Die Schule dient unter anderem dem Zweck, junge Menschen zu lehren, den Dingen auf den Grund zu gehen. Als Vorbild für den Umgang mit dem Wissensdurst eignen sich NRW-Schulministerin Löhrmann und die rot-grüne Koalition in Düsseldorf nicht. Sie bieten eher ein abschreckendes Beispiel. An NRW-Schulen fällt Unterricht aus. Wie viel, weiß niemand. In absehbarer Zeit wird es auch niemand erfahren. Löhrmann weigert sich, den Ausfall präzise zu ermitteln.

Große Informationslücken

NRW ist das Bundesland mit den meisten Einwohnern. Deshalb ist vieles in NRW groß, auch das öffentliche Schulwesen. 5700 Niederlassungen (Schulen) hat es, 2,375 Millionen Kunden (Schüler) zählt es. 179.000 Lehrkräfte halten es in Gang. Verglichen mit dem NRW-Schulbetrieb sind Konzerne wie BMW (110.000 Beschäftigte), RWE (66.000) und EON (62.000) kleine Läden.

Der riesige NRW-Schulbetrieb wird von einem Ministerium und fünf Bezirksregierungen gesteuert. Ihnen stehen fast 16 Milliarden Euro aus Steuermitteln zur Verfügung. Man sollte meinen, aus diesem hohen Betrag ließe sich das öffentliche Schulwesen so organisieren, dass es liefe wie geschmiert. Von wegen.

Um einen so großen Betrieb effektiv zu betreiben, braucht man detaillierte Informationen über den Betriebsablauf. Die NRW-Regierung nicht. Die Informationslücken über den Unterrichtsausfall sind in NRW ebenfalls von beachtlicher Größe.

Auf Vermutungen angewiesen

NRW-Schulministerin Löhrmann weiß nicht genau, wie viele Lehrer gerade krank sind, wie viel Unterricht gerade ausfällt und wie viel Unterricht gerade von fachfremden Lehrern erteilt wird, weil Fachlehrer krank sind. Sie begnügt sich mit Schätzungen.

Sie hat 770 Schulen überprüfen lassen. Dann rechnete sie das Ergebnis für den Rest der Schulen hoch. Sie kam auf 1,8 Millionen ausgefallene Unterrichtsstunden (1,7 Prozent) und 7,5 Prozent Unterricht, der fachfremd erteilt wird. Belastbar ist dieses Ergebnis nicht. So, wie Löhrmann agiert, ermittelt man keine Fakten, sondern Vermutungen über sie.

Kann ein so großer Betrieb wie das NRW-Schulwesen sachgerecht organisiert werden und effizient arbeiten, wenn sein Personaleinsatz an Vermutungen ausgerichtet wird? Wohl kaum. Die Ressourcen der Steuerzahler können unter diesen Bedingungen sicher nicht hinreichend zweckdienlich eingesetzt werden.

Bloß keinen Ärger

Die Ministerin kennt das Problem. Sie löst es aber nicht. Offenbar hält sie es für unerheblich, obwohl sie sein Ausmaß nicht belegen kann. Für dieses absurde Verhalten gibt es nur eine Erklärung: Löhrmann will gar nicht wissen, wie viele Unterrichtsstunden ausfallen und wie viele Lehrer dem Unterricht fern bleiben.

In der Wirtschaft hätte eine Vorstandschefin, die auf sich hielte, das Problem längst angepackt. Andernfalls würde ihr der Aufsichtsrat Dampf machen, damit die Arbeitsprozesse und ihr Output – in diesem Fall das Unterrichtsangebot für die Schüler – optimiert würden.

Warum Löhrmann das Problem nicht löst? Weil in der Politik alles anders ist. Optimieren ist heikel, vor allem im Schulwesen. Ehe Politiker dort ein Problem anpacken, wägen sie ab zwischen dem Nutzen für die Schüler und dem Ärger mit den Lehrern. Sie könnten die Protokollierung des Unterrichtsausfalls als Kontrollmaßnahme verstehen und nervös werden. Löhrmann hat sich dafür entschieden, keinen Ärger mit den Lehrern zu riskieren.

Wähler für dumm verkauft

Lehrer haben politische Macht. Sie können Regierungen heftig zusetzen. Werden Lehrer unruhig, befürchten Politiker, die Pädagogen könnten schweren politischen Schaden anrichten. Deshalb ist jede Regierung daran interessiert, dass die Lehrer ruhig bleiben.

