NRW-Ministerpräsidentin Kraft und Innenminister Jäger (beide SPD) haben geschafft, was den meisten Politikern verwehrt bleibt. Sie fanden Eingang ins Buch der Geschichte. Unter ihrer Verantwortung wurde in der Silvesternacht vielen Hundert Frauen Gewalt angetan. Als wollten sie den Skandal in der Bevölkerung richtig sacken lassen, hüllten sich beide SPD-Politiker tagelang in Schweigen. Die Unsicherheit im Land griff weiter um sich, mit weitreichenden Folgen.

Vor den Landtag zitiert

Die Verbrechen und das lange Schweigen trugen dazu bei, die Bereitschaft der Bevölkerung zu schwächen, Flüchtlinge aufzunehmen. Die Skepsis gegenüber Zuwanderern ist gestiegen. Fremdenfeindlichkeit nimmt zu. Die Forderung nach Abschottung wird lauter, das Ende der Freizügigkeit in Europa wahrscheinlicher.

Unter dem Eindruck der Kölner Verbrechen und der Empörung über das Schweigen der NRW-Regierung hat die SPD ihren Kurs in der Zuwanderungspolitik geändert. Nun fordert auch sie ein Grenzregime. Der NRW-Skandal hat zudem einen parteipolitischen Nebeneffekt, der für die SPD positiv zu Buche schlägt. Die Zweifel an der Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin sind gewachsen. Merkel galt lange als unangreifbar. Nun sind ihre Sympathiewerte eingebrochen.

Kraft und Jäger nahmen zu den Verbrechen erst Stellung, als die Verunsicherung immer größer wurde und ihr Schweigen anfing, anstößig und schäbig zu werden. Statt den Opfern umgehend beizustehen und den Landtag als Forum für Aufklärung und Information zu nutzen, musste die Opposition beide SPD-Politiker vor den Landtag zitieren, damit die Bürger über Tun und Lassen der Regierung aus erster Hand Informationen erhielten.

Das Image beschädigt

Dreizehn Tage gingen ins Land, ehe sich Kraft und Jäger bei den Opfern angemessen entschuldigten. Diese Zögerlichkeit schadet vor allem Kraft. Aus Mangel an Konzepten und von zahlreichen politischen Pleiten begleitet präsentiert sie sich als empathische, bodenständige Landesmutter.

Dieses Image, das sie mit vielen PR-Aktionen prägte, beschädigte sie selbst 2014 mit dem Brandenburger Funklochskandal. Sie brachte es nicht über sich, ihren Sommerurlaub in Brandenburg zu unterbrechen, um nach Münster zu fahren, das vom Hochwasser gebeutelt war. Ihr Verhalten erklärte sie mit Gründen, die sich als unwahr erwiesen.

Schon damals wurde deutlich, dass sich ihre Bereitschaft zur Empathie in Grenzen hielt. Über die Silvesterverbrechen und ihr langes Schweigen zum Leid so vieler Frauen droht nun ihr mühsam aufgebautes Image als Landesmutter vollends zu zerbrechen.

Unangemessen verhalten

Jägers Schweigen überrascht dagegen nicht. Er bestätigt das Bild, das er seit Langem bietet. Er führt seine Amtsgeschäfte im Schneckentempo. Schnell wird er nur, wenn es gilt, den Kopf einzuziehen. Seit Beginn seiner Amtszeit hat er mit Pleiten und Pannen zu kämpfen. Mit dem Durchwursteln ist es nun wohl vorbei. Über die Kölner Verbrechen wird er für die NRW-SPD und Kraft zur Belastung.

Sie wird bis zur Landtagswahl 2017 stetig wachsen. Wer Jäger Zeit kennt, weiß: Er hat Probleme, sich angemessen zu verhalten. Zweifler mögen sich nur die Aufnahme seines jüngsten Auftritts vor dem NRW-Innenausschuss anschauen. Dort musste er erklären, wie es passieren konnte, dass in Köln vielen Hundert Frauen unter den Augen der Polizei, für die er die Verantwortung trägt, Gewalt angetan wurde.

Schmunzelnd betrat er den Saal, so als würde ihm dort der Bambi für die Rolle als bester Innenminister des Jahres 2015 verliehen. Dass seinen Auftritt auch viele Opfer und deren Familien und Freunde anschauen würden, tat seinem launigen Verhalten keinen Abbruch.

Viele Bürger sorgen sich

Der Kreis derjenigen, die sich von den Silvesterverbrechen direkt betroffen fühlen, geht über jene, die Anzeige erstatteten, weit hinaus. Rechnet man nur die Angehörigen mit ein, wird man leicht auf mehr als 10000 Menschen kommen. Das Schmunzeln des Ministers wird vielen, die seinen Auftritt sahen, so unvergessen bleiben wie die Untaten.

