Der SPD-Vorsitzende Gabriel hat offenbar keine Lust mehr, den Sündenbock für all das Elend in seiner Partei abzugeben. Seine Ankündigung, die SPD werde erst nach der NRW-Wahl im Mai 2017 ihren Kanzlerkandidaten benennen, macht große Schlagzeilen. Zu Unrecht. Sensationell ist nicht die späte Nominierung, sondern die Begründung für sie. In der SPD-Spitze hält man offenbar eine Niederlage bei der NRW-Wahl für möglich.

Den Zustand verschlimmern

Gabriel lenkt mit seinem Plan, die Nominierung des Kanzlerkandidaten hinter die NRW-Wahl zu schieben, die Aufmerksamkeit auf einen Umstand, den die politische Berichterstattung, die sehr stark auf die Hauptstadt ausgerichtet ist, oft nur aus den Augenwinkeln wahrnimmt: Das Elend der Partei wird nicht nur in Berlin generiert. Seine größten Produktionsstätten liegen in den Bundesländern, im Wirkungskreis der regionalen SPD-Gliederungen. Sie sind äußerst effektiv, wenn es darum geht, den Zustand der SPD zu verschlimmern.

Beispiele gibt es zuhauf. In Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen spielt die SPD seit Langem keine Rolle mehr. In Bayern erzielte sie 2013 mit 20,6 Prozent ihr bestes Ergebnis in diesem Jahrhundert. In Baden-Württemberg stürzte sie zwischen 2001 und 2016 von mageren 33,3 Prozent auf mickrige 12,7 Prozent ab.

In Sachsen erzielte sie 2014 mit 12,4 Prozent ihr bestes Resultat seit der Jahrhundertwende. In Sachsen-Anhalt wurde sie in diesem Jahr mit 10,6 Prozent zur vierten Kraft in diesem Land. In Thüringen fuhr sie 2014 mit 12,4 Prozent das schlechteste Ergebnis seit der Wiedervereinigung ein.

Den Frust ausgelebt

In diesen fünf Bundesländern, in denen die regionalen SPD-Verbände bis auf rudimentäre Reste verkümmert sind, befindet sich immerhin ein Viertel aller Wahlberechtigten. Kein Wunder also, dass die Partei im Bund auf keinen grünen Zweig kommt.

Wie sehr der miserable Zustand der regionalen SPD-Verbände die Partei herabzieht, zeigt sich am Beispiel der NRW-SPD. An ihr wird noch deutlicher, warum sich die Bundespartei auf dem Sturzflug befindet. Die SPD ist in NRW inzwischen unter die 30-Prozent-Marke gefallen, nach Einschätzung fast aller Beobachter eine Folge der Unfähigkeit und Überforderung von NRW-Ministerpräsidentin Kraft.

Seit sie nach der Bundestagswahl 2013 mit ihrem Plan scheiterte, die Große Koalition zu verhindern, reiht sie in NRW Panne an Panne und Pleite an Pleite. Sie lebt ihren Frust zulasten des Landes aus. Sie macht gar nicht erst den Versuch, ihr Desinteresse an den Belangen des Landes zu verbergen. Sie kann nicht einmal sagen, welche Projekte sie bis zur NRW-Wahl anpacken will.

Schnurstracks in die Rezession

Die Medien jeglicher Couleur haben den Verfall des Landes und Krafts Untätigkeit in den vergangenen Wochen und Monaten registriert und lang und breit beschrieben. Über das Regierungsdesaster in NRW kann niemand mehr hinwegschauen. Woche für Woche hagelt es aus allen Bereichen der Landespolitik Berichte und Vergleiche, die NRW in der Länderliga am Ende sehen.

Als eines der letzten Blätter schilderte jüngst die Wochenzeitung Die Zeit die Misere des bevölkerungsreichsten Landes, das fast ein Fünftel aller Wahlberechtigten zählt. Unter der Überschrift: „Sie will: nichts“ schildert das Blatt die politische Leere, die zu Krafts Markenzeichen wurde und zum Leid der SPD und des Landes geworden ist.

Während alle anderen Länder Wachstum generieren, steuert NRW mit einer SPD-Regierungschefin, die sich rühmt, aus der Wirtschaft zu kommen, seit Jahren schnurstracks in die Rezession.

Kaum auf Erfolgskurs zu bringen

Der Versuch, den Niedergang des Landes NRW und der SPD im Westen, Süden und Osten der Republik allein bei Gabriel und der Großen Koalition festzumachen, wirkt angesichts des Bildes, das die SPD in den Bundesländern bietet, beinahe schon komisch. Ein großer Teil der Führungsmängel, die Gabriels Kritiker an ihm beklagen, ist den Strukturen in der Partei geschuldet.

