Der griechische Regierungschef Tsipras verschiebt die Gewichte in Europa. Lange stand er unter dem Druck der Euro-Staaten. Um Griechenlands Pleite und seinen Ausstieg aus dem Euro zu verhindern, soll er Reformen umsetzen, die dazu dienen, die Staatsausgaben zu senken. Dieses Vorhaben lehnt er ab. Sein Widerstand beschleunigt Griechenlands Fahrt in den Bankrott. Mit ihm setzt er nun die Euro-Staaten unter Druck.

Druckmittel genommen

Wollen sie Griechenland im Euro halten, müssen sie frühere Reformzusagen des Landes abschreiben und Reformen akzeptieren, die Tsipras für tragbar hält. Seine Aussichten, sich durchzusetzen, stehen nicht schlecht, obwohl seine Reformpläne als unzureichend gelten. Die Geldgeber biegen sie gerade zurecht, damit sie zustimmungsfähig werden und Hilfsmittel fließen können.

Über Wochen erweckten die Euro-Staaten den Eindruck, als hätten sie Tsipras am Kanthaken. Sie nutzten die sich abzeichnende Pleite, um ihn zur Kooperation zu zwingen. Er spielte nicht mit. Er stilisierte Griechenland als Opfer deutscher Politik. Er versuchte, die Euro-Staaten zu spalten und Deutschland zu isolieren – bisher vergeblich.

Hilfe fand er bei EU-Kommissionspräsident Juncker. Er nahm den Euro-Staaten das Druckmittel aus der Hand, mit dem sie kostensenkende Reformen des griechischen Staatsapparates erzwingen wollten: Juncker sicherte Tsipras zu, den Ausstieg aus dem Euro werde es nicht geben.

Handlungsspielraum genutzt

Junckers Blankoscheck schwächte die Position der Euro-Staaten und verschaffte Tsipras Handlungsspielraum. Er nutzt ihn ausgiebig. Auch er verwendet nun die nahende Pleite seines Staates als Druckmittel. Er verschärft dessen Finanzprobleme und führt die Euro-Staaten vor.

Er forderte, sie sollten Griechenland bedingungslos finanzieren. Er verweigerte Reformen, verschleppte Beratungen über sie und beschleunigte Griechenlands Finanznöte.

Er nimmt in Kauf, dass die Einnahmen des Landes schrumpfen. Er sieht zu, wie viele Griechen aus Angst vor der Staatspleite ihre Euro-Guthaben in Sicherheit bringen. Das Fluchtgeld geht in die Milliarden. Es schwächt die Banken, das Geschäftsleben und die Einnahmen des klammen Staates.

Attacken auf Deutschland

Entgegen früheren Vereinbarungen erhöht er dessen Ausgaben mit Sozialprogrammen, für die er kein Geld hat. Bezahlt werden sie nun auch von Euro-Staaten, denen es schlechter geht als Griechenland.

Er beendete die Verhandlungen mit der Troika über die Umsetzung der Reformzusagen seiner Vorgängerregierung. Mit den Attacken auf Deutschland zwang er Merkel, das Gespräch mit ihm zu suchen. Auf seinen Wunsch diskutierten am Rande des Europäischen Rates die Spitzen Europas über Griechenland.

Er setzte auch den Zeitpunkt fest, zu dem er nun eigene Reformpläne präsentierte. Die Diskussion um sie entwickelt sich zum absurden Theater. Die Geldgeber müssen Tsipras‘ Pläne aufmotzen, damit der Kreditnehmer in die Lage gerät, die dringend gewünschten Hilfen zu empfangen. Ob Tsipras die Reformen rechtzeitig einleitet, ehe Griechenland zahlungsunfähig wird, ist fraglich.

Politik in Trümmern

Noch machen die Euro-Staaten Hilfen davon abhängig, dass er Reformen auf den Weg bringt. Dieses Beharren verliert jedoch von Tag zu Tag an Gewicht. Je näher die Zahlungsunfähigkeit rückt, desto stärker überlagert sie die Reformpläne.

Ob Tsipras’ Pläne ausreichen, die Zahlungsunfähigkeit abzuwenden, spielt in der Stunde vor dem Bankrott keine Rolle mehr. Dann geht es nur noch um die Frage: Alimentiert die Währungsunion Griechenland, oder schaut sie zu, wie es in den Bankrott läuft?

Tsipras führt den Euro-Staaten die Trümmer ihrer Politik vor Augen. Ihr Vorhaben, ihn zu Kürzungen zu zwingen, wie sie seine Vorgänger versprachen, ist gescheitert. Ließe er sich darauf ein, bräche er sein Wahlversprechen, das darin bestand, diese Politik zu beenden. Der Wortbruch käme wohl dem politischen Selbstmord gleich.

