Die SPD hat ein Wolkenkuckucksheim gebastelt und sich gemütlich darin eingerichtet. Seit Jahren lebt sie dort ungestört ihren Traum. Ihre Funktionäre, ihre Mitglieder und ein paar Stammwähler halten sie noch für eine Volkspartei. Alle anderen wissen längst, dass die SPD im Bund immer mehr den Kleinparteien gleicht und in den Ländern und Großstädten zur Regional- und Lokalpartei geschrumpft ist. Nun stört Kiels SPD-Ministerpräsident Albig die Idylle.

Schlecht bestellt

Als Störenfried verfügt er über einige Erfahrung. Seinem früheren Chef Peer Steinbrück riet er 2012 unter großer Empörung in der Partei dringend davon ab, Kanzlerkandidat zu werden. Steinbrück handelte gegen diesen Rat. Nach seiner Wahlniederlage bedauerte er, dass er ihm nicht gefolgt war.

Jetzt rät Albig der SPD, für die Wahl 2017 auf einen Kanzlerkandidaten zu verzichten. Wieder ist die Empörung in der Partei groß. Auch sie wird Albigs Rat wohl missachten. Schon jetzt ist absehbar, dass sie diesen Schritt bedauern wird.

Dass Albigs Empfehlung in seiner Partei als Wahlkampfhilfe für Merkel betrachtet und heftig kritisiert wird, lässt erkennen, wie schlecht es um die SPD bestellt ist. Gerade deshalb hat der Kirrerer Regierungschef sicher seinen Vorstoß unternommen.

Nicht gebraucht

Im Unterschied zu vielen führenden Genossen spricht er aus, war nicht zu übersehen ist: Die SPD hat seit ihrer Niederlage 2005 und Schröders Rauswurf aus dem Kanzleramt vermieden, sich ehrlich zu machen. Offensichtlich fürchtet sie sich vor dem, was sie dann zu sehen bekäme. Sie will ihr Wolkenkuckucksheim nicht aufgeben.

Sie scheint zu glauben, solange sie sich weigere, vom Baum der Erkenntnis zu essen, sei ihr das Paradies sicher. Eine der bitteren Einsichten, denen sich die Partei stellen müsste, wenn sie ihr Paradies verließe, ist diese: Merkel braucht die SPD nicht, um über die Wahl 2017 hinaus Kanzlerin zu bleiben.

Die SPD mag sich nicht eingestehen, dass sie nicht mehr so wichtig ist. Ihr Selbstbetrug begann 2005 mit Schröders jämmerlicher Weigerung, seine Abwahl zu akzeptieren. Ihre verheerende Niederlage 2009 schwieg die Partei tot. Das erfolglose Personal wurde nicht ausgewechselt. Ein Teil agiert trotz aller Misserfolge bis heute, wie angestellt auf Lebenszeit.

Schwer getan

Nach ihrer Niederlage 2013 traute sich die Partei nicht einmal mehr, die Alternative zu diskutieren, die sich ihr bot. Sie ließ sich von ihrer Funktionärselite, die spektakulär an Merkel gescheitert war, in die Große Koalition mit ihr treiben.

Seit 25 Jahren hat die SPD Probleme, Vorsitzende zu rekrutieren, die in der Lage sind, zwei Perioden des Bundestages zu überstehen. Ab 1990 hatte sie elf Parteichefs. Im Durchschnitt gönnte sie sich alle zweieinviertel Jahre einen neuen Vorsitzenden. Funktionäre und Mitglieder mag das erfreuen. Viele Bürger und Wähler irritiert es.

Auch mit ihren Kanzlerkandidaten tut sich die SPD schwer. Für die Wahl 2013 präsentierte sie gleich drei Aspiranten. Sie verhielten sich so, als ob keiner von ihnen antreten wollte. Bei der Entscheidung zwischen ihnen ging es vor allem um die Frage, wie es den beiden übrig gebliebenen Aspiranten gelingen könnte, ohne Gesichtsverlust aus dem Casting auszuscheiden.

