Die SPD muss sich nicht mehr einsam fühlen. Seit Jahren demontiert sie immer wieder ihr Führungspersonal und verbraucht dabei ihren Vorrat an Wählervertrauen. Nun machen sich Konservative in der Union auf, diesem Beispiel zu folgen. Mit den Mandatsverlusten bei der Bundestags- und der Niedersachsen-Wahl sind konservative Politiker aus der zweiten und dritten Reihe der Union dazu übergegangen, ihre Kanzlerin Merkel offen zu demontieren. Offenbar sehnen auch sie sich nach dem Koma in der Opposition.

Kritik der Frondeure

CSU-Politiker wie Seehofer und Söder operieren gegen Merkel, seit sie im Herbst 2015 viele Flüchtlinge ins Land ließ. Nun bekommen die CSU-Chefs Verstärkung von konservativen, wirtschaftsnahen Kräften der CDU, die noch viel länger mit dem Kurs und dem Zustand der Partei unzufrieden sind.

Die Frondeure stoßen sich an der inhaltlichen Ausrichtung der Partei, an ihrem Erscheinungsbild und an ihrem inneren Zustand. Sie beklagen, dass die CDU unter Merkel immer weiter nach links gerückt und der SPD immer ähnlicher geworden sei.

Die Kritiker möchten die Partei weiter nach rechts rücken. Sie wünschen schärfere konservative Konturen. Konservative Werte sollen das Gerüst bei der Lösung der Probleme Deutschlands bilden. Die CDU soll nach den Vorstellungen der Merkel-Kritiker nach außen mehr polarisieren und nach innen intensiver diskutieren.

Rechts von der Mitte

Lange äußerten sie ihre Kritik an Merkel, ihrer Politik und ihrem Führungsstil vorsichtig hinter vorgehaltener Hand. Die Flüchtlingskrise und ihre Folgen ermunterten sie, ihre Vorbehalte zunehmend öffentlich zu artikulieren. Heute machen sie unverhohlen Merkel für das Erstarken der AfD und die Verluste der Union bei der Bundestags- und der Niedersachsen-Wahl verantwortlich.

Der Kreis der Kritiker, die sich öffentlich äußern, wächst, ist aber nach wie vor überschaubar. CDU-Spitzenkandidat Althusmann, der bei der Niedersachsen-Wahl schwer geschlagen wurde, macht seine Niederlage an der Bundespartei fest, für die Merkel verantwortlich ist.

Mecklenburg-Vorpommers Innenminister Caffier (CDU) bezweifelt, dass die Jamaika-Koalition, die Merkel anstrebt, den Sicherheitsbedürfnissen der Republik gerecht wird. Wie die CSU dringt auch der einflussreiche CDU-Wirtschaftsrat darauf, dass sich die CDU rechts von der Mitte positionieren müsse.

Drei Dutzend Gleichgesinnte

Die CDU solle sich an Österreichs Konservativen und ihrem jungen Chef Kurz orientieren, verlangt der Generalsekretär des Wirtschaftsrates, Steiger. Auch rät er, die CDU-Spitze zu verjüngen. Unionsnahe Wirtschaftsverbandsfunktionäre ziehen gegenwärtig mächtig über Merkel her. Doch eine inhaltliche und personelle Alternative haben sie nicht anzubieten.

Die Speerspitze der Kritiker bildet ein Kreis junger Politiker um Finanzstaatssekretär Spahn (37), den Chef der Jungen Union, Ziemiak (32), und den Vorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung, Linnemann (40). Die drei haben ihre Basis im größten CDU-Landesverband NRW, der von Merkels treuestem Anhänger Laschet geführt wird.

Um die jungen Konservativen scharen sich drei Dutzend Gleichgesinnte, darunter der Manager von Borussia Dortmund, Watzke, und der frühere CDU-Politiker Merz, den Merkel Anfang des Jahrhunderts aus der CDU-Spitze drängte. Die Kultfigur der Konservativen ist heute Chef des Aufsichtsrats beim deutschen Ableger von Blackrock, dem weltweit größten Vermögensverwalter.

