Sommertheater waren die Verluste der Union bei der Bayern- und der Hessenwahl keine Überraschung. Merkel beschloss, den CDU-Vorsitz abzugeben, die Kanzleramt jedoch zu behalten. Es schien, als weiche sie von ihren Gegnern geschlagen zurück. Tatsächlich aber brachte sie mit dem Teilrückzug ihre Kontrahenten unter Druck.

Bis dahin war Merkel deren Angriffen hilflos ausgesetzt. Wollte sie den Konflikt nicht verschärfen, musste sie hinnehmen, dass ihr Ansehen von ihren konservativen Parteifreunden immer stärker beschädigt wurde. Oft schien es, als nähmen die Konservativen den Schaden für die Union in Kauf und betrieben mit voller Absicht das Geschäft der AfD, die Merkel geradezu hasst.

Mit ihrem Rücktritt vom CDU-Vorsitz zwang sie die CDU-Konservativen, den bequemen Hinterhalt zu verlassen, aus dem sie ihr jahrelang zugesetzt hatten. Nun waren sie gezwungen, sich dem Votum des Parteitags zu stellen, aber auch dem Urteil der Mitglieder, der Wähler und der Medien. Für die Konservativen war das eine ungewohnte Erfahrung. Bisher waren sie es, die Merkel ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückten. Nun sahen sie sich von Merkel ins Rampenlicht des Hamburger Parteitags geschoben.

Sich treu geblieben

Dort haben sie sich nach allen Regeln der Kunst selbst entzaubert. Im Kandidatenrennen um ihre Nachfolge verlor Merkel kein einziges Wort. Sie stellte weit- und umsichtig nur ein paar Weichen. Sie holte Spahn ins Kabinett. Sie machte Kramp-Karrenbauer zur Generalsekretärin. Sie gab ihr genügend Zeit, sich einzuarbeiten und sich in der Partei noch besser zu verankern. Die Mitglieder bekamen genügend Zeit, sich daran zu gewöhnen, dass Kramp-Karrenbauer Merkel beerben wollte und sollte.

Die Konservativen rochen frühzeitig Lunte. Ihr Handicap: Unter den aktiven Politikern in ihrem Lager gab es keinen gleichwertigen Kandidaten. Schäuble ist zu alt. Spahn ist zu jung. Merz war eine Verlegenheitslösung. Er erklärt gerne die Welt und sammelt Tantiemen. Doch wenn es darauf ankommt, entpuppt er sich als Ausfall. In dieser Hinsicht erinnert er an den früheren SPD-Politiker Steinbrück, der in seiner Partei ebenfalls über sich stolperte und dann auf der Strecke blieb. Im Vergleich mit Kramp-Karrenbauer bringt Merz außer viel Wind kaum etwas auf die Waage.

Hätten die Konservativen Merkel während Seehofers Sommertheater gekippt, wäre Merz heute sicher CDU-Chef. Selbst nach der gescheiterten Revolte hatte Merz noch zwei weitere Chancen – über die beiden Wahlgänge auf dem Parteitag. Er hat sie wie manche andere Chancen nicht genutzt. Er blieb sich treu, so, wie sich Merkel treu blieb, eine Gemeinsamkeit, die nicht verbindet. Merkel sorgte dafür, dass ihre Gegner ihr blaues Wunder erlebten, natürlich wie immer, ohne selbst sichtbar zu werden. Ihr langjähriger Gegner Seehofer bekundete ihrer strategischen Umsicht prompt seinen höchsten Respekt. Dem Ziel, als erste Kanzlerin den Ausstieg aus der Politik selbst zu gestalten, ist sie einen großen Schritt nähergekommen. – Ulrich Horn


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4 Comments

  1. Konservativ ist in der Tat nicht gleich Konservativ. Die Dino-Variante vom Schlage eines an Selbstüberschätzung leidenden Friedrich Merz hat ausgedient und ist Merkel/AKK in fast allen Belangen unterlegen. Aber wenn man Seehofer mit Merz vergleicht, hat Seehofer vielleicht nicht gerade einen Preis in gutem Stil verdient, in der Sache aber doch weitgehend recht gegenüber Merkel. Von wegen Sommertheater! Merz hingegen würde nur der siechenden SPD wieder Leben einhauchen.

  2. Sie schreiben: „Im Kandidatenrennen um ihre Nachfolge verlor Merkel kein einziges Wort. Sie stellte weit- und umsichtig nur ein paar Weichen.“ Dann muss ich eine andere Rede beim Parteitag gesehen haben. Mehrmals der eindeutige Hinweis auf die Schwarzgelder (Schäuble) und die gewonnenen Wahlen (AKK) waren doch ein ganz eindeutiges Statement an die Funktionäre.
    Außerdem „Der Generationswechsel ist eingeleitet. Wollen die jungen Leute in der CDU eine Zukunft haben, werden sie nun das tun müssen, was sie bisher infrage stellten: Sie müssen darum kämpfen, dass die Partei trotz aller Differenzen geschlossen auftritt.“ und dafür Ziemiak eingebunden habe. Mit dem Studienabbrecher und ehemaligen Praktikanten also, der in seinem Leben noch nie gekämpft hat, sondern, ganz im Gegenteil, der politische Opportunist und Mephisto der JU, soll die Zukunft der CDU gestaltet werden? Da scheinen Sie mir arg optimistisch!
    Und letztlich: „Im Vergleich mit Kramp-Karrenbauer bringt Merz außer viel Wind kaum etwas auf die Waage.“ Stimmt, aber da könnte man auch den Vergleich mit Nürnberg und Fortuna heranziehen. Betrachtet man die wirtschaftlichen Erfolge der AKK im Vergleich zu anderen Bundesländern, kommt man zu einem ernüchternden Ergebnis. Wie die Konservativen auf Merz kommen konnten, bleibt deren Geheimnis. Wieso Merkel AKK inthronisiert hat, aber ebenso. Jeweils fatale Züge der Machtmenschen Schäuble und Merkel, die die Union nun unwiederbringlich zur neuen SPD machen werden.
    Was also wird passieren, wenn AKK und Ziemiak die bloßgestellten und geschwächten (süddeutschen) Konservativen nicht eingefangen bekommen, bzw. wer könnte daran ein großes Interesse haben? Das ist Laschet, der durch seine noble Zurückhaltung doch das eigentliche Treibmittel war und vielleicht auch in den kommenden Monaten noch ist. Denn er allein hätte damit eine prima Chance, unterstützt durch die NRWler in Berlin, Angelas Nachfolger zu werden.

  3. Dr. Günter Buchholz Reply

    Ich vermute, daß die LSU sich bei der Wahl zwischen Merz und AKK mehrheitlich oder gänzlich für letztere entschieden hat, nämlich als das für die LSU kleinere Übel.

    18 Stimmen haben die Entscheidung gebracht.

    Ob die LSU nun in irgendeinem Sinne als „konservativ“ bezeichnet werden kann, das ist m. E. irrelvant. Siehe zur LSU:

    https://www.lsu-online.de/

  4. Ich bewundere Ulrich Horn und die hier tätigen Strategen wegen ihrer ausgefuchsten scharfsinnigen Analysen, wie sie im Spinnennetz der Politik die Fäden verfolgen.
    Ich habe eine andere Strategie. An der Fernbedienung meines Fernsehers gibt es eine Taste, die ich die „Wohlfühltaste“ nenne. Auf dieser Taste steht „mute“. Sie gilt auch für Kirchenvertreter und Sportler! Es handelt sich um einen Akt der seelischen Hygiene.

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