Auftrieb für Euro-Gegner

Tsipras’ Reformpläne laufen auf Sachverhalte hinaus, die in intakten Staaten gang und gäbe sind: Steuern eintreiben und Steuerbetrüger verfolgen. Ob diese Absichten ihren Zweck erfüllen? So, wie griechische Regierungen bisher mit Geld und Reformen umgingen, ist Skepsis geboten.

Geben die Euro-Staaten Tsipras nach, gestehen sie ein, was längst sichtbar ist: Ihre Politik ist gescheitert. Andere Euro-Staaten werden verlangen, wie Griechenland behandelt zu werden. Die Währungsunion müsste ihre Politik revidieren.

Ihre Entscheidungsträger verlören politisches Gewicht, Merkel und Schäuble vorneweg. Über den Vertrauensverlust könnten links- und rechtsradikale Parteien Auftrieb gewinnen. Die eine oder andere Regierung könnte kippen.

Düstere Alternative

Die Alternative sieht für die Euro-Staaten kaum weniger düster aus. Lassen sie Griechenland fallen, geriete das Land in noch größere Not. Auch die Euro-Staaten bekämen Probleme, nicht nur, weil die finanziellen Folgen beträchtlich wären.

Griechenland würde versuchen, sich Kapital jenseits der EU zu besorgen. Tsipras droht längst kaum verhohlen. Er will bald nach Moskau reisen, um mit Putin über Finanzfragen zu reden. Er könnte die EU-Sanktionen gegen Moskau unterlaufen und Russland ermöglichen, sich im Mittelmeer festzusetzen, Europa zu spalten und die NATO zu schwächen. Merkel warnt bereits vor Alleingängen.

Die Euro-Staaten stehen vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Wie auch immer die Entscheidung ausfällt: Sie wird dokumentieren, dass die Währungsunion und Europa schwach sind. Das schwache Griechenland legt Europas Schwäche bloß.

Mut zu Reformen

Selbst wenn Hilfsmittel fließen – gerettet wäre Griechenland noch lange nicht. Es ist absehbar, dass nach der nächsten Hilfe die übernächste erforderlich wird. Griechenland droht auf lange Zeit für die Euro-Staaten ein teurer Notfall zu bleiben.

Faule Kompromisse schaffen keine Stabilität. Sie laden ein, die Währungsunion zu missbrauchen. Wenn sie Misswirtschaft ihrer Mitglieder unterbinden und sich von ihnen nicht länger erpressen lassen will, muss auch sie sich reformieren. Ob das mit Griechenland unter Tsipras‘ Führung möglich ist? Die Zweifel könnten bis zur nächsten Rettungsaktion im Sommer stark wachsen. – Ulrich Horn


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14 Comments

  1. Tsipras macht bisher alles richtig. Er versucht, statt seiner Europa-duckmäusernden, aber trotzdem korrupten Vorgängerregierung in Griechenland statt EU-Kosmetik wirkliche Steuererhebungen und einen Versuch sozialer Gerechtigkeit durchzusetzen. Seine linksradikaldemokratische Regierung ist damit die letzte Chance der Demokratie zum Versinken in der totalen (rechten) Korruption, wie sie Pasok und Konservative seit Jahrehnten praktizierten.

    Die EU und Europa lügen sich weiter in die Tasche: Es gibt keinen verfassungsrechtlichen Prozess, um ein EU-Land aus dem Euro zu schmeißen – das wissen alle, nur Juncker labert als einziger nicht drumherum – danke! – ein Grexit ist vielleicht ein feuchter Traum der CSU-Mitglieder, aber rechtlich und politisch unhaltbar. Es gibt keine Prozedur! Vergesst es!
    Deshalb sind auch Gedankenspiele von China- oder Russlandkapital für Griechenland völliger Quatsch. Eine linke Regierung kann sich innenpolitisch nicht leisten, ihre Infrastruktur an Ost-Oligarchen zu versilbern, wenn sie gleichzeitig dagegen kämpft, dass private EU-Konzerne wie FRAPORT dieselben öffentlichen Liegenschaften erwerben und filetieren!

    Es ist nicht das Treiben einer linksdemokratischen Regierung, die sich dem EU-Kapitalkonsens entgegenstellt, das EUROPA gefährdet, es ist der Ausverkauf von Demokratisierung und ökonomischer Werte und Umweltstandards, den die EU-Kommission mit TTIP und TISA und anderen neoliberalen Projekten gegen die Interessen ihrer eigenen Bürger zugunsten von US- und europäischen Konzernen vorantreibt.