Mit Wohlwollen begegnet

Die drei Merkel-Kritiker aus NRW sind schon längere Zeit Berufspolitiker. Ziemiak führt seit 2014 die Junge Union. 2017 kam er über die Reserveliste in den Bundestag. Linnemann sitzt dort seit 2009. Er wurde stets direkt gewählt, wie auch der Wortführer Spahn. Er ist ein alter Hasse. Er zog 2002 in den Bundestag und absolviert gerade seine fünfte Legislaturperiode.

Obwohl sie lange dabei sind, ist es den drei Konservativen bis heute nicht gelungen, das Konzept für einen modernen Konservatismus zu entwickeln, der das Bild der CDU mitprägt und die Aussicht gewährleistet, mehrheitsfähig zu werden. Mangels eigener Substanz haben sie den Zustand der Partei, den sie beklagen, mitzuverantworten.

Bis auf ein paar Nadelstiche gegen Merkel trauten sie sich gegen sie bisher nicht so recht aus der Deckung. Sie versteckten sich hinter Schäuble, der im Lager der Konservativen die größte Autorität besitzt und vor allem Spahn mit Wohlwollen begegnet.

Der Platz in der Mitte

Dass die drei jungen Männer die CDU nach rechts rücken möchten, ist schon deshalb erstaunlich, weil sich bereits herausgestellt hat, dass ein solches Manöver der Union schadet und sie die Macht kosten kann. Einen Rechtsruck, wie ihn sich die drei Konservativen wünschen, erlebte und erlitt die Union schon vor einem Dutzend Jahren. Er schadete damals nicht nur der CDU. Er half auch der SPD.

Beim Leipziger CDU-Parteitag 2003 hatte Merkel die politische Mitte und rückte mit der Union nach rechts. Die CDU-Chefin machte sich die Positionen der Konservativen um Merz zu eigen und zog mit ihnen in den Bundestagswahlkampf 2005. Prompt besetzte die SPD mit ihrem Kanzler Schröder den frei gewordenen Platz in der Mitte. Mit einer rasanten Aufholjagd hätte Schröder die Union beinahe geschlagen.

Aus der Erfahrung, dass rechte Politik in Deutschland kaum mehrheitsfähig ist, zog Merkel Konsequenzen. Sie drängte die SPD aus der Mitte und trug auf diese Weise dazu bei, sie zu marginalisieren. Ihr Konzept beschert der Union nun schon die vierte Legislaturperiode an der Macht.

Besenstiele wählen

Es gibt keinen CDU-Ministerpräsidenten mehr, der als Beispiel dafür dienen kann, dass die deutschen Wähler konservative Politik belohnen. Alle CDU-Wahlsieger 2017 waren mit Laschet (NRW), Kramp-Karrenbauer (Saarland) und Günther (Schleswig-Holstein) Vertreter der Merkel-Politik.

Die Konservativen haben aus ihrem Desaster von 2005 nichts gelernt. Statt ein Konzept zu erarbeiten, dass mehrheitsfähig ist, verdrängten sie den Reinfall. Unverdrossen glauben ihre Anführer, sie könnten rechts der Mitte eine Mehrheit finden.

Dieser Irrglaube ist wohl nur damit zu erklären, dass die Anführer der Konservativen aus dörflich geprägten CDU-Hochburgen stammen, in denen Besenstiele selbst dann noch gewählt werden, wenn die CDU im Land gerade mal an die 30 Prozent kommt.

Gut im Trend

Der Vorwurf, wegen Merkels Flüchtlingspolitik habe die Union bei der Bundestagswahl mit 8,6 Prozentpunkten ein Fünftel ihrer Kraft von 2013 verloren, ist nur erschreckend, wenn man das Wahlergebnis durch die Brille des Münster- und des Sauerländers betrachtet, für die absolute CDU-Mehrheiten selbstverständlich sind. Auf Europa bezogen wirkt dieser Blick aus den ländlichen NRW-Regionen ziemlich unwissend und provinziell.

Bei der letzten Parlamentswahl erreichte die stärkste Partei in Frankreich 28,21 Prozent, in den Niederlanden 21,29, in Spanien 33,03, in Portugal 36,86, in Italien 25,56, in Polen 37,6, in Tschechien 20,45, in der Schweiz 29,4 und in Belgien 20,3 Prozent. In Österreich, das CDU-Konservative als Vorbild betrachten, kam die Kurz-Partei ÖVP nur auf 31,47 Prozent.

