(uh)Hamburg pflegt sein Image als weltoffene Handelsstadt, Frankfurt als Bankenzentrum und Drehscheibe des Luftverkehrs. Das Ruhrgebiet war einst das industrielle Herz Deutschlands. Heute ist es nicht einmal mehr das Zentrum Nordrhein-Westfalens. Diese Rolle hat es den Rhein-Städten ab Düsseldorf flussaufwärts überlassen. Die Revierstädte haben seit langem keine Idee mehr von ihrer Zukunft.

Die Perspektive bleibt geheim

Bochum war einmal Bergbaustadt. Heute ist es Universitätsstadt. Doch das Bild, das die Stadt der Öffentlichkeit vermittelt, ist geprägt von Opel und seinem jahrelangen Siechtum. Jedes Problem des Unternehmens wirkt in Bochum wie ein Stromstoß, der bundesweite Aufmerksamkeit findet. In Bochum wissen alle, dass irgendwann das Ende droht. Doch was geschehen soll, wenn Opel für immer die Tore schließt, wird in der Stadt nicht diskutiert.

Bochums Lokalpolitik versagt es sich, darüber nachzudenken, wie es mit der Stadt ohne Opel weiter gehen soll, aus Pietät gegenüber dem kranken Unternehmen und seiner Belegschaft. Dabei wäre es gerade im Interesse der Opelaner dringend nötig, sich rechtzeitig über neue Perspektiven zu verständigen, damit sie zur Verfügung stehen, wenn Opel dicht macht.

Bochum ist kein Einzelfall. Wo Herne oder Recklinghausen, Oberhausen oder Bottrop, Gelsenkirchen oder Duisburg ihre Zukunft sehen, bleibt das Geheimnis ihrer Politiker. Sollten sie eine Vorstellung davon haben, wie ihre Städte und die Region in 30 Jahren aussehen sollen, teilt sich das ihren eigenen Bürgern nicht mit, geschweige den Menschen in anderen Bundesländern.

Die Not macht ängstlich

Wie und womit wollen die Städte im Ruhrgebiet jemanden aus Baden-Württemberg oder Bayern bewegen, ins Ruhrgebiet zu ziehen und dort eine Familie zu gründen? Die Löhne sind niedriger als im Süden. Die öffentlichen Einrichtungen sind marode. Es fehlt an Betreuungsplätzen. Die Städte sind tief verschuldet. Auf die rapide Alterung der Bevölkerung sind sie nicht vorbereitet. Den Bedarf an qualifiziertem Nachwuchs können sie kaum noch befriedigen. Ihr Image ist katastrophal.

Unablässig liefern sie schlechte Nachrichten. Dortmund macht Schlagzeilen als Heimat des Fußballmeisters, aber auch als Hochburg der Neonazis. Duisburg ist zum Magneten für unqualifizierte Armutsflüchtlinge aus Bulgarien und Rumänien geworden. Die Stadt gilt als schlecht verwaltet und gut verfilzt. Die kleinen Städte in den Ruhrgebietskreisen haben den Ruf, langweilig und verschlafen zu sein. Obendrein sind sie schlecht an die Großstädte angebunden.

Die hohe Verschuldung legt die Revierstädte lahm. Sie können ihre Standards nicht mehr halten und sind gezwungen, ihre Leistungen einzuschränken und zu verteuern. Eine die Städte und Parteien übergreifende Verständigung darüber, was sich die Revierstädte noch leisten können und was nicht, findet nicht statt. In der Not drängen sich die Städte ängstlich um ihre eigenen Kirchtürme. Jede Stadt werkelt mehr oder weniger allein vor sich hin.

Die Diskussion wird gemieden

Obwohl die Not groß ist, sind die Parteien im Ruhrgebiet nicht in der Lage, sich auf eine Perspektive für die Städte und die Region zu verständigen. Das aber wäre notwendig, um die Belange des Ruhrgebiets gegenüber den anderen NRW-Regionen, der Landes- und der Bundesregierung gemeinsam kraftvoll zur Geltung zu bringen.

Sobald die Parteien die Perspektiven der Städte thematisieren, wird es Diskussionen geben. Vor ihnen schrecken beiden Volksparteien zurück. Sie fürchten, die Debatte könnte ihrer Steuerung entgleiten und dann jede Menge Mandate, Posten und persönliche Perspektiven kosten. Ein Risiko, dem sie konsequent ausweichen, auch um den Preis, dass es im Ruhrgebiet weiter bergab geht.

Das Ruhrgebiet entwickelte sich in wenigen Jahrzehnten von Dörfern und Kleinstädten zur größten Städtelandschaft Deutschlands. So schnell, wie dieses Gebilde entstand, so rasch kann es wieder verschwinden. Vielleicht ist schon in 50 Jahren nicht mehr viel von ihm übrig.