Gefahr laufen

Die Kritiker, die Albig attackieren, Übersehen: Nominiert die SPD für 2017 einen Kanzlerkandidaten, muss sie auch die Frage nach ihrer Machtoption beantworten. Seit Beginn der Großen Koalition treibt diese Frage beide Flügel der Partei um. Die zunehmende Kritik des linken Flügels an Parteichef Gabriel und dessen Zickzackkurs sind Ausfluss dieses Konflikts.

Für Rot-Grün reicht es nicht. Rot-Rot-Grün passt nicht zusammen, weil sich über die Griechenland-Krise die Differenzen zwischen der SPD und der Linken in der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik noch vergrößert haben. Die SPD liefe Gefahr, Stammwähler zu verlieren und unter die 20-Prozent-Marke zu rutschen.

Für 2017 bleibt der SPD nur die Große Koalition oder die Opposition. Die Partei könnte auch eine Minderheitsregierung mit den Grünen anstreben. Ob die Voraussetzungen eintreten und die Grünen mitmachen würden, ist fraglich. Merkel hat mit der Großen Koalition, mit Schwarz-Grün, unter Umständen auch mit Schwarz-Gelb und der absoluten Mehrheit viel festere Optionen.

Um die Gunst kämpfen

Traut die SPD sich und den Grünen zu, bis zur Wahl zehn Prozentpunkte zuzulegen, kann die Partei ihre Mitglieder, Anhänger und den Rest der Wähler in den nächsten Monaten auf Rot-Grün vorbereiten. Hält sie einen zweistelligen Zuwachs für illusorisch, müsste sie ihre Mitglieder und Anhänger auf die Große Koalition einstimmen.

Legt sich die SPD erneut auf die Große Koalition fest, steht sie im Kampf um Merkels Gunst in Konkurrenz zu den Grünen. Sie muss dann Mitgliedern und Wählern deutlich machen, dass eine Große Koalition besser wäre als Schwarz-Grün: Die SPD müsste Wahlkampf gegen die Grünen führen.

Vieles spricht dafür, dass Merkel 2017 im Amt bestätigt wird. Ihre Sympathiewerte sind hoch. Die Union liegt stabil über 40 Prozent. Es gibt keine Wechselstimmung. Es ist nicht zu erkennen, wie die SPD Merkel und die Union in Bedrängnis bringen und in den Umfragen wachsen könnte.

Tsipras zusehen

Oppositionsparteien kommen weniger aus eigener Kraft, sondern eher durch Fehler der Regierungsparteien an die Macht. Dieser Umstand macht es der SPD ebenfalls schwer, Merkel zu kippen. Die SPD ist selbst Regierungspartei. Allzu heftige Angriffe gegen ihren Koalitionspartner würden sich immer auch ein Stück weit gegen sie selbst richten.

Albigs Vorstoß stört die Träume der Partei, vor allem die rot-rot-grünen ihres linken Flügels, aber auch die Sehnsucht der linken Grünen und der Partei Die Linke. Dass die SPD darüber aufwacht, ist nicht anzunehmen. Sie müsste dann vor der Nominierung ihres Kanzlerkandidaten zunächst den Konflikt zwischen ihren Flügeln austragen und dabei auch in Kauf nehmen, dass einige ihrer Funktionäre zur Union abwandern und andere zur Partei Die Linke. Hat Gabriel noch so viel Courage und Kraft? Er ist längst zum Punchingball der beiden Flügel geworden.

Bis zur Bundestagswahl ist es noch zwei Jahre hin. Vielleicht schauen Gabriel und die SPD einfach in Ruhe zu, wie Tsipras in nächster Zeit im Flügelkampf bei Syriza für Klarheit sorgt. Es könnte ja sein, dass es für Deutschland mal zur Abwechslung etwas von Griechenland zu lernen gibt. – Ulrich Horn