Verglichen mit diesen Wahlergebnissen liegt die Union mit ihren 32,9 Prozent bei der Bundestagswahl gut im Trend. Bei der ersten Merkel-Wahl 2005 kam die Union mit 35,2 Prozent an die Macht. 2009 gelang es ihr, sich mit 33,8 Prozent an der Macht zu halten. Damals gab es die AfD noch nicht.

Den Weg versperrt

Das Ergebnis von 2013 mit 41,5 Prozent war ein Ausreißer nach oben, der durch Merkels großes Ansehen, die außergewöhnlich große Schwäche der FDP und den absurden Wahlkampf des SPD-Kandidaten Steinbrück begünstigt wurde. Dieses Ergebnis als Maßstab für Bundestagswahlen zu nehmen, ist genau so vermessen wie der Anspruch der CSU auf dauerhafte absolute Mehrheiten.

Aus dem Verlust dieses atypischen Bundestagsresultats weitreichende Folgerungen zu ziehen, zeugt von verzerrter Wahrnehmung und erscheint als politische Torheit. Dennoch findet sie unter den Konservativen der CDU bemerkenswerte Verbreitung. Ob Spahn der Union den Weg ins Koma der Opposition ebnet und der SPD zur Wiederauferstehung verhilft, muss ihn nicht kümmern. Egal, was auch passiert: In seinem Wahlkreis haben die CDU-Wähler die Mehrheit. Sie garantieren sein Bundestagsmandat, solange ihn die Partei dort aufstellt.

In diesem Jahr haben sich die Aussichten der jungen Konservativen in der Union deutlich verschlechtert. In der NRW-CDU war man Anfang des Jahres sicher: Spahn würde nach dem Vorsitz des größten Landesverbandes greifen, falls Laschet die NRW-Wahl verlöre. Er gewann. Nun versperrt er Spahn vorerst diesen Weg.

Als Ehrgeizling beschrieben

Nachteilig wirkt sich für Spahn auch aus, dass Schäuble aus der operativen Politik im Kabinett auf den repräsentativen Posten des Bundestagspräsidenten wechselt. Der Förderer der Konservativen verliert Macht und Einfluss. Seine Schutzfunktion schrumpft zum Leidwesen seines Schützlings. In seiner fünften Legislaturperiode drängt es Spahn nach Macht.

Seit der Bundestagswahl genießt er die besondere Aufmerksamkeit der Medien. Es wird viel berichtet über ihn. Es scheint so, als wollten ihn die Medien hinter Schäuble hervor aus der Deckung ziehen. Er genießt es offenbar, als künftiger Kanzlerkandidat gehandelt zu werden. Das Bild, das die Medien von ihm zeichnen, ist nicht schmeichelhaft für ihn.

Mit spöttischem Unterton beschreibt ihn die Frankfurter Sonntagszeitung (Frank Pergrande: „Der Wunsch-Kanzler“, 25. 10. 2017) als Ehrgeizling und Karrieristen, der in der Partei hyperaktiv nach Anhängern sucht. Bis zu dem gefährlichen Vorwurf, ein Intrigant zu sein und das Zeug zum Königinnenmörder zu haben, ist es da nicht mehr allzu weit.

Ohne Alternative

Seit sich in Europa rechtsradikale Parteien bemerkbar machen, greifen Europas Konservative nervös daneben. In Frankreich manövrierten sie sich mit Skandalen ins Abseits. In Großbritannien betrieben sie zum Nachteil des Landes den Ausstieg aus der EU. In Polen und Ungarn untergraben sie die Demokratie.

In Katalonien unterstützen Konservative die Unabhängigkeitskampagne und wirken daran mit, die Wirtschaft der Region zu schwächen. In Deutschland versuchen sie, ihre Kanzlerin zu demontieren, ohne inhaltliche und personelle Alternativen vorweisen zu können.