Dann wird man in Düsseldorf und Köln Tagestouren auf der Route der Industriekultur organisieren, um die Relikte des Ruhrgebiets zu bestaunen – so wie heute Reisegruppen nach Pompeji oder zum Kolosseum fahren, um die Hinterlassenschaften der alten Römer zu bewundern.

7 Comments

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  4. Walter Stach Reply

    Präzise Beschreibung desse was ist!
    Prozess, der zu Problemlösungen führen kann ?

    Dazu gibt es unzählige Ideen,Anregungen,Vorschläge -stadtspezifisch und / oder ruhrgebietsweit.

    Kann „man“ nicht oder will „man“ nicht endlich mit einem solchen umfassenden, komplexen, aufwendigen, anstrengenden Prozess beginnen?
    (Zumindest gibt es in einigen Städten erste Versuche, so etwas wie einen strategischen Zielfindungs-/Umsetzungsprozess zu führen.)

    „Man“ kann nicht, „man“ will nicht?

    Mit „man“ meine ich nicht nur die örtlichen Parteien,Fraktionen,(Ober-)bürgermeister, die Räte,Ausschüsse, die Stadtverwaltung in ihrer Gesamtheit, die Akteure des RVR, die Landesregierung, den Landtag, sondern ebenso gleichwertig/gleichberechtigt die kommunale.Zivilgesellschaft, die Bürgegesellschaft, mit ihren Vereinen,Verbänden,Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften,mit IHK, Handwerkskammer,Banken,Sparkassen usw. und mit allen Bürgern, die sich einzeln engagieren wollen und engagieren können -bekanntlich ist die Ressource „Wissen und Verstand“ in der Bürgerschaft eine sehr ergiebige,aber bisher weitgehend durch die Organe der „verfaßten“ Kommune nicht genutzte.

  5. Johannes Fischer Reply

    Vor gut einer Woche ist Oliver Wittke im Amt des Vorsitzenden der Ruhr-CDU wiedergewählt worden. In diesem Zusammenhang warb er dafür, die Rolle des RVR zu stärken. So ziemlich zeitgleich wurde Frank Baranowski als erster Sprecher der Ruhr-SPD bestätigt. Auch sein Credo: Der RVR muss gestärkt werden. Schön, möchte man als Bürger da denken, da sind sich die Führer der beiden größten politischen Gruppen im Ruhrgebiet ja einig und es könnte sich in Zukunft etwas ändern. Wenn die Sache nicht einen Haken hätte: Der Appell, den RVR mit mehr Macht auszustatten ist nicht neu. Er wird immer dann herausgekramt, wenn es darum geht, in einem übrerregionalen Parteiamt bestätigt oder gewählt zu werden. Als Provinzpolitiker macht es nun mal einen schlanken Fuss, hin und von der großen Metropole zu träumen. Im Endeffekt geht es aber auch dabei nur um das Positionieren der eigenen Parteifreunde in städteübergreifende Stellen.

    Vielleicht sollte man das Ruhrgebiet einfach sich selbst überlassen. Genauso schnell wie es gewachsen ist, wird es auch wieder schrumpfen. Der Mensch hat die Angewohnheit dahin zu gehen, wo er Arbeit und einen Lebensinhalt findet, wenn nicht hier, dann halt woanders.

  6. Kohleromantik vs. Rostrealität.

    Ein doch recht pessimistische Sicht von Herrn Horn.
    der POTTCast widmete sich am Sonntag sehr ähnlichem.
    Kam aber zu einem etwas optimistischeren Fazit.
    „…denn es ist noch starker Stahl unter der Rostschicht…”

    Nennt es Naiv, aber so ganz ist die Hoffnung in die Kreativität von 6 Millionen Menschen noch nicht erloschen.

  7. Das Problem ist nicht nur der Strukturwandel und Politiker, die kleine Brötchen backen. Das Problem ist auch die Bevölkerung, die sich in ihrer Provinzialität eingerichtet hat, und Anstrengungen, etwas am Image der Städte ändert, mit aller Gewalt torpediert, weil so’n Killefit kein echter Malocher braucht. Siehe Konzerthaus in Bochum. Es ist ein bisschen wie der Fuchs mit den Trauben: Man hat resigniert. Man muss insgeheim zugeben, dass man gegen die echten Großstädte in Deutschland nicht anstinken kann, und redet sich ein, dass man ganz bewusst eine solche Stadt ja auch gar nicht sein will. Ein Teufelskreis, den zu durchbrechen sich lohnen würde. Denn die Region hat – trotz ihrer Multizentrizität – enorm viel ungenutztes Potential.

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