Zu diesem Zweck nimmt Löhrmann sogar in Kauf, dass Eltern, Schüler und Wähler den Eindruck gewinnen können, die Ministerin verkaufe sie für dumm. Um den Unterrichtsausfall exakt zu ermitteln, wäre der Aufwand zu groß, behauptet ein Gutachten. Es müssten dann 700 Lehrer eingestellt werden. Löhrmann macht sich dieses Gutachten offenbar zu eigen.

Das Problem lässt sich sicher billiger lösen. Es müssen nicht Lehrer sein, die Protokoll über die Ausfallstunden führen. Kürzlich erst schwärmte Ministerpräsidentin Kraft, wie toll die digitale Wirtschaft in NRW vorankomme. Da dürfte es doch ein Leichtes sein, ein Computer-Programm entwickeln zu lassen, mit dem jede Schulsekretärin mühelos die ausgefallenen Unterrichtsstunden registrieren kann.

In Ländervergleichen oft weit hinten

Doch was dann? Dann müsste Löhrmann daran gehen, den Unterrichtsausfall einzuschränken. Ein solches Vorhaben würde jede Menge Ärger nach sich ziehen und die Harmonie zwischen der Ministerin und den Lehrkörpern stören. Will sich Löhrmann Ärger an den Hals holen? Eher nicht.

Deshalb wird ein Software-Programm, das den Unterrichtsausfall protokollieren kann, in NRW nicht entwickelt. Die Koalition wird es nicht vermissen. Sie neigt ohnehin dazu, Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit zu begrenzen, statt sie zu fordern und zu fördern. Sie sieht in dieser Haltung etwas Vorteilhaftes – und glaubt, sie habe recht damit. Wundert sich noch jemand, dass NRW in vielen Ländervergleichen so weit hinten steht? – Ulrich Horn


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6 Comments

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  2. Werner Theisen Reply

    Das Ergebnis eines solchen Missmanagements der SPD seit 50 Jahren zeigt sich in der Zahl der 3 Millionen Erwachsenen Analphabeten in unserem Land. Dank der desolaten Schulpolitik wird diese Zahl jedes Jahr mit 15 – 20 % eines Jahrganges aufgefüllt resp. stabil gehalten! Obwohl seit Jahren die Studie Level One der Uni Hamburg das Problem aufzeigt, tut sich nichts!

  3. Ich war 35 Jahre Gymnasiallehrer und habe Minister aus allen Parteien als Vorgesetzte gehabt. Der Punkt ist der, dass heute die Bildungsfunktion gar nicht mehr im Mittelpunkt steht, sondern die reine Aufbewahrung ist Aufgabe Nr. 1 der Schule. Darum hält man ja auch am Beamtenstatus der Lehrer fest, weil die diese Funktion immer ausführen müssen. Letzten Endes ist Bildung den Politikern egal, sie sehen es nur als Kostenfaktor. Darum sehen Schulen aus, wie sie aussehen, darum gibt es zu wenig Lehrer, darum werden den Lehrern immer neue Lasten aufgebürdet wie jetzt die Inklusion, darum werden vor allem Grundschullehrer so schlecht bezahlt. Ich arbeite jetzt als freiwilliger Lernpate an einer Grundschule, da sehe ich, wie die Arbeit und die schwieriger werdenden Kinder den Lehrern über den Kopf wachsen. Also, lieber Herr Horn, diese Macht der Lehrer über die Politik, die Sie sehen, ist pure Illusion.

  4. Noch ein kleiner Nachtrag. Der irische Autor Frank McCourt (Angela´s Ashes; Die Asche meiner Mutter) wuchs in großer Armut in Irland auf. Eines Tages ging er mit seiner Mutter und seinem niedlichen kleinen Bruder spazieren. Da wurden sie von einer Engländerin angesprochen. Die Mutter erklärte, dass die Engländerin den kleinen Bruder kaufen wollte. Frank fragte, warum sie ihn nicht angeboten habe. Die Mutter: „Dich wollte sie nicht haben!“
    McCourt war lange Zeit Lehrer in New York und hat darüber ein bewegendes Buch geschrieben. Eine wichtige Erkenntnis war diese: Gute Lehrer wollen vor allem eins, nämlich Kinder unterrichten und begeistern. Die nicht so guten gehen in die Verwaltung, steigen dort schnell auf, verdienen mehr und haben jetzt Zeit, die eigentlichen Lehrer mit sinnlosen und unerfüllbaren Verordnungen zu tyrannisieren.
    Das ist eigentlich auch meine Erfahrung. Und daher hat die Schulbürokratie wenig Angst vor engagierten Lehrern; sie waren ja immer schon ihre Vorgesetzten.

