Merkels Gegner wähnen sich am Ziel. Seehofer und die CDU-Konservativen haben lange hart daran gearbeitet, ihre Autorität zu zerstören. Sie nahmen schlechte Umfragewerte und schwere Verluste bei der Bayern- und der Hessenwahl in Kauf, um Merkel zu schwächen. Nun tritt sie den Rückzug an. Sie gibt den CDU-Vorsitz auf und will nur noch bis 2021 Kanzlerin bleiben. Ihre Gegner wollen sie viel schneller in den Ruhestand zwingen. Sie könnten ihr blaues Wunder erleben.

Stabile Verhältnisse

Merkels Rückzug vom CDU-Vorsitz gilt als Zeichen der Schwäche. Er könnte sich rasch als ein Zeichen von Stärke erweisen. Mit ihrem Verzicht schob sie schlagartig ihre Gegner in den Fokus der Öffentlichkeit. Bisher konnten sie sich leicht an Merkel abarbeiten. Im Rennen um ihre Nachfolge sind sie nun gezwungen, sich selbst der Bewertung auszusetzen und Farbe zu bekennen. Was dabei sichtbar wird, ist alles andere als berauschend.

Merkels Gegner Seehofer ist demontiert. Selbst in der CSU ist er isoliert. Die CSU-Bezirkschefs, die ihn stützten, haben erkannt, dass es ein kapitaler Fehler war, dass sie im Sommer mit Seehofer vorneweg den Konflikt mit Merkel zuspitzten. Sie haben es nicht geschafft, sie aus dem Kanzleramt zu drücken, wohl aber, die CSU stark zu schwächen.

Nun sorgen sie sich, es könnte mit der Partei weiter bergab gehen. Um sie auf die Höhe der Zeit zu bringen, ihr die alte Kraft zu verschaffen und die neue CSU-geführte bayrische Koalitionsregierung in die Erfolgsspur zu setzen, brauchen die CSU-Bezirkschefs im Europa-Wahljahr 2019 stabile Verhältnisse in der Bundespolitik.

Eine neue Autorität

Merkel hebelte die CSU aus, als sie vorschlug, den CSU-Politiker Weber 2019 zum Präsidenten der EU-Kommission zu machen. Ohne ihre Protektion dürfte dieser Plan kaum gelingen. Bayerns neuer Ministerpräsident Söder, der bis in den Sommer hinein noch als einer der größten Scharfmacher gegen Merkel auftrat, hat begriffen, welche Bedeutung ihr Schachzug hat, Weber an die Spitze der EU-Kommission zu bringen.

Merkel weiter zu demontieren, würde Webers Ambitionen gefährden und der CSU schaden. Mit ihm als Kandidaten gibt es in der CSU nun eine neue Autorität, deren Gewicht das des CSU-Chefs und des bayrischen Ministerpräsidenten übertrifft. Auf dem Chefsessel der EU-Kommission würde sich Webers Gewicht in der CSU noch viel größer werden.

Seehofer und die Konservativen in der Union haben die Bundes- und die Europapolitik über viele Monate chaotisiert. Mit Weber sind solche Eskapaden nicht zu machen. Im Zusammenspiel zwischen ihm, Merkel und Macron könnten sich trotz Brexit, Italienkrise und EU-kritischer Regierungen in Österreich, Ungarn, Polen und Italien der EU neue Perspektiven eröffnen, von deren sicher auch das CSU-geführte Bayern profitieren würde.

Aus dem Spiel nehmen

Frei von Unionsquerelen und Berliner Koalitionskonflikten könnte Söder ungestört die geschwächte CSU erneuern und ihre Politik in Bayern neu ausrichten. Schon spricht er sich dafür aus, angesichts der großen EU-Probleme Merkels Erfahrungen weiterhin zu nutzen. Wer immer demnächst die CDU führt: Söder setzt darauf, dass Merkel Kanzlerin bleibt.

Sie hat es mit ihrer Unterstützung für Weber geschafft, die CSU komplett einzunorden. Ob Seehofer Innenminister bleibt oder bald auch diesen Regierungsposten aufgibt, muss Merkel nicht beunruhigen. Bleibt er im Amt, muss er in der Spur laufen. Andernfalls werden ihn die CSU-Bezirkschefs, Söder und Weber aus dem Spiel nehmen.

Merkels Gegner Merz pflegt seine Aversionen gegen sie nun schon seit fast zwei Jahrzehnten unverdrossen. Die Aussicht, dass er neuer CDU-Chef und dann auch Kanzler werden könnte, schwindet von Tag zu Tag. Es sind nicht die Medien und auch nicht seine Konkurrenten um den CDU-Vorsitz, die ihm das Leben schwer machen.

Als Schwadroneur entpuppt

Wie etliche andere Mitglieder des Andenpakts leidet auch er unter der fatalen Neigung, sich auf offener Bühne selbst zu zerlegen. Gerade erst sind die Hälfte der Kandidatenauftritte in der CDU absolviert, und schon musste er mehrere seiner Aussagen korrigieren. Dabei zeigte sich, dass dieser Kandidat, der als besonders sachkundig gilt, alles andere als sattelfest ist.

Er machte sich die irrigen Behauptungen der AfD- und Pegida-Anhänger über die große Zuwanderung von 2015 zu eigen. Er relativierte seine Unterschrift unter einem Manifest, das eine EU-Arbeitslosenversicherung ins Gespräch bringt. Er kassierte auch seine Forderung, das im Grundgesetz verbürgte individuelle Recht politisch Verfolgter auf Asyl zu ändern und es den EU-Standards anzupassen.