Ihr rechter und ihr linker Flügel stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die internen Konflikte kosten die Partei viel Energie, die ihr im Dienst an den Bürgern fehlt. Ein Wechsel an der Parteispitze wird kaum genügen, die SPD auf den Erfolgskurs zu bringen.

Tief greifende Personalentscheidungen würden ganz sicher fällig, sollte die NRW-Wahl verloren gehen. Eine Entscheidung hätten die Wähler der SPD dann jedenfalls abgenommen, die viele für längst fällig halten: Sie hätten Kraft in Pension geschickt. Wer mag sich schon danach reißen, die heruntergewirtschaftete und geschlagene NRW-SPD wieder aufzurichten, wenn sie aus der Regierung abgewählt wurde?

Viele Menschen benachteiligt

Die gleiche Frage stellt sich für die Bundespartei. Wer wird in die ulkige Rolle des Kanzlerkandidaten schlüpfen, wenn die NRW-Wahl verloren gegangen ist und die Partei nicht die geringste Aussicht hat, den Kanzler zu stellen? Die SPD gerät in die Rolle der Westerwelle-FDP, die sich zur 18-prozentigen Volkspartei aufschwingen wollte und dafür die Quittung bekam.

Mancher Ratgeber der SPD nährt leichtfertig die Hoffnung, die Partei könnte in der Opposition genesen und sich neu erfinden. Es ist ein trügerischer Rat. Die Gefahr, in der Opposition zu versinken, ist größer als die Chance, sich über die Opposition zu erneuern. Die Wähler wissen: Parteien, die sich mit sich selbst beschäftigen, taugen nicht dazu, das Gemeinwesen zu gestalten.

Der SPD hängt immer noch nach, dass sie mit ihrer Agendapolitik nachteilig in das Leben vieler Menschen eingriff. Selbst wenn sie sich überwinden könnte, die Gräben in der Partei zuzuschütten und sich erneut der sozialen Gerechtigkeit zu verschreiben: Ihrer jüngeren Geschichte kann die Partei nicht entkommen. – Ulrich Horn


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7 Comments

  1. Pingback: Der Ruhrpilot | Ruhrbarone

  2. Da bin ich mir nicht so sicher, was Ihre Prognose angeht, da in Düsseldorf zwei schwache Politiker aufeinandertreffen. Die einzige Hoffnung von Kraft und Gabriel ruht auf Lasch(et) und dessen wachsweichem Auftritt. Zeigt der weiter nur ein präsidiales Gesicht zu dem kraftlosen Engagement der Landesregierung, könnte es knapp und damit für die SPD mit 1,5 blauen Augen nochmals gut gehen.

  3. Politik hat wohl viel mit Emotionen zu tun, mit Sympathien, mit Ablehnungen und Taktiererei, um die Stimmung und die Wähler zu beeinflussen.
    Tatsache ist, keine Partei ist tiefer abgestürzt, als die CDU. Merkel hat nach all ihren Wenden nur noch den Drehwurm drauf, und sie dreht sich einzig nur noch machtgierig um sich selbst, und das erkennen immer mehr erschrockene Deutsche, die sich an den Kopf fassen und fragen, ob die Dame noch zumutbar ist?
    Sie lässt per Staatsmedien die Verluste der SPD betonen, aber der SPD sind doch keine Konservativen in Scharen weggelaufen. Sie kannibalisiert ihre Koalitionäre, und die wehren sich nicht mal oder zeigen, dass sie auch SPD-Leute mit echtem Format haben. Warum ziert sich die SPD z. B. Herrn Buschkowsky oder Herrn Sarrazin den Drehwurm Merkels vom Kopf wieder auf die Füße zu stellen? Wo bleibt das SPD-Engagement für die „kleinen Leute“? Für die Beschäftigten in der NRW-Stahlindustrie für die deutsche Autoindustrie für die Stromkonzerne, den Maschinen und Anlagenbau und die Chemie? Schließlich entsteht Wohlstand durch Wertschöpfung und nicht durch gegenseitiges Fingernägellackieren und Flyer-für-die-Klima-Rettung-Verteilen und Ausflüge-zu-Protestveranstaltungen-Organisieren.
    Die SPD muss „aus dem Windschatten der grünen Nepper, Schlepper, Bauernfänger“ heraus. Das ist in NRW ihre realistische Chance. Sie sollte den Remmel im Hochsauerland Weihnachtsbäume bewachen lassen, statt ihn unerträglichen Unfug anstiften zu lassen, mit so Klöppeln, „wo Schluchtzende und laut Weinende um Jodtabletten betteln“, weil beängstigende Atomkraftwerke in NRW-Nachbarländern existieren. Man kann doch nicht ständig nur „High-Sein“, um in grüner, schillernder Schwarmintelligenz zu summen.
    In Stuttgart betet Winfried Kretschmann täglich für Angela Merkel! Früher ist er mit Mao-Bibel für Merkels verehrten Vorgänger Mao unterwegs gewesen und wurde bei den Grünen „kultig“. Ist das nicht sagenhaft? Kretschmann verehrt die neue große Vorsitzende und betet für sie. Die Kulturmedien-Schaffenden rücken im Glanz der Kameras mit roten Rosen für ihre Vorsitzende Merkel an. Es fehlen nur noch Fähnchen schwenkende Volksaufläufe und „sie lebe hoch Hurra-Paraden“. Das ist übrigens keine Inszenierung von Volker Meth-Beck, das ist der „mediale politische Merkel-Hype“, also Berliner Alltag aus dem Hauptstadt-Sonnen-Studio.
    Da kann Düsseldorf nicht mithalten, da steht man weiter betröppelt im politischen Schatten.