Obwohl ihr Agieren offensichtlich töricht ist, setzen sie es fort, unfähig, den Handlungsspielraum der Vernunft zu vergrößern. Wer wird jemanden wählen und ihm politische und wirtschaftliche Verantwortung übertragen, der mit Scheuklappen an den Augen emsig an dem Ast sägt, auf dem er sitzt? – Ulrich Horn


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7 Comments

  1. Martin Böttger Reply

    Kompliment! Das ist aktuell die beste Analyse zu dem Thema, die ich kenne.
    Ich bin ein Freund internationaler Vergleiche, Ihrer ist aufschlussreich und war mir nicht parat. Sie haben allerdings einen vielsagenden Vergleich unterlassen: Mrs. May landete bei 41,5%, verbuchte einen Zugewinn von rund 5%, und wurde anschließend von den meisten ihrer (Partei-)“Freunde“ als desaströse Wahlverliererin angesehen. Konservative eben. (Und natürlich „Mehrheitswahlrecht“)
    Die Binnenwelten der Parteien, wie sie sich ähneln.

  2. Beim Lesen Ihres Artikels bekommt man folgende Eindrücke: Liberales Wirtschaftsdenken ist per se konservativ. Konservativ ist nicht mehrheitsfähig. Merkel hat nach Leipzig den Schwanz eingezogen, weil Sie zu konservativ agierte und das den Sieg von Schröder fast ermöglichte. Kritik an der Politik der Kanzlerin ist nicht erlaubt, und wenn, dann bitte sehr nur von Politikern aus homogenen Parteienlandschaften. Das Ergebnis der letzten Bundestagswahl für die CDU ist super, wenn man den Vergleich zu anderen europäischen Ländern anstellt.
    Man könnte aber auch sagen, ein liberales Wirtschaftsdenken hat mit Konservativ eigentlich nichts zu tun. Somit ist nicht konservativ nicht mehrheitsfähig, sondern ein liberales Wirtschaftsdenken. Das war auch der Grund, warum Merkel nach Leipzig den Schwenk von der kalten Wirtschaftspolitikerin zur großen Kümmererin gemacht hat. Man könnte außerdem meinen, dass der Fastsieg von Schröder nicht in der Schwäche von Merkel, sondern in der Stärke des Wahlkämpfers Schröder gelegen hat. Dann bestätigt sich der Eindruck, dass Merkel allen kritischen Journalisten inzwischen entschwebt ist. Auch in diesem Artikel kommt zum Vorschein, dass sie offensichtlich alles richtig gemacht hat (wie sie es ja auch selbst sieht). Ihre Fehler in wesentlichen Punkten scheinen Schall und Rauch, der Blick muss nach vorne gerichtet werden. Dass Frau Merkel, ähnlich wie ihr großer Vorgänger eh nur noch europäisch denkt und handelt, geschenkt. Da dürfen kleine Abgeordnete aus dem Ruhgebiet, dem Sauer- und Münsterland nicht stören. Wir Juristen sprechen dabei gerne von dem Ob und Wie. Und ich meine zum OB (ist Kritik erlaubt), dass es ein Glück ist, dass wenigestens einige wenige den Mund aufmachen. Und wenn es Machtbewusstsein ist oder Geltungsbedürfnis? Ja, aus welchem Antrieb denn sonst? Wegen der Ideale oder der tollen Gehälter? Glaubt auch nur einer, ein Kanzler wird ein Kanzler, weil er nett und rücksichtsvoll ist? Und nun zum Wie. Sie ist eine rotgrüne wünsch Dir was Kanzlerin. Das werden wir dann auch im Ergebnis der Koalitionsverhandlungen sehen. Wie sagte Schulz vollkommen zu Recht zu KGE und Lindner: Sie bekommen bei dieser Frau alles, was Sie sich wünschen. Und da hat er recht, weil Merkel nur das Kanzleramt will. Und damit meine Frage: Wo wollen Sie denn als Kritiker angreifen? Noch weiter links? Da überholen Sie dann seit dieser Woche selbst eine Sara Wagenknecht. Also bleiben doch nur zwei Themenfelder: Politisch rechts (konservativ) und wirtschaftspolitisch liberal. Und damit kommen wir doch zu einem interessanten Ergebnis: Wohin hat die CDU verloren? Genau an die beiden Parteien, die dieses Angebot machen. Somit scheint die „Mitte“ der wählenden Bevölkerung offensichtlich mehr rechts zu liegen und wirtschaftsliberal zu denken, als die Kanzlerin und vielleicht auch Sie annehmen.