    Das Problem liegt ganz woanders: Längst haben US-Konzerne wie Google, Apple und Facebook, Monsanto und andere Gentechnik-Riesen Europa den Wirtschaftskrieg erklärt. Der eine geht um die Ressource Information, besser personenbezogene Daten von Jedermann/frau, um umfassende Konsumenten- und Verhaltensprofile von jedem Menschen gewinnen zu können. Der andere versucht, die gesamte Agrarwirtschaft zu einem Appendix der Gentech-Konzerne zu machen. Europa verhält sich wie DAS Merkel in Sachen Handyspionage durch die NSA:
    „Mein Handy ist von der NSA abgehört worden und ich habe mit Barack darüber nicht gesprochen!“ Wer so mit den eigenen und den Interessen seines Volkes umgeht, zeigt, welche Flitzpiepe sie ist.
    DESHALB wählen viele Verzweifelte AfD. Hier liegt die Gefahr, Europs könne sich Extremisten wie Le Pen oder Lucke verkaufen.

  2. fabian sagt Reply

    Guter Artikel! Tsipras und Varoufakis sind super Wegbereiter und Vorbilder für eine bessere Politik, das lässt sich nicht leugnen!! Europa, wacht auf!
    Alles Gute den Griechen in dem eigentlich sehr schönen Griechenland!

  3. fabian sagt Reply

    Roland Appel – genialer Kommentar, so ist es! Danke für Menschen, wie Sie es sind, abseits von der Schlafschaf-Masse…

  4. Griechenland kann weder aus dem Euro bzw. aus der EU-Staatengemeinschaft entlassen werden. Denn Griechenland spielt militärisch eine zu grosse Rolle im Rahmen der Abgrenzung zu Russland. Die USA wären niemals damit einverstanden. Man stelle sich nur vor, Griechenland würde sich in Richtung Osten orientieren.
    Das Problem der Euro-Retter besteht im Augenblick darin, dass man Griechenland einerseits aus militärischen Gründen nicht fallen lassen kann und anderseits dem Wahlvolk weitere Geldgeschenke nett verpackt verkaufen muss.
    Aber diese nette Verpackung wird kommen. Das einzig Spannende wird sein, welche neuen Lügen sich die Euro-Retter dazu einfallen lassen.

  5. Ich stimme dem Autor, Herrn Horn, in der Beschreibung zu, wie die griechische Regierung von Alexis Tsipras die Schwächen des Euro-Raumes offenlegt. Die Bewertung, die Herr Horn damit verbindet, teile ich nicht.

    Nachdem die Vorgängerregierungen jahrelang keine der dringend nötigen Reformen in Griechenland durchgesetzt hat, sondern lediglich die Kürzungen von Löhnen, Renten und Sozialleistungen durchgesetzt und damit die demokratischen Strukturen in Griechenland untergraben hat, versucht Tsipras nun, die dringend nötigen Reformen in der Verwaltung und den Finanzämtern durchzusetzen. Das braucht Zeit. Weshalb nimmt man seine Vorschläge nicht ernst und räumt ihm einen vernünftigen Zeitraum zum Umsetzen seiner Vorschläge ein?

    Dass er die durch die bisherige Troika-Politik entstandene massive Armut, die im März 2014 in einem Bericht des Europäischen Parlaments ebenfalls deutlich kritisiert wurde, nun bekämpfen will, ist kein Wahlgeschenk und keine soziale Wohltat, sondern Pflicht einer jeden demokratischen Regierung und Voraussetzung für eine Stabilisierung der Demokratie. Es ist doch hinlänglich bekannt, dass ausgegrenzte und verarmte Bevölkerungsgruppen kaum an Wahlen teilnehmen, weil sie sich davon nicht mehr versprechen, sie also ihr Vertrauen in das politische System verloren haben. Der Vertrauensverlust in das Funktionieren einer Demokratie ist auf Dauer für die ganze Gesellschaft ein Problem.

    Wenn die Euro-Länder über mangelnden Reformwillen in Griechenland reden, dann sollten sie übrigens sehr vorsichtig sein. Die niederländische NGO SOMO hat in diesen Tagen eine Studie über den kanadischen Bergbaukonzern „Eldorado Gold“ und seine Aktivitäten in Griechenland veröffentlicht. Er betreibt dort eine Goldmine. In der Studie geht es einerseits um die Verletzung von Umweltschutzvorschriften und Menschenrechte. Und zum zweiten geht es darum, dass „Eldorado Gold“ mit dem Instrument einer Briefkastenfirma in den Niederlanden ein Steuermodell entwickelt hat, das dazu führt, dass „Eldorado Gold“ so gut wie keine Steuern an die griechische Regierung bezahlt.