  5. Ach, lieber Herr Horn, jetzt backen wir uns aber die Welt, wie Pipi Langstrumpf zurecht?
    Erstens: Die Software gibt es schon, aber sie darf nicht eingesetzt werden, weil jeder Personalrat und Hauptpersonalrat und Nebenpersonalrat nicht nur in NRW und jede Regierungsstelle Dienstvereinbarungen unterschrieben haben, die besagen, dass Software nicht zur Verhaltens- und Leistungskontrolle verwendet werden darf. Vor allem SPD-und CDU-Minister haben das immer unterschrieben – fragen sie mal nach! Und selbst, wenn Sie es erfassen würden – was soll die Ministerin, der gott sei dank weder Aufsichträte noch dividendengeile Spekulanten im Nacken sitzen, denn tun, wenn wie derzeit die Grippewelle halbe Kollegien dahinrafft? 1-Euro Vertretungslehrer bei Wolfgang Clements Adecco-Freunden einkaufen?
    Zweitens: Ich kann einfach diese Lindnerspräch nicht mehr hören:
    Schüler sind keine „Kunden“, sondern Schüler und zwar solche, denen heute meist von einfachsten Sozialregeln über verständliche Sprache bis zu Mindeststandards von Achtung vor sich selbst und anderen alles beigebracht werden muss. Lehrer sind leider zu oft keine Lehrer mehr, sondern schlecht bezahlte Ausputzer ausgefallener Kinderstubensozialisation oder verkorkster Integration. Was sich meine vermutlich künftige Schwiegertochter selbst als frischgebackene Sek II Lehrerin in Englisch und Französisch nicht im sozialen Brennpunkt, sondern aufm platten Land in Jever, wo die Welt noch in Ordnung scheint, von Schülern und Eltern bieten lassen muss, ist erschreclend. Und die ist privat Hardrockerin, also keine Zimperliche. Ich kann mir offen gestanden nicht vorstellen, ihren Job ein Leben lang zu machen.
    Und drittens: Unsere Schüler sind das beste, was wir für die Zukunft unseres Landes haben, aber wie erziehen sie in einstürzenden Altbauten mit verrotteten Toilettenanlagen, sie sollen IT-Kenntnisse, Datenschutz und Softwarekompetenz lernen, aber die Lehrer wissen nicht einmal, was man von sich preisgibt, wenn man What’s App runterlädt, geschweige wie man seinen Computer sicherer macht, und die Kommunen haben in Zeiten von „Bring Your Own Device“ nicht einmal zwei Euro pro Schüler und Monat, die es kosten würde, denen eine funktionierende IT-Infrastruktur und den Lehrern solide IT-Grundkenntnisse zu finanzieren.
    Auch Frau Löhrmann bekommt für die kürzlich angekündigten IT-Maßnahmen im Bereich der Schule wieder keinen Cent mehr vom Finanzminister.
    Aber Schäuble und Merkel geilen sich an der „Schwarzen null“ auf, während ihnen die Schüler nichts wert sind und im Land die Autobahnbrücken zusammenbrechen. Ach ja, und der Rüstungsetat soll ja jetzt auch wieder steigen für den nächsten Krieg in Europa. Nicht, wer in Zeiten von 0 % Zinsen Schulden macht und Probleme löst, handelt unverantwortlich, sondern wer künftigen Generationen keine Schulden, aber jede Menge Aufgaben und auch noch eine schlecht ausgebildete Menschen und Waffen hinterlässt, handelt unverantwortlich. Das sind die wahren schwarzen Nullen!

    • Werner Theisen Reply

      Ja: Das klingt wie die Welt von Pipi Langstrumpf! Nicht die Ministerin und die überbordende rot/grüne Bürokratie und ideologische Regelungswut sind schuld, sondern die Eltern, die klammen Kommunen, noch mal die Eltern und die Eltern und zuletzt die Bundesregierung! Toll. Das Land, das seine Finanzen mit teuren, unnötigen Wahlgeschenken ruinierte, ist das Opfer!

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