    • Ulrich Horn Reply

      Für etliche Ihrer Eindrücke finde ich im Artikel keine Grundlage.
      Merkel übernahm mit dem Leipziger Parteitag 2003 die Positionen der CDU-Wirtschaftsflügels für die gesamte CDU. Warum?
      SPD-Kanzler Schröder hatte die Wirtschaft auf seiner Seite. Er ging daran, ihr optimale Bedingungen zu verschaffen (Agenda-Politik). Mit dem Leipziger Parteitag signalisierte die Union der Wirtschaft: Was Schröder bietet, bieten wir auch, wenn nicht mehr. Schröders Wirtschaftsbeziehungen verloren ihre Exklusivität. Die CDU war gleichwertiger Konkurrent geworden. Der Agenda-Konflikt in der SPD wurde heftiger. Die SPD verlor Ansehen und die NRW-Wahl. Schröder war am Ende. Es gab vorgezogene Neuwahlen.
      Merkel kniff nach Leipzig (2003) gerade nicht den Schwanz ein, wie Sie unterstellen. Sie machte das Gegenteil: Sie trug die Leipziger Positionen mit Volldampf bis zum Wahlabend 2005 durch. So halste sich die Union im Wahlkampf den Agenda-Schaden auf, der bis dahin bei der SPD lag. Ein kapitaler Fehler.
      2004 lag die Union bei 48/49 Prozent. Als sie im Wahlkampf ihre konservativen Positionen mit aller Kraft herauszustellen, baute sie von Woche zu Woche ab. Die SPD konnte ihr Glück kaum fassen. Sie hatte den Agenda-Schaden verursacht. Nun machten ihn die Wähler nicht an ihr, sondern an der Union fest. Schröder konnte nun im Wahlkampf die SPD-Paraderolle geben: den Rächer der Enterbten. Der große Teil der SPD, der ihm vorwarf, die Leute zu enterben, machte im Wahlkampf freudig mit. Genial war das von Schröder nicht. Eher trottelig von Merkel. Mit dem auf die Bedürfnisse der Wirtschaft eingeengten Gesellschaftsbild des CDU-Wirtschaftsflügels verliert die Union jede Menge Wähler. Das Programm der Konservativen in der Union erwies sich als nicht mehrheitsfähig. Merkel hat diesen Fehler bei der Positionierung der CDU nicht wiederholt. Deshalb regiert sie noch heute.