    Mit anderen Worten: Das Euro-Land, aus dem der aktuelle Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem kommt, hilft internationalen Konzernen dabei, dem Griechischen Staat Steuern zu hinterziehen – formal ist das alles korrekt und den Regeln entsprechend gelaufen. Als niederländischer Finanzminister ist Jeroen Dijsselbloem für dieses Steuersparmodell, das die Niederlande internationalen Konzernen anbieten, direkt mitverantwortlich.

    Reformbedarfe gibt es demnach ja wohl nicht nur in Griechenland. Wie wäre es, wenn sich die finanzstarken Euro-Länder im Gegenzug zu Reformen in Griechenland dazu verpflichten, sich selbst auch zu reformieren, um z.B. solche Steuervermeidungsstrategien zu Lasten anderer Euro-Länder abzuschaffen. Das gälte ja nicht nur für die Niederlande, sondern auch für Luxemburg.

    Und für Deutschland steht immer noch auf der Agenda, seine Handelsüberschüsse zu reduzieren, den Missbrauch von Minijobs zu beenden und mehr in Forschung, Bildung und öffentliche Infrastruktur zu investieren. Das sind zum Beispiel seit 2011 vorgetragene Kritikpunkte der EU-Kommission an Deutschland im Rahmen des Europäischen Semesters. Bisher hat Deutschland darauf nur mit diplomatischem Druck in Brüssel reagiert.

    Und nicht zu vergessen: 2003 hat Deutschland als erstes Euro-Land die Maastricht-Kriterien gebrochen. Deutschland hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ein entsprechendes Verfahren gegen Deutschland zu unterbinden.

    Dass Tsipras sich nun seinen Wählern gegenüber verpflichtet fühlt, sein Wahlversprechen einzuhalten und diese Art von Politik nicht mehr mitzumachen, ist ihm hoch anzurechnen!

    Hier übrigens noch der Link auf die SOMO-Studie zu „Eldorado Gold“: Fool’s Gold http://www.somo.nl/publications-en/Publication_4177

    Jürgen Klute

    • Deutschland hat, obwohl es die Maastricht-Kriterien gebrochen hat, niemals Geld von anderen Euro-Staaten verlangt. Deutschland hat sich (teilweise) saniert.

      Außerdem: Es gibt eigentlich keine „reichen“ Euro-Mitgliedsstaaten mehr. Auch wir haben über 2 Bio offizielle Schulden. Rechnet man die implizite Staatsverschuldung dazu, landen wir bei ca. 7 – 8 Billionen Euro Staatsverschuldung. Wir können es uns einfach nicht leisten, ständig andere Länder zu finanzieren. Das ist ein Fakt. Selbst in Zeiten höchster Steuereinnahmen schaffen nicht mal wir es, Schulden abzubauen. Die „schwarze Null“, falls sie überhaupt gehalten werden kann, ist schon eine Leistung.

      Das System des Euro ist zum Untergang verurteilt, weil die Politiker eklatante Fehler gemacht haben. Statt sich mal zu interessieren, wie das in den USA läuft, hat man einfach ausgeblendet, dass Staaten auch pleite gehen können.

      Ohne Euro hätten sich die Griechen niemals so hoch verschulden können. Denn zu Zeiten der Drachme zahlte Griechenland im Durchschnitt 12 Prozent Zinsen. Erst durch den Euro war diese Verschuldungsorgie möglich. Jetzt dafür zu erwarten, dass deutsche Unternehmen nicht mehr an GR verkaufen sollen, ist ebenfalls nicht legitim. Es liegt an den Griechen, welche wissen müssen, wieviel sie sich leisten können. Griechenland verhält sich wie Lieschen Müller, welche die Rechnungen ungeöffnet in die Schublade steckt und sich wundert, wenn der Gerichtsvollzieher kommt.

      Das System des Euro ist gescheitert! Wer das nicht glauben will, kann auch auf youtube mal nach Prof. Hankel suchen. Er hat es deutlich vorausgesagt. Man hätte die Verträge einhalten und der No bail-out Klausel den Vorrang geben müssen – dann müssten nicht die Steuerzahler für dieses Desaster haften, sondern die Gläubiger.

      • Bisher hat Deutschland kein Geld an Griechenland gezahlt, sondern nur Bürgschaften übernommen. Zahlen muss Deutschland, wenn der Euro scheitert bzw. wenn Griechenland aus dem Euro austritt. Die Krise hat bisher dazu geführt, dass sich die Zinsen, die Deutschland für Staatsanleihen – also für Kredite – zahlen muss, extrem niedrig sind. Vergleicht man die heutigen Zinsen mit den durchschnittlichen Zinsen, die die Bundesrepublik in den zehn Jahren vor der Krise auf ihre Anleihen zahlen musste, dann ergibt sich, dass die Bunderepublik durch die Krise bisher 60 Milliarden Euro an Zinsen gespart hat. Ohne diesen „Krisen-Bonus“ hätte Herr Schäuble keine schwarze Null.