  4. In Sachen Industriefeindlichkeit tun sich SPD und Grüne nichts mehr. Die derzeitige SPD-Bundesumweltministerin will am besten die Industrie mit Überzogenen Umweltgesetzen stark schädigen. Kraft sitzt das einfach aus. Hier gibt es für die Industrie geringe öffentliche Förderung, kaum Lobbyanstrengungen beim Bund, dafür eine scharfe Steuereintreibung und hohe Gewerbesteuersätze. Neue Arbeitsplätze werden daher bevorzugt nicht in NRW geschaffen. Opel hat in Bochum dicht gemacht, dafür stieg die Beschäftigung in Rüsselsheim. Daimler will in Ratingen reduzieren, dafür in Polen ein neues Werk bauen. Wincor verlegt den Bau von Geldautomaten und anderen im Zuge einer Übernahme nach Polen. In der Nachbarschaft macht Fujitsu seinen Forschungsstandort dicht. Opel- und Ford-Zulieferer machen ja auch ihre NRW-Standorte dicht. Und so weiter. Der Abbau interessiert die Landesregierung nicht wirklich.

  5. Roland Appel Reply

    Keine Landesregierung irgendwelcher Couleur kann den Stahlarbeitern in NRW Arbeitsplätze garantieren oder schaffen, weil der Weltmakt und die chinesische Überproduktion die Preise bestimmen. Die steinzeitliche Kohlepolitik und die Klimaschutz wie Ökonomie missachtende Allianz der SPD mit industrieellen Dinosauriern bringt das Land bis heute ins Hintertreffen. Und Atomenergie ist ja wohl das letzte, was ökonomisch sinnvoll ist. Sich darüber lustig zu machen, können nur Zeitgenossen, die im Takka-Tukka-Land leben und sich die Welt „widdewiddewitt“ wie sie ihnen gefällt träumen. Es gibt aus der Globalisierung insbesondere für das Exportland Deutschland keinen Weg zurück in die nationale Spielwiese. Diese Wirtschaftsträume der AfD wären der Ruin unserer Wirtschaft und das Ende der Sozialsysteme. Die Zukunft wird komplex, nicht einfach sein und Daimler oder andere Autokonzerne holt man nicht nach NRW, indem man als Landesregierung Projekte fördert, in denen dann Hybridbusse von polnischen oder PKW von japanischen Herstellern laufen. Und dass es Car to Go (Daimler) oder Drive Now (BMW) auch in NRW gibt, dafür hat sich diese Regierung leider auch nicht sonderlich angestrengt. Auch in Sachen Elektromobilität wüsste man nicht, dass NRW-Städte da z.B. mit Ladeinfrastruktur mitmischen wollten.

  6. Benno Lensdorf Reply

    Die Analyse lässt m.E. einen wichtigen Sektor unbeachtet: Den Zustand der SPD an der Basis. Schauen Sie sich die lokalen Politiker in den Räten und Gemeinderäten an: Von Kreativität keine Spur, wie eine Stadt oder eine Gemeinde auch ohne massive Finanzen modernisiert werden kann. Der Ruf nach „Berlin“ – nach Bundesmittel etc. ersetzt politisches Handeln. Kommen die Mittel nicht, wird das für das politische Versagen, für die schlechte Wirtschaftslage des „Roten Ruhrgebietes“ als Grund genannt.
    Der SPD-Selbstbedienungsladen NRW ist am Ende. Ämtermißbrauch und Misswirtschaft, wie jetzt in Essen, ist – nicht nur in Essen – an der Tagesordnung. Wie soll da in Berlin ein Herr Gabriel die SPD zu Mehrheiten führen. Der SPD-Wähler erkennt die Unfähigkeit der SPD-Akteure vor Ort, im Land und auch im Bund…. Er hat seine politische „Heimat“ verloren.. das sieht auch Kraft.
    Ihre Resignation ist unübersehbar.
    Aber als SPD-Wähler zur CDU überschwenken…?? Da tun sie sich in NRW sehr schwer.
    Die gute Lage von Bayern, BW, auch Hessen hat einen politischen „Vater“: CDU und CSU. Wer will das bestreiten? Gabriel dafür alleine für die miserable Lage der SPD verantwortlich zu machen, wäre zu kurz gedacht…. Wieder typisch SPD.
    Sie – die Sozialisten – sie können es einfach nicht. Sie haben es noch nie gekonnt.

