Lange surfte Hannelore Kraft auf einer Woge von Wohlwollen. Doch die unbeschwerten Zeiten sind dahin. Heute steckt Kraft bis zum Hals in Problemen. Nicht äußere Umstände setzen ihr zu. Es sind eigene Versäumnisse und Fehler, die sie einholen. Im Bund isoliert, in der NRW-SPD offen kritisiert, rührt sich nun auch Unmut in der Landtagsfraktion. Deren finanzpolitischer Sprecher Börschel legt sein Fraktionsamt nieder.

Den Eklat gesucht

Zwei Anlässe sind erkennbar: Börschel lehnt die Erhöhung der Grunderwerbssteuer ab, die 400 Millionen Euro in die Landeskasse spülen soll. Außerdem fühlt er sich übergangen. Die Koalitionsspitzen beschlossen die Steuererhöhung im kleinen Kreis, ohne ihn und andere Fachleute der Fraktion einzubinden.

Börschel gilt als SPD-Kandidat für die Wahl des Kölner Oberbürgermeisters 2015. Auch Finanzminister Walter-Borjans wurden Ambitionen nachgesagt. Im Spätsommer zeichnete sich jedoch ab, dass er Finanzminister bleiben würde, obwohl er mit seiner Haushaltspolitik Schiffbruch erlitt.

Mit der Kritik an der Steuererhöhung profiliert sich Börschel als Mann, der bürgerliche und wirtschaftliche Belange im Blick hat. Dieses Profil könnte ihm bei der OB-Wahl helfen. Seine Kandidatur wird er wohl Anfang 2015 bekannt geben. Bei dieser Gelegenheit hätte er sein Sprecheramt ohne Aufsehen niederlegen können. Er wollte es anders. Er suchte den Eklat.

Wie eine Ladung Schrot

Dabei macht er alte Spannungen in der NRW-SPD sichtbar. Börschel stammt aus dem Parteibezirk Mittelrhein. Stefan Zimkeit, sein Nachfolger als finanzpolitischer Sprecher, kommt aus dem Bezirk Niederrhein. Die SPD Mittelrhein hat es nie geschafft, sich gegen die Dominanz des Niederrheins und des Bezirks Westliches Westfalen zu behaupten.

Es reichte stets nur dazu, quer zu schießen und Demontagen zu beschleunigen. Auch Börschels Verzicht wirkt wie eine Ladung Schrot. Sie trifft den Finanzminister, SPD-Fraktionschef Römer und die Regierungschefin.

Dass Börschel die Haushaltspolitik der Regierung missfällt, ist kein Geheimnis. Er hält es für falsch, die Grunderwerbssteuer zu erhöhen. Die Bemühung des Finanzministers, die Ausgaben einzudämmen, betrachtet er als unzureichend.

Spannungen verstärkt

Unzufrieden ist er auch mit dem Führungsstil von Fraktionschef Römer. In der Fraktion wird kritisiert, Römer binde die Abgeordneten nicht ausreichend ein. Sie würden oft vor vollendete Tatsachen gestellt und könnten Beschlüsse dann nur noch abnicken.

Börschels Verzicht auf das Sprecheramt ist auch ein Affront gegen Kraft. Ihre Umgangsformen stoßen bei Abgeordneten zunehmend auf Unmut. Kraft neige dazu, Einwände unwirsch abzuweisen und Abgeordnete abzubürsten. Inzwischen ist in der Fraktion sogar von schwindendem Vertrauen die Rede.

Auf den ersten Blick wirkt Börschels Aktion wie eine Reaktion auf angespannte Verhältnisse. Auf den zweiten Blick trägt sie dazu bei, die Zustände in Fraktion und Regierung zuzuspitzen, die Spannungen zu verstärken, die Fraktionsführung und die Regierungsspitze herauszufordern und sie in Frage zu stellen.

Unzufriedenheit wächst

Der Verfall der Autorität an der Spitze der NRW-SPD ist seit Langem im Gange. Schaut Kraft auf ihre viereinhalbjährige Amtszeit zurück, muss ihr mulmig werden. Anfangs wurde sie von den Medien und von ihrer Partei als Hoffnungsträgerin hochgejubelt. Heute thematisieren sie ihre Defizite und Fehler.

Kraft beteuert häufig, sie sei sich treu geblieben. Dennoch vollzieht sich seit Monaten ein rasanter Imagebruch. Zu Beginn ihrer Amtszeit verdrängte sie politische Defizite, indem sie ihre persönlichen Befindlichkeiten zum Thema machte. Sie nahm an TV-Shows teil und ließ sich wie ein Filmsternchen vermarkten. Ein Höhepunkt: Ihr Hochzeitsfoto aus Namibia mit wehendem Schleier – NRW-Politik zum Show-Geschäft verkümmert.

Die Wirklichkeit holte Kraft ein, als sie in Berlin über die Große Koalition verhandelte. Plötzlich fiel Beobachtern auf, dass sie für NRW kaum etwas erreicht hatte. In der NRW-SPD wuchs Unzufriedenheit. Kraft schürte sie, als sie SPD-Spitzenpolitiker Intriganten schalt und über den Ausstieg aus der Politik schwadronierte. Von da an kam es knüppeldick. SPD-Kommunalpolitiker forderten sie auf, endlich die Interessen der Kommunen in Berlin zu vertreten. Das Verfassungsgericht stoppte die Gehaltskürzung für Beamte.