  3. Herr Horn, ich lese Ihre Beiträge immer gerne, aber mit diesem tue ich mich schwer. Ich glaube auch, dass Sie verschiedene Ereignisse falsch bewerten. Schröder hat gegen Kohl gewonnen, weil er Schröder war. Das hatte nichts mit links, Mitte, rechts zu tun. Das Modell Kohl war am Ende, ich vermute sogar ein SPD Kandidat Scharping oder Beck hätten diese Wahl gewonnen. Und 2005 wurde es wieder knapp, weil es wieder Schröder war. Der große Teil der Wähler entscheidet aufgrund von mutmaßlichen Lösungskompetenzen, die er bei den angebotenen Personen und Parteien vermutet – nicht aufgrund von linken, rechten oder mittigen Politikpositionen, die da wortreich dargestellt werden. Von 10 Wähler*innen werden 8 das Wahlprogramm der Parteien gar nicht gelesen haben. Und das ist auch kein großer Verlust, wir wissen alle, wie wenig davon in der realen geschaffenen Politik übrig bleibt. Was mich an Ihrem Artikel auch stört, ist diese alternativlose Ausrichtung an der Mitte/Macht. Wo bleibt das Politik gestalten, wenn ich mich nur nach den Mehrheitsströmungen ausrichte? Es gilt doch politische Ideen jenseits aktueller Mehrheiten zu entwickeln und diese zu bewerben, damit dafür Mehrheiten entstehen. Alles andere ist nur mehr ein reines Verwalten. Zurück zur aktuellen Kanzlerin, was ich stark vermisse ist der Willen zur Problemlösung. Merkel hat nämlich eines ganz gut erkannt: Wer Lösungen für Probleme sucht und entscheidet, der enttäuscht Wähler – denn eine Lösung ist immer auch Partei ergreifen – alternativlos gibt es nur in der Mathematik, ansonsten gibt es fast immer mehrere Lösungen. Also moderiert Frau Merkel die Probleme „weg“, d.h. nur medial weg. Griechenland? Das nächste Hilfspaket in Geldtransfers kommt so sicher wie das Jahr 2018. Euro Krise, wer beendet das Fluten der Geldmärkte mit Euros zum unbegrenzten Anleihekauf, und was passiert mit den Minus-Salden der EZB? Das Auseinanderdriften der EU, Brexit, Polen? Die europäische Türkeifrage? Die teure und unsichere Energiewende? Die europäische Frage zum Umgang mit Flüchtlingen? Alles Dauerthemen, die aber durchgängig lösungsbefreit auf die nächste Wiedervorlage geschoben werden. Und das Ganze wird von den Wählern goutiert, da haben Sie im Grunde recht. Warum, weil in diesem Land der Konsens zur Religion geworden ist. Ich fürchte nur, das wird enden wie
    eine immer wieder verschobene Vorsorgeuntersuchung – unfreundlich. Und genau deswegen, zurück zum Thema, plädiere ich für 2 große Volksparteien, eine gerne mehr links und eine gerne mehr rechts. Ich als Wähler möchte Alternativen haben und zwar in Programm und Ausrichtung – nicht nur in Plakatgesichtern.

    • Ulrich Horn Reply

      Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich will versuchen, auf ihn zu antworten, so gut ich kann.

      Um zu regieren, braucht es in Demokratien Mehrheiten. Um mehrheitsfähig zu werden, müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Die amtierenden Regierungen müssen Erwartungen enttäuscht haben. Die neuen Mehrheitsparteien müssen die Gewähr bieten, Erwartungen zu erfüllen. Diese Grundstruktur differenziert sich selbstverständlich in einem Umfeld, in dem viele Parteien miteinander konkurrieren und nur in Koalitionskonstellationen regieren können.

      Die Wähler definieren ihre Erwartungen nach Lage ihrer Bedürfnissen, und zwar eigenständig. Die Parteien wirken an diesem Prozess lediglich mit, mal mehr, mal weniger. Oft genug vergessen sie, dass der Wähler seine Bedürfnisse besser kennt als sie. Deshalb fehlen zum Beispiel Wohnungen, Lehrer, Polizisten, Konzepte für Zuwanderer aus allen EU-Staaten und über sie hinaus noch vieles mehr. Auch die Begegnung mit der deutschen Verwaltung ist selbst für deutschsprachige Menschen mit deutscher Mentalität oft kein Vergnügen.

      Kohl erfüllte bis 1998 die Erwartungen vieler seiner Wähler von 1994 nicht mehr. Schröder bot sich als Alternative mit der Parole an, er wolle es nicht anders, sondern besser machen als Kohl. Er hatte sich so aufgestellt, um eine große Koalition unter Führung der SPD zu bilden. Er musste Rot-Grün machen, weil er bei der Wahl aus seiner Sicht zu erfolgreich war. Rot und Grün waren so stark geworden, dass sich die große Koalition nicht mehr durchsetzen ließ.

      Schröder wiederum wurde abgewählt, weil er bis 2005 die Erwartungen vieler seiner Wähler von 1998 und 2002 enttäuscht hatte. Die Bundestagswahl 2005 hat meiner Meinung nach sehr wohl etwas mit linker und rechter Politik zu tun. Schröder verlor jene Stammwähler der SPD, die eine (linke) Umverteilungspolitik von ihm erwartet hatten. Mit seiner Agenda-Politik betrieb Schröder zwar Umverteilungspolitik, aber zulasten seiner eigenen Wähler. Die Folgen sind bekannt. Das Land wurde wirtschaftlich gestärkt, die Unternehmen steuerlich entlastet, Arbeitnehmer und Rentner wurden dagegen belastet. Die Zahl der Geringverdiener stieg, mit all den unangenehmen Folgen bis hin zu den Sozialsystemen.