        Griechenland verhält sich keineswegs wie Lieschen Müller. bisher hat Griechenland alle seine Verpflichtungen pünktlich erfüllt.

        Nun, dass Deutschland 2003 die Maastrichtkriterien ignoriert hat, trägt jedenfalls nicht zur Glaubwürdigkeit Deutschlands in den Südländer bei.

        Schließlich sagt die Verschuldungshöhe alleine nicht viel aus. Sie müssen sie schon ins Verhältnis zur Wirtschaftsleistung setzen. Dann werden die Zahlen erst aussagekräftig. In Griechenland ist das Problem auch nicht die Höhe der Schulden in absoluten Zahlen. Das Problem ist vielmehr, dass durch die rabiate Sparpolitik die griechische Wirtschaft kollabiert ist. Mit steigender Wirtschaftskraft reduzieren sich die Schulden sehr schnell auf ein verantwortbares Maß. Deshalb sucht die neue griechische Regierung nach einem Weg, das Wirtschaftswachstum wieder anzustoßen. Über den richtigen Weg dahin mag man streiten, aber das Ziel, das Wirtschaftswachstum kräftig zu erhöhen, ist m.E. unstrittig. Denn die Sparpolitik hat nach fünf Jahren immer stärker in die Krise geführt. Nach fünf Jahren erfolgloser Sparpolitik nach Alternativen zu suchen, ist nicht nur verständlich, sondern wohl auch richtig.

  6. Eine Überschuldung hat noch nie funktioniert. Sie geht einher mit der schleichenden Enteignung derer, die für solch eine Party bezahlen.

    Hans Kolpak
    Goldige Zeiten

  7. Inhaltlich finde ich die beiden Artikel von Roland Appel und Jürgen Klute sehr überzeugend, daher hier nur eine Randnotiz: Ulrich Horn schreibt, dass in „intakten Staaten Sachverhalte gang und gäbe sind: Steuern eintreiben und Steuerbetrüger verfolgen.“ Da habe ich doch sehr gelacht, denn bei uns ist das ja keineswegs gang und gäbe.

    • Ulrich Horn Reply

      In Deutschland kauft der Staat sogar Diebesgut auf, um Steuerbetrüger zu packen. Walter-Borjans hat in seiner kurzen Amtszeit wahrscheinlich mehr Steuerbetrüger erwischt als der griechische Staat seit der Geburt von Varoufakis.

      • Herr Horn, natürlich haben Sie Recht mit ihrer Feststellung, dass Borjans in seiner kurzen Amtszeit mehr Steuerbetrüger erwischt hat als der griechische Staat seit der Geburt von Varoufakis.

        Ich habe ganz gute Kontakte zu SYRIZA und war im Januar vor den Wahlen in Athen, um mich dort mit den Wirtschaftspolitikern von SYRIZA und Beratern von A. Tsipras zu treffen. Es ging um die wirtschaftspolitischen Ziele von SYRIZA. Meine Gesprächspartner haben in großer Offenheit über die Defizite bei der Verfolgung von Steuerbetrügern gesprochen und auch über die enormen Probleme in der griechischen staatlichen Verwalten. Offensichtlich ist es so, dass eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung diese Probleme lösen und nicht in das Griechenland vor der Krise zurück will.

        Mein Eindruck war, dass SYRIZA ein enormes zivilgesellschaftliches Reformprojekt anstoßen will, fast eine Kulturrevolution (und das ist keine sozialistische oder kommunistische Revolution). SYRIZA will die öffentlichen Institutionen so umbauen, dass sie den Standards entsprechen, wie wir sie in den Gründungsländern der EU kennen.

        Ich hatte den Eindruck, dass SYRIZA in diesem Punkt sehr glaubwürdig ist. Aber eine solche gesellschaftliche Reform (die Korruption durchzieht schließlich die Gesellschaft in Griechenland von oben bis unten) braucht Zeit. Ich denke dann oft an den Strukturwandel im Ruhrgebiet. 1968 wurde die RAG zur geordneten Abwicklung des Ruhrbergbaus gegründet. 2018 sollen die letzten Zechen schließen. Wir haben uns hier vor Ort ein halbes Jahrhundert Zeit für diesen Part des Strukturwandels genommen. Nun kann man doch nicht von Griechenland verlangen, dass erst 1974 zu einer modernen Demokratie wurde, dass es all die nötigen Reformen in 4 Wochen hinter sich bringt.

