Die „gleiche Augenhöhe“ ist zum Kampfbegriff geworden. Es sind stets Schwache, die sie einfordern. Sie geben damit zu erkennen, dass es bei ihnen nicht reicht. Der Große soll sich kleiner machen oder zum Ausgleich der Höhendifferenz einen Hocker liefern, so wie die Union der SPD bei den Verhandlungen zur Großen Koalition.

Realismus der Bürger

Merkel erfüllte den Wunsch der SPD und schob Gabriel den Hocker zu. Sie weiß: 25,7 Prozent bleiben 25.7 Prozent, selbst wenn sie auf einem Hocker stehen.

Die Bürger, die Politik aus der Ferne wahrnehmen, wissen das ebenfalls. Sie bestätigen es bei jeder Umfrage. Die SPD reicht nicht an die 30 Prozent, auch wenn sie sich noch so sehr reckt und streckt.

Auch professionelle Beobachter reagieren skeptisch auf den Eifer, mit dem sich die SPD in das Regierungsgeschäft stürzt. Ihr Fleiß wird zwar registriert, gleichzeitig wird jedoch wahrgenommen, dass die Partei in den Umfragen auf der Stelle tritt. Klappern gehört auch bei der SPD zum Handwerk. Genutzt hat es der Partei bisher nicht.

Von den USA abhängig

Inzwischen nutzen auch politische Beobachter und Berater die Formel „gleiche Augenhöhe“. Sie wenden sie auf Merkel an. Die Formel dient dazu, der CDU-Chefin und Kanzlerin das politische Ende vorherzusagen. Es wird ihr seit vielen Jahren prophezeit.

Dass ihre Vorhersagen nicht eingetroffen sind, beeindruckt die Propheten nicht. Sie erklären Merkel nun zum Auslaufmodell, weil die USA Deutschland nicht auf gleicher Augenhöhe behandeln – eine Missachtung, die Merkel Sympathie und Ansehen kosten und ihren Sturz einleiten werde.

Ist Merkel für Obama, was Gabriel für Merkel ist? Steht sie auf einem Hocker, wenn sie mit Obama redet? Mag sein, dass Merkel zu einflussreich geworden ist und die USA deshalb ihren Sturz betreiben. Doch teilt die Mehrheit der Bundesbürger diese Sicht? Vermutlich nicht. Der Mehrheit scheint bewusst, dass die Bundesrepublik stets von den USA abhängig war und noch nie mit ihr auf gleicher Augenhöhe stand.

Ausdruck von Unterlegenheit

Die USA waren Schutzmacht im Kalten Krieg. Nicht Augenhöhe, sondern Sicherheit wünschten die Bundesbürger, und dass die USA ihre Interessen wahrnähmen. US-kritisch zeigten sich vorwiegend linke Kräfte. Sie blieben in der Minderheit.

Dass die USA ihre technologische Dominanz nun auch in Deutschland nutzen und hier spionieren, ohne dass es die Bundesregierung ändern kann, schadet derzeit weniger Merkel als den USA. Sie verlieren in Deutschland Vertrauen. Es scheint so, als seien Obama die Geheimdienste entglitten. Nicht er führt sie. Sie führen ihn.

Sanktionen gegen die USA, die NSA und die CIA, wie sie Politiker und Kommentatoren fordern, entspringen dem Wunsch nach gleicher Augenhöhe. Er ist hilfloser Ausdruck von Abhängigkeit und Unterlegenheit. Daher wird er unerfüllt bleiben.

Vorrang für Grundrechte

Geheimdienste lassen sich nur einschränken, wenn der Schaden, den sie anrichten, ihren Nutzen übersteigt. Die US-Regierung wird erst einschreiten, wenn die überwachten Bürger der USA darauf bestehen, dass ihre Regierung die Grundrechte im In- und Ausland einhält.

In der jüngeren Vergangenheit haben sie mehrfach solche Erfolge erzielt. Eindrucksvoll wirksam waren die Proteste gegen den Vietnam-Krieg. Sie erzwangen dessen Ende.

Im Kalten Krieg trieb der republikanische Senator McCarthy die Gesinnungsschnüffelei auf die Spitze. Er verlor seinen Einfluss, als US-Bürger den Grundrechten Geltung und Vorrang verschafften. Die Bürger hatten sich besonnen, dass vor den Grundrechten jeder Mensch auf gleicher Augenhöhe steht. – Ulrich Horn


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1 Comment

  1. Lieber Herr Horn,
    Ihr Vergleich mit dem Hocker für Gabriel bei den Koalitionsverhandlungen zur Großen Koalition ist für einen Karikaturisten eine schöne Anregung, doch dass Gabriel überhaupt einen Hocker braucht, liegt doch an der Tatsache, dass er sich und die SPD selbst „amputiert“ und „verkrüppelt“ hat.
    Man muss es immer wieder in Erinnerung bringen: Schröders Agenda 2010, mit all ihren negativen Folgen für den Normalbürger und die Steuergeschenke für Superreiche haben dem Glauben an die SPD schwer geschadet. Solange die SPD diese Agenda immer noch verteidigt, solange wird man sie als „Wurmfortsatz“ der CDU identifizieren und als überflüssig beurteilen.
    Wie die führenden SPD-Koalitionäre ihre Wähler und Mitglieder weiter hinters Licht führen und für dumm verkaufen, sieht man, unter anderem, an den Pseudo-Mindestlohngesetzen, den Waffengeschäften ihres Vorsitzenden und der bedingungslosen Zustimmung zur Austeriätspolitik der Kanzlerin.

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