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8 Comments

  1. Pingback: Der Ruhrpilot | Ruhrbarone

  2. Wofür braucht die SPD als Anhängsel der CDU einen Kanzlerkandidaten? Niemand in der SPD formuliert auch nur in Ansätzen die Idee einer Alernative zur Austeritätspolitik in der EU, zur verlogenen Flüchtlingspolitik, die glaubt, Fluchtursachen in Syrien, Libyen und Somalia durch Grenztruppen und Marineeinsätze kontrollieren zu können. Die SPD trägt die aggressive, entspannungsfeindliche Ukraine-Politik Merkels ebenso mit wie den Ausverkauf der Bürgerrechte bei der Vorratsdatenspeicherung. Der Gipfel der Verlogenheit ist Gabriels Täuschgung von Partei und Wählern bei TTIP, wo er so tut, als sei er gegen die verfassungswidrigen Schiedsgerichte, sie heimlich aber durchwinkt. Die SPD hat keine eigenen Inhalte, ihre Spitzen fühlen sich wohl beim CDU-Politik-Machen, also braucht sie keinen Kanzlerkandidaten. Und wer andere Politik will, braucht die SPD nicht zu wählen. Ein Kanzlerkandidat Ramelow und ein Parteivorsitzender Dietmar Bartsch wären sowieso die glaubwürdigere Alternative, und Wagenknecht könnte ruhig die Rolle der ewigen Juso-Vorsitzenden einnehmen. Intelligenter als die ist sie allemal. Wozu also noch SPD? Deren Zeit ist ebenso vorbei wie die der ÖTV, GEW, IG Bau, Steine, Erden…und vielleicht merken das die, die sich wort- und ideenlos an die Sessel klammern, in die sie furzen, wenn die SPD im ersten Bundesland einstellig geworden ist. Was ist das für ein Land, in dem SPD, Grüne, und FDP sich nur noch drum reißen, bei einer politisch perspektivlos denkenden, bürgerrechtlich kalten DDR-sozialisierten Technokaratin auf dem Schoß zu sitzen, während die Eurpäische Idee vor die Hunde geht, eine verfehlte Außen- und Wirtschaftspolitik statt Fluchtursachen zu bekämpfen, sich immer mehr in die Konfrontationsspielchen der USA einspannen lässt und die mittelständische Wirtschaft, das Rückgrat unserer Ökonomie, durch TTIP zum Abschuss durch Großkonzerne freigibt?

  3. Manfred Michael Schwirske Reply

    Horn und Appel. Mein Applaus. Ich stimme inhaltlich beiden Analysen auch im Detail zu. Nur die Prognose vom Untergang der Sozialdemokratie und auch der Gewerkschaften, die teile ich trotzdem nicht. Ein elender Zustand kann ewig währen.

  4. Pingback: Die Schrumpfstrategie der SPD | WESTFALENBLOG | Wenn im Münsterland ein Sack Reis umfällt...

  5. Roland Mitschke Reply

    Es ist ein Stück ergötzend, zu lesen, wie Roland Appel sich seinen Frust von der Seele schreibt. Wie er Angela Merkel versucht zu diskreditieren, spricht für sich. Die europäische Idee geht tatsächlich vor die Hunde, wenn Solidarität in der EU als großes Umverteilungsprojekt verstanden wird. Großbritannien, Dänemark, die Niederlande, Österreich, ja sogar die baltischen Staaten und z.B. die Slowakei sind dann nicht mehr dabei. Die Umfragen in Deutschland mögen Herrn Appel nicht passen, sind aber eindeutig.
    Europa wird nicht durch ein schwaches Deutschland stärker! Die von Angela Merkel vertretenen Perspektiven mögen von Herrn Appel nicht geteilt werden, die große Mehrheit im Lande jedenfalls vertraut ihnen.

  6. Pingback: Links anne Ruhr (27.07.2015) » Pottblog

  7. Keiner der (früheren) SPD-Stammwähler verzeiht der Partei die Hartz-Gesetze. Auch wenn CDU und andere Parteien diesen Gesetzen zugestimmt haben, es wird der SPD angelastet. Die überheblichen Auftritte von Schröder und Clement sind beim linken Wähler ebenfalls nicht vergessen. Wenn jetzt Gabriel TTIP durchpeitscht und so tut, als sei das alternativlos, ist dies ein weiterer Sargnagel für die SPD. Eine Politik ohne Rücksichtnahme auf die Sorgen und Ängste der Menschen ist zum Scheitern verurteilt.

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