(uh) Seit drei Jahren amtiert Hannelore Kraft als Ministerpräsidentin in NRW. Sie ist nach wie vor beliebt. Doch zunehmend wird deutlich: Regieren fällt ihr schwer. Obwohl sie sich mit der rot-grünen Koalition seit 2012 auf eine klare Mehrheit stützen kann, gelingt es ihr nicht, Politik aus einem Guss zu machen. Die Probleme des Landes wachsen, und auch sie selbst sorgt für Irritationen.

Den Ruf ruiniert

Wo viele ihre Stärken vermuten, zeigt sie plötzlich Schwächen. Regierungschefs müssen die Richtung weisen, Konflikte moderieren, Gegensätze ausgleichen. Kraft müsste kommunizieren. Das gelingt ihr jedoch nicht.

Sie gilt zwar als leutselig. Doch im Regierungsbetrieb wirkt sie unzugänglich. Ein Defizit, das sich  ausgerechnet beim öffentlichen Dienst offenbart, den jede Regierung braucht, will sie erfolgreich sein. Er kann Regierungen stärken. In NRW ist er dabei, die Regierung zu schwächen.

Das Problem hat Kraft verursacht. Sie versagt einem Teil der Bediensteten entgegen früheren Zusagen die Tariferhöhung und unterließ es, die Gewerkschaften vorzubereiten. Bis ins letzte Rathaus hinab wird sie seither als Lügnerin beschimpft. In den Behörden ist ihr Ruf ruiniert.

Keine Lösung in Sicht

Dass es ihr schwer fällt, Auseinanderstrebendes zu vereinen, zeigt sich auch andernorts. Das Ruhrgebiet wünscht mehr Kompetenzen. In anderen Landesteilen formiert sich Widerstand. Es ist nicht zu erkennen, wie Kraft den Konflikt lösen will.

Hilflos wirkt sie vor den Finanzproblemen der Städte. Viele sind am Ende. Die Infrastruktur verrottet, Stadtviertel veröden. Das Notprogramm des Landes gilt als unzureichend. Fehlerhafte Umsetzung sorgt zusätzlich für Ärger.

Der Finanzausgleich zwischen Stadt und Land entpuppt sich als ungerecht. Das Ruhrgebiet werde zu Lasten anderer Regionen bevorzugt, stellt ein Gutachten der Regierung fest. Andere Regionen verlangen Reformen. Kraft lässt abwiegeln. Sie handelt sich den Vorwurf ein, die SPD-geführten Revierstädte zu bevorzugen.

Auch die Wirtschaft vermisst die ordnende Hand, klagt über Bürokratisierung, fehlende Ressortabstimmung, unklare Zuständigkeiten. Bei Opel geriet Krafts Krisenmanagement aus den Fugen. Sie machte sich zur Koordinatorin der Opel-Länder und wird nun für das Aus des Bochumer Standortes verantwortlich gemacht.

Die Probleme verschärft

Dass sich in NRW wenig bewegt, rührt auch daher, dass Kraft NRW zum Aufmarsch-Feld für den Bundestagswahlkampf machte. Der Wahlkampf blockiert das große Land stärker als kleinere Länder. Kraft vergrößerte das Problem, als sie sich zur Sprecherin der SPD-geführten Länder aufschwang und den Wahlkampf verschärfte.

Unter diesen Bedingungen fällt es schwer, Probleme anzupacken, die Einvernehmen mit der Bundesregierung erfordern. Das trifft vor allem die Verkehrspolitik. In NRW sind Straßen, Schienen und Brücken in schlechtem Zustand. Um mehr Mittel zu mobilisieren, wäre Parteien übergreifendes Handeln erforderlich. Das bringt Kraft nicht zustande.

Für Sozialpolitik, wie sie ihr vorschwebt, fehlt das Geld. Viele Grundschüler sitzen hungrig im Unterricht. Viele können ihm nicht folgen, weil sie kaum Deutsch verstehen. Ob NRW genügend Kita-Plätze hat, um Familien das Leben und Arbeiten zu erleichtern, ist ungewiss.

Um neue Ausrichtung bemüht

Während ihrer zweijährigen Minderheitsregierung unterließ Kraft alles, was die labile Koalition gefährdet hätte. Sie propagierte Politik auf Pump und ließ sich sogar vor dem Verfassungsgericht verklagen. Der öffentliche Dienst konnte sie als Verbündete betrachten.