        Mir sagten die SYRIZA-Kollegen im Januar, dass die Zahl der Mitarbeitenden in der griechischen Verwaltung (nicht in den Staatsbetrieben) seit Beginn der Krise um 1/3 gekürzt wurde. Es gibt also nicht nur den Bedarf, die Steuerbeamten und auch die übrigen Beamten zu schulen (was zu den zentralen Vorhaben von SYRIZA gehört), sondern es müssen auch wieder Beamte eingestellt werden, damit die Behörde von den Personalressourcen in der Lage ist, die Steuersünder in Griechenland zu verfolgen.

        Nun kann man natürlich sagen, die griechischen Regierungen haben bisher alle getrickst. Wieso sollten wir SYRIZA mehr vertrauen als den Vorgängerregierungen.
        Ob SYRIZA macht, was sie jetzt verspricht, lässt sich natürlich nur im Nachhinein beurteilen. Das gestehe ich gerne zu.
        Aber andererseits: Was spricht denn dagegen, SYRIZA beim Wort zu nehmen und in ihren Vorhaben zu unterstützen? Das SYRIZA auf das soziale Desaster bzw. auf die humanitäre Krise (um die Worte von SYRIZA zu nehmen) reagieren muss, ist aus meiner Sicht unbestreitbar. Selbst Juncker räumt das ein. Insofern muss SYRIZA die Reformpolitik deutlich verändern. Wenn SYRIZA dann aber gleichzeitig die anderen Reformen umsetzt, dann wäre das ein großer Schritt nach vorne. Warum räumt man der neuen Regierung, die nicht in die alten Eliten verstrickt ist und deshalb eben auch keine Regierungserfahrung hat, nicht die Chance ein, in den nächsten 6 bis 12 Monaten zu zeigen, wie ernst sie es mit ihren Reformen meint.

        SYRIZA beim Wort zu nehmen, davon hätten m.E. alle Seiten den größten Vorteil – allen voran die EU als politisches Projekt, um das zu kämpfen sich lohnt, das aber nur eine Zukunft hat, wenn alle Bürger und Bürgerinnen das Gefühl haben, sie haben etwas von der EU. Gegenwärtig haben aber immer mehr Bürgerinnen und Bürger vor allem in Südeuropa das Gefühl, die EU nimmt ihnen Wohlstand und soziale Errungenschaft.

        Letztlich kämpft SYRIZA m.E. um eine soziale Balance, ohne die die EU keine Zukunft hat.

        Jürgen Klute

        • Ulrich Horn Reply

          Es wäre schön, wenn sich Ihr Eindruck bestätigte und es Tsipras tatsächlich schaffen könnte, in Griechenland so etwas wie eine Kulturrevolution zustande zu bringen.
          Das Ruhrgebiet hat sich für seinen unzureichenden Strukturwandel so viele Jahrzehnte Zeit lassen können, weil es in die Strukturen des Landes NRW und der Bundesrepublik eingebettet ist. Der Wandel wurde vom Rest des Landes und der Republik mit ihren stabilen staatlichen Strukturen mitgetragen und mitfinanziert. Griechenland kann sich nicht so viel Zeit lassen. Es muss in Monaten, nicht in Jahren rechnen, schon deshalb, weil es seine Transformation nicht alleine finanziert. Sie muss von anderen, ebenfalls schwachen oder noch schwächeren Staaten in Europa mitgetragen werden.
          Mich irritiert, dass Tsipras und SYRIZA diesem Umstand bisher kaum Rechnung tragen. Man mag diesen Mangel ihrer Unerfahrenheit zuschreiben. Es müsste ihnen aber längst dämmern, dass nicht nur sie es sind, die ihr Lehrgeld zahlen, sondern die Griechen und vor allem die übrigen Euro-Staaten. Wie teuer die Lehrzeit wird, zeigt sich daran, dass sich in der kurzen SYRIZA-Regierungszeit das Staatsdefizit um einen zweistelligen Milliardenbetrag erhöhte. Die Belastung für die Griechen und die Euro-Mitglieder wird also ansteigen.
          Ich kann bisher nicht erkennen, dass Tzipras und SYRIZA ihre Politik im Rahmen der Währungsunion auf diese Sachverhalte hinreichend ausrichten. Wohl aber ist meiner Ansicht nach immer stärker zu erkennen, dass sich sie sich zunehmend darauf orientieren, Griechenland jenseits der Währungsunion und ihrer Verpflichtungen und Zwänge zu verorten.