Merz ist inhaltlich nicht auf der Höhe. Die Medien führten ihm und der CDU süffisant vor Augen, dass die europäischen Asylregelungen über das deutsche Asylrecht deutlich hinausgehen und großzügiger sind. Die Medien machten aller Welt klar, dass sich Merz gerade als unkundiger Schwadroneur entpuppt hatte.

Unterstützung nur aus der AfD

Die Reaktionen, die Merz auch in der CDU hervorrief, hatten es in sich. Man hielt ihm vor, der AfD in die Karten zu spielen und wie sie die schlimmen Ursachen zu verharmlosen, die dazu führten, den individuellen Anspruch auf Asyl im Grundgesetz zu verankern. Die Kritik an Merz fiel breit und massiv aus. Nur die AfD, die Merz halbieren will, hielt demonstrativ zu ihm.

Die CDU-Funktionäre, die demnächst über Merkels Nachfolge entscheiden, bekamen in den vergangenen Tagen einen Vorgeschmack auf die Probleme, die der Partei drohen, sollte sie Merz zu ihrem Chef machen. Er polarisiert. Er schreckt Wähler der Mitte ab. Einer wie er kann die AfD nicht halbieren. Deren Wähler sind zum Teil ehemalige SPD-Sympathisanten. Andere kommen aus dem nationalistischen Milieu, das sich rund um die Vertriebenenverbände findet. Die meisten AfD-Fans sind CDU-resistent.

Wie Spahn hat auch Merz in der ersten Hälfte der Kandidatentour die Zuwanderung zum zentralen Thema gemacht. Beide wandeln auf Seehofers Spuren. Sie erzielen den gleichen Effekt wie er: Die AfD legt deutlich zu. Die CDU stagniert auf niedrigem Niveau. Merz ist in der Gunst der Wähler und CDU-Mitglieder noch weiter hinter Kramp-Karrenbauer zurückgefallen. Er entpuppt sich als schlechter Wahlkämpfer in eigener Sache.

Auf Sichtweite nahe

Sollte sich diese Entwicklung fortsetzen, könnte sie sich bei der Wahl des CDU-Vorsitzenden niederschlagen. Bliebe Merz auf der Strecke, wäre Merkels Triumph über ihre Gegner perfekt. Sie hätte Seehofer klein gekriegt. Sie hätte die CSU gebändigt. Sie hätte dafür gesorgt, dass Merz als Polarstern der CDU-Konservativen verglüht. Sie hätte die Konservativen auf das reduziert, was sie immer waren: ein nicht mehrheitsfähiger Flügel der CDU.

Merkel hätte ihrer Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer jene Kräfte vom Hals geschafft, die in den vergangenen Jahren der Kanzlerin das Regieren erschwerten. Kramp-Karrenbauer hätte reichlich damit zu tun, die Union zu einen und sich auf die Kanzlerkandidatur vorzubereiten. Merkel könnte sich intensiver um die immer anspruchsvolleren Aufgaben der Außenpolitik kümmern. Sie könnte Weber und Kramp-Karrenbauer mit den Feinheiten der Europapolitik vertraut machen.

Kein Kanzler hat es bisher geschafft, seinen Ausstieg aus der Politik und seine Nachfolge selbst zu regeln. Merkel ist diesem Ziel auf Sichtweite nahe. Ob sie es erreichen kann oder ob sie das Kanzleramt vorzeitig für Merz räumen muss, entscheiden die CDU-Delegierten auf ihrem Bundesparteitag am 7. Dezember in Hamburg. – Ulrich Horn


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2 Comments

  1. Für eine objektive Betrachtung muss man als Journalist Merz eine Siegeschance wohl noch einräumen. Die aber war und ist nie da gewesen. Statt dessen spielen alle Beteiligten nach einem sehr gut durchdachten Drehbuch mit. Das Happy End ist klar wie Kloßbrühe, der selbstverliebte sauerländer Mohr hat dann seine Pflicht getan und darf zurück, Familienmusik machen.
    Jeder Funktionär der CDU braucht sich doch nur zu fragen, wo es mehr Stimmen zu holen gibt: Rechts der CDU, wo der blaue Merz meint, nationalkonservative Wähler zurückholen zu können, die längst den Rubikon überschritten haben? Oder besser links, wo eine alte Dame sichend am Boden liegt und längst das Erbe verteilt wird (und deren Wähler ebenso wie die der CDU einem bürgerlichen Lager entstammen)?
    Die Partei wird sich für AKK entscheiden, und das wiederum wird der Sargnagel für die SPD. Wer heute ihr Interview in der FAS gelesen hat, hätte meinen können, dass da eine Sozialdemokratin spricht und genau weiß, dass in Deutschland nach wie vor Wahlen in der Mitte gewonnen werden, und das mit sozialdemokratischen Themen mit Augenmaß.

  2. Die in diesem Blog immer wieder vorgetragene Kritik an Seehofer ist nur vor dem Hintergrund der übermächtigen Merkel begründet. Denn war das Poltern der CSU seit Franz Josef Strauß‘ Zeiten nicht geradezu das Markenzeichen der sich stets gerne größer machenden kleinen Schwester der CDU? Aber Merkel duldet keine Extratouren mehr von der CSU! Den CDU-Vorsitz kann Merkel beruhigt abgeben, denn die CDU heute ist ganz und gar MERKEL-CDU. Ob AKK in 2021 Merkels Nachfolgerin im Kanzleramt wird oder ob sie doch selber weitermacht, wird die „eiserne Kanzlerin“ beizeiten entscheiden.

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