Sie mied jeden Konflikt mit gesellschaftlichen Gruppen. Sie schaffte die Studiengebühren ab und stellte das dritte Kindergartenjahr beitragsfrei, teure Wohltaten, für die das hoch verschuldete Land Kredite aufnehmen muss. Das diente auch dem Zweck, die Ausgangslage der Koalition bei der Neuwahl 2012 zu verbessern. Der teure Schachzug gelang. Rot-Grün gewann die Wahl.

Seither hat Kraft eine klare Mehrheit. Nun muss sie regieren – die Neuverschuldung bis 2020 abbauen, gleichzeitig Handlungsspielräume schaffen und Entwicklungschancen eröffnen. Ohne Einschnitte beim Personal geht das nicht. Krafts Tarifkürzung markiert einen Kurswechsel. Die Ministerpräsidentin scheint bemüht, ihre Politik neu auszurichten.

Die eigenen Wähler im Blick

Offenbar sollen die Belange der Wirtschaft stärker in den Vordergrund rücken. Kraft berief Garrelt Duin zum Wirtschaftsminister, einen SPD-Rechten mit engem Kontakt zur IG BCE. Er soll sich um die Energie- und Chemieindustrie kümmern. Bau- und Verkehrsminister Groschek soll die marode Infrastruktur modernisieren, deren Defizite längst die Wirtschaft des Landes bremsen.

Kraft hält das umstrittene Fracking hoch, indem sie es zum Thema einer Auslandsreise machte. Sie befürwortet Kohlekraftwerke und betont, die Industrie bleibe die Basis des Landes. Der geplante Fernwärme-Verbund könnte diese Behauptung belegen.

Bisher ließ sich Kraft von Verdi & Co tragen. Nun lehnt sie sich bei IG BCE & Co an. Der Richtungswechsel ist riskant. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes drohen, der SPD die Unterstützung zu entziehen. Trösten kann sich Kraft damit, dass eine Mehrheit der Bürger die Kürzungen für angebracht hält.

Kein Konzept erkennbar

Der Kurswechsel erhöht die Reibung zu den Grünen, die im Kampf gegen den Bergbau und die Chemieindustrie aufwuchsen. Das Verhältnis der Koalitionspartner hat sich längst eingetrübt. Sie thematisieren ihre wirtschaftspolitischen Differenzen und grenzen sich gegeneinander ab. So etwas geht häufig zu Lasten des großen Partners.

Weil Kraft ihren Kurs nicht vermittelt, wirkt ihre Tarifkürzung lediglich als Einzelaktion, nicht als planvoll gesetzter Baustein eines Konzepts. Es scheint, als wolle sie eine Diskussion über ihren Kurswechsel vermeiden, um dem Vorwurf zu entgehen, sie betreibe die gleiche Austeritätspolitik, die Kanzlerin Merkel in der EU durchsetzt.

Was aus NRW werden soll, ist nach drei Jahren der Regierung Kraft nicht zu erkennen. Immerhin gilt im Land jetzt ein scharfes Rauchverbot in Kneipen und öffentlichen Räumen. Zumindest dort hat sie Spuren hinterlassen.


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4 Comments

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  3. Martin Böttger Reply

    Mir ist jüngst ihr Agieren in der „wdr-story“ über Thyssen-Krupp negativ aufgefallen. Alle Sozialdemokraten glänzten durch konsequente Interview-Verweigerung – im Gegensatz zum Vorstandsvorsitzenden des Konzerns. Das sah nach Geheimbündlerei und schlechtem Gewissen aus, die schlechteste aller PR-Optionen.
    In der Sache zeigte sich, dass ein Großkonzern gigantische Bauprojekte genauso schlecht und noch viel teurer realisiert, als wir es – zu recht empört – von öffentlichen Projekten wahrnehmen.
    Und dass, wie üblich, die Konzern-Dickschiffe sich lobbymässig von der SPD-Landespolitik eskortieren lassen.

    Übrigens: schön, dass Sie Herr Horn wieder da sind!

  4. Die Vergangenheit zeigt leider, dass man mit Aussitzen (Kohl) und taktischem Agieren (Merkel) verdammt lange an der Macht bleiben kann. Und man mit Regieren schnell weg sein kann (Schröder).

    Aus dieser Sicht macht Kraft vielleicht sogar alles richtig …

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