          • Ich stimme Ihnen darin zu, dass die augenblickliche Situation irritierend und auch gefährlich ist. Und niemand kann im Augenblick genau vorhersagen, was das Ergebnis sein wird.
            Ich hätte mir gewünscht, die Idee einer europäischen Schuldenkonferenz, die nicht nur die griechische Schuldensituation behandelt, sondern die Frage der Staatsverschuldung in der Eurozone insgesamt thematisiert. Das Problem ist ja nicht nur ein griechisches. Zwar gibt es eine rein griechische Seite des Problems, nämlich das Nicht-Funktionieren der staatlichen Verwaltung, eine widersprüchliche und unüberschaubare Gesetzgebung und eine weit verbreitet Korruption. Das sind Probleme, die Griechenland lösen muss. Gleichzeitig spielt aber auch die unzulängliche Konstruktion des Euroraums eine Rolle und die Handelsbilanzüberschüsse Deutschlands. Zum ersteren Thema hat sich der Ökonom Hubert Gabrisch vor zwei Jahren sehr grundlegend geäußert. Den englischen Text finden Sie auf meiner Webseite. Zum Zweiten Thema hat sich Ulrike Herrmann von der Taz ml sehr fundiert zu Wort gemeldet. Auch diesen Text finden Sie auf meiner Webseite.
            Eine europäische Schuldenkonferenz hätte den Charme, die EU-Seite der griechischen Krise, die aber auch für die anderen Krisenländer von Relevanz ist, zu beleuchten. Insofern finde ich den Verweis von Tsipras auf die Londoner Schuldenkonferenz von 1953 durchaus plausibel. Dort ging es ja auch keineswegs nur um einen Schuldenerlass für Deutschland, sondern auch um den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft. Dem entsprechend enthielt dieses Abkommen weit mehr als nur den Erlass von Schulden. Und auch die Methodik war interessant: Es gab eine Verhandlung, an der alle Schuldner, private wie öffentliche, gemeinsam teilgenommen und verhandelt haben. Im Falle Griechenlands hat es das bisher nicht gegeben.
            Bis zu einem gewissen Grad kann ich das Handeln von Tsipras schon verstehen. Wie Sie vielleicht wissen, war ich von 2009 bis 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments und dort schwerpunktmäßig im Wirtschafte- und Währungsausschuss (ECON) tätig. Ende 2013 hatte der ECON beschlossen, einen Bericht zur Politik der Troika zu erstellen. Ich war Mitglied des Berichterstatterteams. Anfang 2014 hat das Berichterstatterteam alle Troika-Länder besucht als Vorbereitung für den Bericht. Das Europäische Parlament war ja in die Troika-Politik nicht eingebunden. Der Rat hat die Troika ohne jede parlamentarische Beteiligung installiert und arbeiten lassen. Dominiert wurde die Troika-Politik von der Bundesregierung. Es gibt sicher berichtigte Kritik an den Krisenländern, nicht nur an Griechenland – wobei man schon im Blick behalten sollte, dass Portugal und Griechenland (übrigens auch Spanien) sich erst Mitte der 1970er Jahre aus rechten Diktaturen befreit haben. Zypern war bis in die 1960er Jahre britische Kolonie und Mitte der 1970er Jahre wurde der Nordteil der Insel von der Türkei besetzt. Irland war bis vor wenigen Jahren mit dem Bürgerkrieg belastet, auch wenn er nicht in der Republik Irland stattfand. Wie gesagt, es gibt einiges an berechtigter Kritik an den Strukturen der Krisenländer. Was dem EP-Berichterstatterteam aber begegnet ist – darin waren wir uns fraktionsübergreifend einig – war, dass die Troika die Interessen der Krisenländer restlos plattgewalzt hat – hauptsächlich im Interesse der Bundesregierung. Von den seinerzeit zuständigen Ministern bis hin zu Wirtschaftsverbänden, Banken- und Zentralbankenvertretern, Sozialverbänden und Gewerkschaften wurde uns dies en detail beschrieben.
            Vor diesem Hintergrund geht es Tsirpas auch darum, der deutschen Dominanz, die von vielen als entwürdigend empfunden wird, eine wahrnehmbare Stimme der Krisenländer entgegenzusetzen. Trotz allem haben wir selbst in Griechenland gehört, dass ohne einen Druck von außen ein gesellschaftlicher Änderungsprozess zustande gekommen wäre. Da macht die Ambivalenz aus.
            Ein EP-Kollege hat mal in einer Diskussionsrunde mit Mitgliedern des Bundestages gesagt, Deutschland sei wirtschaftlich und politisch das stärkste Land in der EU und müsse von daher eine Führungsrolle übernehmen. Deutschland mache das auch zunehmend, aber vor allem im eigenen Interesse. Eine Führungsolle verlangt aber, die Interessen aller EU-Mitgliedsländer im Blick zu behalten und nicht nur die eigenen. Ich finde diese Beschreibung sehr zutreffend. Und deshalb bin ich der Überzeugung, dass sich nicht nur die Krisenländer verändern müssen, sondern dass auch Deutschland die Art, wie es seine politische Rolle in der EU wahrnimmt, überdenken muss. Sonst droht die EU tatsächlich zu scheitern.
            Damit weise ich keineswegs Kritik an den Krisenländern zurück. Aus meiner Sicht haben aber nicht nur die Krisenländer Hausaufgaben zu erliegen, sondern ebenso die Bundesregierung und einige andere nordeuropäische Staaten.