Tatsächlich ist der Kreis der Menschen, die sich über die Silvesterverbrechen empören und sorgen, viel größer. Zu ihnen gehören viele Mädchen, Frauen und Mütter, denen über die Jahreswende nichts geschehen ist, die nun aber befürchten, es könnte ihnen demnächst Ähnliches zustoßen wie den Frauen in Köln. Auch viele Männer sorgen sich um ihre Frauen, Schwestern und Töchter.

Unter den Besorgten sind auch Sozialdemokraten. Jäger erhielt Rückendeckung von Kraft und demonstrativ auch von Fraktionschef Römer. Doch wer solche Rückhaltbekundungen nötig hat, ist gut beraten, sich vorzusehen. Sie werden nur einmal ausgesprochen. Sollten sie ein weiteres Mal erforderlich sein, werden sie ausbleiben.

Recht und Gesetz entzogen

Dass dieser Fall in den nächsten Monaten eintritt, ist durchaus möglich, nachdem die Opposition in Düsseldorf einen Untersuchungsausschuss gefordert hat. Da kann noch einiges hochkochen, was Jäger die Hände verbrennen und der SPD den Wahlkampf verderben kann. Innere Sicherheit wird zum zentralen Wahlkampfthema. Es glaubhaft zu vertreten, wird Jäger schwerfallen.

In seiner Amtszeit hat sich die Sicherheitslage in NRW belegbar verschlechtert. Die Kriminalität hat zugenommen. Das wissen auch viele Sozialdemokraten und ihre Anhänger. Auch unter ihnen, unter ihren Verwandten, Freunden und Bekannten gibt es reichlich Opfer von Verbrechen.

Der Unmut über Jäger beginnt schon bei jenen, die an Wochenenden die Innenstädte meiden, weil sie marodierenden Fußballfans nicht begegnen wollen. Bandendelikte und Wohnungseinbrüche nahmen zu. Die Aufklärungsquote ist gering. Es gibt Viertel, in die sich Einheimische nicht mehr trauen. Dort ist deutsches Recht außer Kraft gesetzt. Kriminelle Clans bestimmen, was Recht und Unrecht ist, und verhängen und vollziehen sogar Strafen.

Polizei als Sündenbock benutzt

Die Silvesterverbrechen beschränkten sich nicht auf Köln. Auch in Düsseldorf, Dortmund und Bielefeld wurde Frauen Gewalt angetan. Seit zwei Jahren beobachtet die Düsseldorfer Polizei eine Großbande mit mehr als 2000 Nordafrikanern, denen 4400 Straftaten zugeschrieben werden. Bis zum Jahreswechsel wurden diese Aktivitäten unter der Decke gehalten.

Jägers Versäumnisse haben fatale Folgen. Die Angriffe auf Zuwanderer und ihre Unterkünfte nehmen zu. Die Ausländerfeindlichkeit erhält einen neuen Schub. Schon bildeten sich Schlägertrupps, die Ausländer jagen, und Bürgerwehren, die versuchten, das Gewaltmonopol des Staates an sich reißen. Die Silvesterverbrechen erschweren die Integration der Zuwanderer, nicht nur in NRW.

Besorgniserregend wirkt auch die pauschale Kritik, mit der Jäger die Kölner Polizei überzieht. Vielen Polizisten ist klar, dass ihr Dienstherr Kölns Polizei als Sündenbock benutzt, um sich von Kritik freizustellen. Sein Verhalten beunruhigt die Bürger, demotiviert die Polizei, die seit Langem starke Überlastung beklagt, und trägt dazu bei, die innere Sicherheit zu destabilisieren.

Als Skandalminister gebrandmarkt

Ohnehin ist das Verhältnis zwischen Landesregierung und Landesbediensteten lädiert, seit sich Kraft wiederholt über Recht und Gesetz hinwegsetzte und verfassungswidrig Gehaltskürzungen verordnete. Jägers jüngste Attacke gegen die Polizei strapaziert die Beziehungen erneut.

Vielen in der SPD ist bewusst: Jäger hängt der Partei wie Blei am Bein. Die Kette seiner Fehler ist lang. Bei der Love-Parade-Katastrophe stellte er der Polizei leichtfertig einen Persilschein aus. Bei der Revision des Kölner Kommunalwahlresultats spielte er eine fragwürdige Rolle. Auf Fankrawalle und Rockerbanden reagierte er zu spät. Aufsichtspersonal unter seiner Aufsicht verübte Gewalttaten gegen Flüchtlinge. Nun stellt sich heraus, dass er die Probleme mit jungen Muslimen unterschätzte.

