Politische Parolen richten Schaden an. Wir sind kein Einwanderungsland, hieß es lange. Jeder, der seine Sinne beisammenhatte, wusste, dass dieser Spruch die Wirklichkeit entstellte. Was die Parole so attraktiv machte, war ihre Verheißung, das Thema Flüchtlinge und Einwanderer ließe sich verdrängen. Wenn wir kein Einwanderungsland sind, müssen wir uns mit Zuwanderern nicht befassen. Wohin es führt, wenn Politik und Gesellschaft die Wirklichkeit ausblenden, zeigt sich heute. Beim Exportriesen Deutschland wuchert Fremdenfeindlichkeit. Die Bundestagsparteien reagieren hilflos. Im ersten Reflex sind sie bestrebt, sich von der Demo-Welle nicht überrollen zu lassen. Im zweiten sind sie bemüht, sie parteipolitisch zu nutzen. Das Pendel schlägt weit aus, von Abgrenzung bis Umarmung. Nur Lösungen sieht man nicht. Dabei ist Fremdenfeindlichkeit seit Langem sichtbar. Die Politik lieferte ihr Vorwände. Sie schuf nicht genügend Unterkünfte. Sie unterließ es auch, die Verwaltungswege zu vereinfachen. Viele Flüchtlinge sind doppelt traumatisiert: von der Gewalt in ihrer Heimat und vom deutschen Verwaltungslabyrinth. Die Verfahren stauen sich. Zuwanderer werden unzureichend beraten. Ohne die vielen ehrenamtlichen Betreuer wäre die Lage noch schlimmer. Auch sie sind oft ratlos. Ratsmitglieder, Landtags- und Bundestagsabgeordnete, auch Ortsverbandsvorstände sollten ab und an Flüchtlinge als Lotsen begleiten, um aus erster Hand die Beschwernisse zu erleben. Vielleicht fiele es den Parteien dann leichter, die Verfahren so zu gestalten, dass sich Zuwanderer leichter integrieren können. Solange die Dinge bleiben, wie sie sind, ist der Hinweis, Deutschland brauche dringend Zuwanderer, nichts anderes als eine Parole. – Ulrich Horn

5 Comments

  1. Deutschland frühzeitig zum Einwanderungsland zu erklären, hätte auch bedeutet, die sich bildenden Parallelwelten der Zuwanderer zu begrenzen; es hätte bedeutet, dass Einwanderer bei Beibehaltung ihrer eigenen Kultur doch das deutsche Grundgesetz hätten beachten müssen, dass man sie hätte verpflichten können, Deutsch zu lernen, dass es wenig Konflikte der islamischen Religion, die doch in Teilen sehr fundamentalistisch geprägt ist, gegeben hätte. Ein Problem, das bis heute existiert und das jeder Lehrer kennt, ist die spezielle Sozialisation muslimischer Jungen, die sich nicht gerne unterordnen, besonders nicht unter Frauen, sprich Lehrerinnen. Das hat mit Pegida natürlich nichts zu tun, ist aber eine Erfahrung, die jeder schon mal gemacht hat.

  2. Martin Böttger Reply

    Lieber Herr Horn, das hätte ich aus meiner kommunalpolitischen Praxis nicht besser zusammenfassen können. An dr.pingel gerichtet möchte ich ergänzen, dass es auch „uns Biodeutschen“ gutgetan hätte, früher und schneller von den Einwanderern zu lernen. Ich jedenfalls profitiere kolossal in meiner Weltsicht von meinen heutigen FreundInnen türkischer, iranischer, italienischer, somalischer oder togolesischer Herkunft (die Ostdeutschen nicht zu vergessen, die kamen auch aus einer „anderen Kultur“). Und ich wollte es in diesem Land ohne sie kaum aushalten 😉

  3. Manfred Michael Schwirske Reply

    Finanzierung von mehr Verfahrensberatung – ein entscheidender Faktor, weil derzeit serienweise Asylanträge vor die Wand fahren. Wie von Horn dargestellt. Ein sehr guter Bogbeitrag. Der die Ebene der Praxis erreicht.
    Das Problem Verfahrensberatung wird weithin ignoriert. Kommunale Verfahrensberatung ist unterfinanziert, meist gar nicht vorhanden.
    Aus meiner Sicht legte die Süßmuth Kommission seinerzeit die Grundsteine der Einwanderungspolitik falsch. Sie definierte Einwanderung als Einwanderung guter, gebildeter, nützlicher Einwanderer. Seinerzeit verließ ich den Saal, als ich sie erstmals reden hörte, und nahm tosenden Beifall der Hörerschaft noch von draussen wahr. Das bloße Wort „Wir sind ein Einwandererland“ löste Begeisterung aus.
    Jetzt kommen akademisch ausgebildete und nicht ausgebildete Flüchtlinge. Die einen will man, die anderen nicht. Von wegen Willkommenskultur.

  4. Düsseldorfer Reply

    Wenn die Lage so ist, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und bleiben will oder muss, so heißt das, dass – wie Herr Schirske schon sagte – einiges verbessert werden muss, damit die Arbeit der Integration besser läuft. Das betrifft einerseits die Finanzierung der Kommunen und ihrer Akteure, die die Integration auf örtlicher Ebene leisten, z.B. durch die Organisation von Infrastrukturen, Zuwendungen, Aufsicht und Interventionen. Das betrifft aber auch die Einwanderer selbst, insbesondere ihre Kinder, denen bessere und umfangreichere Angebote zur Alltagsbewältigung, zum Einleben und zur Integration gemacht werden müssen und die durch die Menschen ihrer Umgebung eine menschliche Auf- und Annahme erfahren müssen. Auch die Menschen, die die positive Auf- und Annahme leisten sollen, müssen „vorbereitet“ werden auf die wohl unvermeidliche Situation einer Einwanderungsgesellschaft. Diese Vorbereitung der Bevölkerung auf eine neue Wirklichkeit hat die Politik nicht geleistet, sondern großenteils genau das Gegenteil: Es wurden politische Beruhigungstabletten verabreicht, wie das immer so ist, wenn bequeme Politiker es sich einfach machen und ihre Wiederwahl nicht gefährden möchten, oder es wurden populistische Süppchen gekocht, wie das immer so ist, wenn charakterschwache und schlechte Politiker sich durch Emotionalisierung der Menschen Wahlchancen versprechen.

    Die heutige Priorität sehe ich – nach einer entsprechenden Finanzierung der Akteure und Strukturen der Integrationsarbeit – darin, die Einwanderer, Asylanten und Flüchtlinge in allen Wohnvierteln unterzubringen (eher nicht in die städtebaulich schlecht integrierten Randlagen und erst recht nicht auf Grundstücken im Außenbereich), ihnen Sprach- und Integrationskurse anzubieten, ihre Kinder in „normalen“ Kindergärten und Schulen mit Sprache, Werten und Kultur vertraut zu machen. Wer schauen will, wie Integration funktioniert, braucht sich nur die Kleinsten im Kindergarten anzuschauen, die von Natur aus unvoreingenommen aufeinander zugehen und miteinander spielen.

  5. Danke für den wieder einmal auf den Punkt genauen Blog-Beitrag von Uli Horn, und danke auch für die bisherigen Kommentare dazu. Könnte ich so treffend schreiben, hätte ich nicht anders formuliert.

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