Die Talfahrt stoppen

Schon in Krafts erstem Regierungsjahr war klar, dass die rot-grüne Koalition finanziell auf dem letzten Loch pfiff. Nun, vier Jahre später, können selbst SPD-nahe Journalisten nicht mehr über die desaströse Finanzlage hinwegschauen.

Damit nicht genug, verstärkt Kraft noch den Eindruck, NRW liege am Boden. In der Staatskanzlei bewirtete sie Gäste mit Leitungswasser. Über ihren Sommerurlaub in Brandenburg verwickelte sie sich heillos in Widersprüche, die ihre Glaubwürdigkeit beschädigten. Die Medien protokollierten ausführlich. Viele Berichte verbreiteten den Eindruck: Der Lack ist ab. Kraft und ihren Ratgebern ist die Gestaltung des öffentlichen Diskurses entglitten. Er hat sich selbständig gemacht und schickt sich an, sie zu überrollen.

Sie versucht, den Trend zu brechen. Die Schaustellung ihrer Befindlichkeiten scheint passé. Sie befasst sich mit harten Themen. Sie will NRW im Länderfinanzausgleich besser stellen. Auch kündigte sie ein Konzept an, mit dem sie den Rest der Legislaturperiode gestalten will. Wird es die Talfahrt stoppen? – Ulrich Horn


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6 Comments

  1. Ach Herr Horn, Sie finden wohl immer viele Haare in der Suppe, wenn’s um Frau Kraft geht? Das Hochzeitsbild in Namibia, Sie wissen doch am besten, dass die Leute so etwas gerne lesen oder im FS sehen. Warum sind Sie denn deshalb so bissig? Wenn Frau Merkel medienwirksam in ihrer Kaufhalle selbst einkauft und dabei suggeriert, sie mache neben der Kanzlerinnenarbeit auch noch den Haushalt ohne fleißige, fremde Helfer, da tun bestimmte Kreise so, als sei das volksnah und sooo natürlich.
    Dass die FS-Zuschauer mit solchen Medienenten nur dreist verarscht werden, darüber traut sich niemand zu schreiben.
    Übrigens, über das Leitungswasser für Kraft’s Gäste haben Sie nun schon das fünfte Mal geschrieben, lieber Herr Horn.
    Ihnen wird doch nicht etwa die Munition gegen Kraft langsam ausgehen, wenn Sie die alten Sachen so oft wiederholen?

    • Mein lieber Christoph, auch wenn Ihnen das nicht gefällt: Die dämliche Schote mit dem Leitungswasser Marke „Verarschung pur“ werden Sie in vielen Zeitungen noch oft lesen müssen – bis zur nächsten Landtagswahl. Ich jedenfalls fand die Geschichte über den Rücktritt von Herrn Börschel recht aktuell und spannend. Ich verstehe sehr gut, dass es einem Anhänger der jetzigen Ministerpräsidentin nicht gefällt, wenn deren auf Medieneffekte zielende Aktionen durch den Kakao gezogen werden. Deren Kritikern wird die Munition erst ausgehen, wenn die auf den Boulevard ausgerichteten Show-Aktionen von Frau Kraft nicht immer neues Futter liefern.

      • @beob8ter, nett von Ihnen, dass Sie mich so freundlich ansprechen. Vielleicht ist es Ihnen entgangen, dass ich gar nichts über den Rücktritt des finanzpolitischen Fraktionssprechers geschrieben habe, auch nicht, ob das aktuell ist oder nicht. Wenn Sie es sogar spannend finden, wenn ein zweifellos wichtiger Sprecher der Fraktion zurücktritt, dann nehme ich das als Ihre Meinung selbstverständlich zur Kenntnis. Ich hatte allerdings gehofft, dass ich von einem so ausgewiesenem Qualitätsjournalisten wie Ulrich Horn auch mal noch etwas Interessanteres über NRW erfahren könnte als nur den dauernden Politknatsch über die böse Hannelore.
        Die gesamte hohe Politprominenz in NRW von allen Parteien hat schon so viel Stories losgelassen, dass man ganze Bücher darüber schreiben könnte. Als Sachse interessiere ich mich für NRW vor allem, weil man vielleicht dort studieren könnte, wie ein Land den Verlust an ganzen Industriezweigen verkraftet, und zwar mit oder ohne Frau Kraft.

        • Einverstanden, ich kann Ihre Haltung verstehen und auch nachvollziehen. Zum Glück aber begleitet uns „dauernder Politknatsch“ über jeweils Regierende, seit es eine freie Presse gibt. Soweit Sie jedoch rügen, dass ein Medium ausschließlich in eine Richtung „giftet“ und andererseits wichtige berichtenswerte Themen auslässt, dann empfinde ich das als eine angemessene Kritik. Aber ist das hier wirklich so? Zu bedenken ist meiner Meinung nach, dass ein Ein-Mann-Unternehmen gewiss nur einzelne Facetten einer umfassenden Wirklichkeit ausleuchten kann. Der Horn-Blog kann nun mal keine Rheinische Post sein… Grundsätzlich aber bin ich mit Ihrer Kritik einverstanden.

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