      Sie haben recht: Dem Bürger ist es egal, ob die Parteien ihre Politik links oder rechts, halb links oder halb rechts verorten. Der Bürger möchte von der Politik möglichst nicht behellig werden. Sie soll keinen großen Wind machen, sondern die Probleme lösen, die sie zum großen Teil selbst verursachte oder schlichtweg übersieht.

      In einer politischen Struktur, in der Mehrheiten nur über Koalitionen zustande kommen können, sind Kompromisse allerdings unabdingbar. Mit jedem Kompromiss stellt sich die Frage nach der politischen Mitte. Sie ist die Stelle, an der sich entscheidet, ob und in welchem Maße sich die politischen Kräfte ausbalancieren und austarieren.

      Viele Probleme entziehen sich schnellen, klaren Lösungen. Das Konzept, das in Griechenland nicht wirkt, schlägt in Portugal und Spanien an. Betriebe die EZB eine andere Politik, bräche Italien zusammen. Auch die Zuwanderung lässt sich nicht mit einem einzigen glatten Schnitt regeln. Viele Probleme sind nur in kleinen Schritten zu mildern. Das war schon immer so, ist oft aber gar nicht wahrgenommen worden, weil das Alltagsleben der Bürger nicht oder kaum betroffen war. Das hat sich geändert.

      Die Welt war schon immer komplex. Es fällt heute nur immer mehr Menschen immer stärker auf. Ihr Wunsch nach zwei großen Volksparteien ist der Wunsch nach klaren Verhältnissen. Die Wähler erfüllen ihn jedoch nicht. Sie tun das Gegenteil. Sie differenzieren das politische Spektrum immer stärker aus. Durchaus möglich, dass die Wähler irgendwann Einsicht zeigen und sich auf zwei große Parteien konzentrieren. Doch im Moment sieht es eher nicht danach aus.

  4. Helmut Schmidt hat Merkels taktisches Geschick anerkannt, ihr aber nahezu jedes strategische Denken abgesprochen. Merkel macht Politik fast nur auf Sicht. Das ist nicht nur heute zu wenig, und sie zeigt nach 12 Jahren im Amt kaum noch Veränderungsbereitschaft. Meines Erachtens wäre es besser für Deutschland, aber auch für die CDU selbst, wenn die Kanzlerschaft auf zwei Amtszeiten begrenzt würde. Denn ob Adenauer, Kohl oder jetzt Merkel, der Kanzlerwahlverein CDU schafft es nicht, rechtzeitig das Führungspersonal zu wechseln bzw. erst einmal herauszubilden. Spahn etwa wird sicherlich überschätzt und die anderen Mitstreiter der angeblich so konservativen CDU-Boy-Group auch.

    Merkels Langzeitkanzlerschaft ist zudem der ebenso langanhaltenden Schwäche der Agenda-geschädigten SPD geschuldet und damit keineswegs nur Merkels Verdienst.

    Last not least, wie erklärt sich das Aufkommen der AfD, wenn nicht durch Merkels Flüchtlingspolitik, die par ordre du Mufti im Alleingang von Angela Merkel beschlossen wurde?

  5. Vielleicht noch ergänzend zu den drei Wahlerfolgen der Merkel-Getreuen vor der Bundestagswahl in den Ländern:
    Im Saarland wirkte der Lafontaine-Faktor negativ und die allgemeine Panikmache vor Rot-Rot-Grün zu Gunsten der CDU;
    In Schleswig-Holstein sind Wahlergebnisse meistens knapp. Das ziemlich ungeschickte Agieren von Torsten Albig hat so einen Nobody von der CDU schließlich an die Regierung gebracht;und den Zustand der NRW-SPD braucht man dem Blogbetreiber als intimen Kenner nicht näher erläutern. Armin Laschet hat das doch grottenschlechte CDU-Wahlergebnis von Norbert Röttgen lediglich ausgewetzt, ist aber kein „strahlender Wahlsieger“.

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