  8. Da haben wir die seltene Kombination, dass von vielen Kommentatoren die einseitige Sichtweise des Herrn Horn kritisiert wird, zu recht, wie ich meine; andererseits outen sich hier einige als sog. „gold Bugs“. Quasi der goldige Lösungsweg für den einzelnen Europäer und die überschuldeten Euro-Länder der südlichen EU-Peripherie. Die Gold-bugs seien an König Midas erinnert und sein Schicksal, am Horten von Gold quasi realwirtschaftlich erstickt zu sein. Dies scheint mir als abhängig Beschäftigter nicht erstrebenswert. Denn, ob ein Zahlungsmittel Gold ist oder sich Euro nennt, ist zunächst mal nicht entscheidend. Maßgeblich ist, ob das Zahlungsmittel die realwirtschaftlichen Güterströme am Laufen halten kann.
    Ansonsten gilt, wenn das Leben so einfach wäre, dann wäre auch die einseitige Sichtweise des Herrn Horn bezüglich des Agierens der neuen griechischen Regierung tolerabel. Leider sind all diese Interpretationsversuche des Herrn Horn der Beginn eines Holzweges in den europäischen Abgrund des falsch verstandenen Nationalismus.
    Die Situation in Hellas beruht eben nicht nur auf Fehlleistungen der bisherigen griechischen Eliten. Und Syriza ist ein politischer Newcomer. Allerdings ein Linker! Und damit haben die Christ- Unionisten in der Politik, in der Wirtschaft und im Journalismus so ihre liebe Not. Denn für das Versagen der bisherigen Eliten unter der Akropolis war Syriza nun überhaupt nicht beteiligt gewesen. Agitiert und gefälscht hat aber z.B. „Goldman und Sachs“, die konservativen und historisch linkeren Politiker der griechischen Schwesterparteien von CDU und SPD. Inklusive Bankster a la Herr Draghi, der maßgeblich bei der angeblichen finanziell-ökonomischen „EU-Fähigkeit“ von Griechenland Anfang dieses Jahrhunderts munter mitgemischt hat. Erstaunlich in diesem Zusammenhang, dass sich deutsche Journalisten sehr gern über die griechischen Unzulänglichkeiten auslassen, aber kaum einen Buchstaben über die Rolle der „Goldman-Sachs und Morgan-Stanley-Leute“ in Europa verlieren, als sie noch im Auftrag der damaligen griechischen Regierung entsprechend „vernebelt“ haben.
    Ein weiterer neuralgischer Punkt von deutschen Journalisten des Mainstream, und Herr Horn bläst da ins gleiche Horn, ist die mangelnde Hinterfragung des Begriffs „Reform-Notwendigkeit“ in der griechischen Gesellschaft. Denn Reformen, zumal aus der neoliberalen Giftküche, sind doch erfolgt im Mutterland der abendländischen sog. Demokratie. Noch nie hat ein Staat in Friedenszeiten so massiv in den Lebensstandard seiner breiten Bevölkerungsschichten hinein geschnitten. Also nicht nur die Ausgaben-Beschränkung für den griechischen Staat ist enorm vorangetrieben worden, sondern auch die Einnahme-Möglichkeiten sind demzufolge massiv gesunken. Und damit, oh Wunder, ist die Schuldenhöhe der Griechen sogar noch angewachsen! Wie? Trotz Anwendung der Austerität im Sinne der in Deutschland überwiegend herrschenden, neoliberalen „Wirtschafts-Theologie“ durch die europäische Troika wurde weder die Situation der Griechen noch diejenige ihres Staates besser?
    Wie dies?
    Ist etwa Madame Kanzler Merkels europäische Schuldenbremse per ordre der schwarzen Null im Finanzministerium, also des Herrn Schäuble, gescheitert? Und dies nicht etwa nur in Griechenland, sondern mindestens auch in Portugal, Spanien und anderen europäischen Ländern?
    Da sei der christunionistische Chor-Geist und die journalistischen Claqueure desselben davor!

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