  7. Pardon, wenn ich bei meiner Ansicht bleibe. Preiswerter Energie-Reichtum ist der Schlüssel für allgemeinen Wohlstand, die internationale Intelligenz hat das erkannt. Mittlerweile beziehen 4329,4 Millionen Menschen weltweit Strom aus Kernkraftwerken, wie man hier sieht http://www.kernenergie.de/kernenergie/themen/kernkraftwerke/kernkraftwerke-weltweit.php
    Zu behaupten in all diesen Ländern würden nur gefährliche „Falschfahrer und Idioten“ das Leben der Bevölkerung gefährden, ist eine sehr üble deutsche Praxis. Für diese „Propaganda-Strategie“ gibt es sogar Anleitungen, wie man gezielt Des-Information betreibt, siehe http://www.skepticalscience.com/docs/Debunking_Handbook_German.pdf Und raten Sie mal wo man die findet? Bei https://www.klimafakten.de/
    Diese Experten arbeiten gemeinsam mit denen hier https://www.agora-energiewende.de/de/ueber-uns/rat-der-agora/
    Und nun raten Sie noch mal, wer finanziert das alles? Und warum? Kleiner Tipp, nicht bei Idealisten suchen, eher bei solchen https://europeanclimate.org/de/ und solchen https://www.stiftung-mercator.de/de/partnergesellschaft/mercator-research-institute-on-global-commons-and-climate-change-mcc/
    Also „alles astreine Strategen“, die auf gar keinen Fall die Stromwirtschaft gewinnorientiert privatisieren wollen, die keine Billionen durch ihre Branchen lenken wollen, sondern einzig nur die Welt vorm drohenden Untergang bewahren möchten. Ganz ehrlich und völlig ohne Hintergedanken und immer schön ernst bleiben, sonst gibt’s Dresche mit dem Atom-Angst-Prügel und dem Klima-Knüppel.
    Wie naiv oder wie verschlagen sind eigentlich die politischen Akteure in Berlin und Brüssel, die dort notwendig sind, um Verordnungen und Gesetze voranzutreiben, damit Großinvestoren anschließend zig Milliarden abschöpfen können und uns glauben machen möchten, sie würden „nicht reichlich mit Schmiergeld“ dafür belohnt?
    Für wie naiv, für wie dämlich halten uns Politiker die mit treuem Dackelblick in Kameras gucken und Propaganda verzapfen. Sie würden nur für den Erfolg der Energiewende glauben und für die große Vorsitzende beten, um die Welt zu retten! Wozu braucht man denn dann anonyme Briefkasten-Konten in US-Steuer-Oasen? Etwa um Schwarzgeld-Einzahler und Schwarzgeld-Konten-Eigentümer zu verstecken, die unter größter Anstrengung unser Klima retten?
    Wobei man sich vor Augen halten kann, ein Kubikmeter Luft wiegt 1,293 kg und ein Kubikmeter Kohlendioxid ( CO2 ) ist mit 1,98 kg deutlich schwerer. Also steigt CO2 nicht auf und kann kein „Wärmedach“ bilden, so einen Unfug kann man sich nur „einbilden“, und wenn man nicht alle MINT-Fächer schon nach der Grundschule abgewählt hat, begreift man eventuell, das die „grüne Flora“ per Photosynthese ja den Sauerstoff ( O2 ) an die Luft abgibt, aus der sie sich doch permanent den Kohlenstoff ( C ) herausnimmt, um „schöner zu wachsen“. Was übrigens seit ewigen Zeiten bestens funktioniert, völlig unabhängig davon, ob man es begreift oder lieber Flyer zur allgemeinen Verunsicherung, zur gezielten Propaganda bezüglich der Klimarettung verteilt und immer guckt und wiederholt, was die Oberexperten von der grünen Wirtschaftsfront http://green.wiwo.de/ berichten.
    Also weg mit den Tankstellen, jedem seine Strom-Lade-Säule.

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