Die Opposition rät, Jäger abzulösen. Sie hat ihn als Skandalminister gebrandmarkt. Er ist für sie ein Geschenk. Je dringlicher sie seinen Rücktritt anmahnt, desto enger bindet sie ihn an Kraft. Entließe sie ihn auf Zuruf der Opposition, verlöre Kraft ihr Gesicht. Er nutzt der Opposition, solange er im Amt ist. Jägers Probleme mit der inneren Sicherheit sind für die SPD zur offenen Flanke geworden.

Ein Nachfolger gesucht

Wie sehr, offenbaren die Sicherheitsmaßnahmen, die Kraft gerade ankündigte. Etliche fordert die Opposition seit Langem. Dass sie erst jetzt ergriffen werden, rückt Jägers Versäumnisse ins Rampenlicht. Auch die Razzia, die am Wochenende gegen nordafrikanische Banden in Düsseldorf stattfand, stellt ihn bloß. Die Erkenntnisse, die der Razzia zugrunde liegen, sind der Polizei seit Monaten bekannt. Doch erst jetzt wurde Jäger tätig. Die 40 Festnahmen, die es bei der Razzia gab, deuten das Ausmaß der Versäumnisse an.

Jäger Versagen fällt auf Kraft zurück. Bisher tat sich die Opposition schwer, sie anzugreifen, weil sie in der Bevölkerung Ansehen genießt. Nun trägt Jäger dazu bei, ihr Renommee zu untergraben. Gefallen kann ihr das nicht. Sie ist mit ihm befreundet. Vermutlich hat sie ihn als ihren Nachfolger gesehen. Dieser Traum scheint ausgeträumt.

Jäger kann der SPD und Kraft nur noch mit seinem Rücktritt dienen. Diese Erkenntnis greift in der Partei um sich. Mancher Sozialdemokrat schaut sich bereits nach einem Nachfolger um. Weil in der Landtagsfraktion niemand als geeignet erscheint, richtet sich das Augenmerk auf die Landräte und Oberbürgermeister der Partei.

Baranowskis aufsehenerregende Erfolge

Unter ihnen sticht Gelsenkirchens Oberbürgermeister Baranowski hervor. Für ihn sprechen seine Erfolge. Der 53-jährige hat drei Kommunalwahlen gewonnen, die absolute SPD-Mehrheit zurückerobert und bei der Kommunalwahl 2014 das jeweils beste Ergebnis für die SPD und einen SPD-Kandidaten in NRW erreicht.

Befürworter Baranowskis gehen davon aus, dass er die Probleme im Land kennt. Er ist Sprecher der SPD-Kommunalpolitiker und war im SPD-Landesvorstand auch schon für Innenpolitik zuständig. Die Düsseldorfer Regierungsszene ist ihm nicht fremd. Ehe er Oberbürgermeister wurde, war er stellvertretender Chef der SPD-Landtagsfraktion. Mancher in der Partei glaubt, Baranowski könne der Opposition den Wind aus den Segeln nehmen, das Vertrauen zurückgewinnen, das Jäger verspielt hat, und ihn ersetzen – als Innenminister und vielleicht sogar als Kronprinz. – Ulrich Horn


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6 Comments

  1. Welch starke Worte für eine weiche Sache, lieber Herr Horn! Je öfter Sie „Sylvesterverbrechen“ schreiben, desto unglaubwürdiger wird dieses harte Wort, weil leider sexistische Übergriffe an Silvester, im Karneval, auf dem Oktoberfest, Bremer Freimarkt, Pützchens Markt, Cannstatter Wasen die Regel sind und seit Jahren vorkommen. Da sind es nur meist keine Flüchtlinge, denen man in der Öffentlichkeit nochmal einen mitgeben wollte, die Täter i.d.R. sind fast ausschließlich weiße, biersaufende Männerhorden, die anfassen, belästigen, vergewaltigen – zahlenmässig mehr als die 2016er schwanzgesteuerten Nordafrikaner.
    Die Kölner Polizei hinterlässt auch deshalb einen faden Geschmack, haben doch nach der Entlassung des PP sich genau die SEK-Beamten auf die Schenkel geklopft, denen Albers angesichts ihrer Eskapaden mit Starphoto auf der Severinsbrücke, Hubschraubereinsatz und Zertrümmerung einer Unterkunft heimgeleuchtet hatte. Vielleicht liegt die Ursache der „Fehlmeldung der Pressestelle“ und vielen anderen internen Pannen eher am verschworenen Korpsgeist Kölner interner Polizeiintrigen, die bisher weder PP Albers noch Innenminister Jäger in den Griff bekommen haben, als Ursache der aus dem Ruder gelaufenen Vogänge? War die Polizei in Köln mehr mit sich selbst beschäftigt, als mit der öffentlichen Sicherheit?
    Und natürlich lauern doch alle drauf, dass es ENDLICH noch mehr Gründe gibt, um Merkels „wir schaffen das“ zu konterkarieren. In Wirklichkeit haben wir doch drei ganz sachlich zu bearbeitende Problemkreise:

    1. Der Kölner PP ist ein Saustall, in dem Illoyalität und das Treiben verschiedenster Interessengruppen zu einer fast unregierbaren Behörde geführt haben. Das ist nicht hinzunehmen.
    2. Die sexistischen Übergriffe und das damit verbundene allgemeine Roll-Back im Frauenbild, besonders in mittel- und Unterschichten und insbesondere in Teilen der Migrationsgesellschaft, bedürfen der dringenden Bearbeitung. Dümmliche Abschiebungsforderungen als Allheilmittel wie bei der CSU gehen da fehl. Wir müssen ernst machen mit einer die Grundrechte verteidigenden Migrationsgesellschaft.
    3. Der IM NRW hat sich schon in Duisburg nicht mit Ruhm bekleckert. Seit Herbert Schnoor gibt es keinen Sozialdemokraten in NRW, der dem Amt gewachsen wäre – auch der gute Frank Baranowski ist kein Bürgerrechtler, nicht mal Jurist. Solange sich die Grünen davor drücken, das Innenministerium zu übernehmen und die FDP zu rechts für eine linksliberale Politik ist, wird es keine Lösung dieses Problems geben.
    Und von Hannelore Kraft würde ich mal die Finger lassen – die braucht keine „Prinzchen“, die wird noch viel länger NRW regieren, als Merkel verdutzt schauen und Laschet Klausuren korrigieren kann.

    • Ulrich Horn Reply

      Lieber Herr Appel, einige kurze Anmerkungen: a. Der erste und der letzte Satz im ersten Absatz Ihres Kommentars widersprechen sich. b. Dass es sich zu Silvester am Dom um eine „weiche Sache“ gehandelt habe, erzählen Sie mal den betroffenen Frauen. c. Es gibt in dieser „weichen Sache“ mindestens einen vierten und fünften Problemkreis: die Opfer und eine Landesregierung, die sie links liegen ließ. d. Ihr Hinweis, von Hannelore Kraft die Finger zu lassen, kann als Aufforderung verstanden werden, sie von jeder Kritik freizustellen. Ist das der Zweck dieses Hinweises? Schließlich e. Hannelore Kraft wird nicht so lange regieren, wie Sie es ihr prophezeien, sondern so lange, wie es ihr gelingt, Mehrheiten zu erreichen – in der Partei, in der Bevölkerung und im Landtag.

    • Hubertus Bruch Reply

      Wenn Sie selbst für die Vorgänge aus der Sylvesternacht noch nach Entschuldigungen suchen, dann werden auch gute Argumente Ihre ideologische Sichtweise nicht verändern. Mal sehen, wie Sie das das ganze Jahr über schaffen werden. Übrigens: Sagen Sie das, was Sie hier so schreiben, doch mal einer Frau aus jener Nacht!

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  3. walter dyroff Reply

    In der Sylvesternacht wurden von Türstehern einer Disco in OWL ein Polizeischüler und ein Student mit dem Argument „Schwarzköpfe haben hier keinen Zutritt“ abgewiesen.
    Beide sind deutsche Staatsbürger, mit Elternteilen aus Südeurpa. Die sie begleitenden „schwarzköpfigen“ Mädchen wurden zum Eintritt genötigt.
    Auf eine Anzeige haben die jungen Leute verzichtet. Sie wollten sich Ärger ersparen.
    Ich gehe davon aus, das dies vor dieser Disco kein Einzelfall ist. Wenn Deutschland seine Steuereinnahmen reduziert oder U-Boot Lieferungen nach Nahost subventioniert, dann fehlt das Geld auch an polizeilicher Infrastruktur, dann sind Köln, vielleicht auch die internen Auseinandersetzungen dort, die Konsequenz.
    Zu den Hintergründen von Köln etc. siehe Berliner Zeitung
    „Ende der Gewaltspirale ist nicht in Sicht“ Interview mit Wilhelm Heitmeyer, Konfliktforscher.
    http://www.berliner-zeitung.de/politik/interview-sote-konflitkforscher-heitmeyer,10808018,33533466.html

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