(uh) Schulpolitik ist Sache der Länder. Sie ist eine ihrer wichtigsten Aufgaben. Aus ihr beziehen die Parteien in den Bundesländern einen großen Teil ihrer Identität. Bisher fochten sie beim Thema Schule gern ihre Gegensätze aus, sehr zum Leidwesen vieler Eltern. Die grüne NRW-Schulministerin Löhrmann will solche Konflikte künftig vermeiden. Sie versucht, einen Schulfrieden zustande zu bringen. Er würde CDU und Grüne einander näher bringen.

Die rot-grüne Landesregierung will eine neue Schulform einführen, die Gemeinschaftsschule. Löhrmann wollte das besonders geschickt einstielen. Es sollte ohne das parteipolitische Getöse abgehen, das üblicherweise die Schulpolitik begleitet. Doch so sehr sich Löhrmann auch bemüht: Bisher will es nicht so richtig klappen.

Löhrmanns erste schwere Schlappe


Dabei gibt es gute Gründe für die neue Schulform. Mit ihr reagiert die Regierung auf sinkende Schülerzahlen, die in vielen Gemeinden den Schulbetrieb gefährden. Vor allem viele Hauptschulen stehen vor dem Aus. Die neue Gemeinschaftsschule soll es den Gemeinden ermöglichen, schrumpfende Schularten unter einem Dach zu vereinen, um ein ortsnahes Schulangebot aufrecht zu erhalten.

Pläne für derart weitgreifende Veränderungen im Schulsystem führten bisher oft zu Schulkriegen. Sie wurden meist über Jahre ausgetragen. Das Geschrei war auf allen Seiten groß, der Geländegewinn blieb für die Parteien meist gering. Sie kosteten vor allem Schüler, Lehrer, Eltern und Großeltern jede Menge Nerven.

Damit die NRW-Schulpolitiker gar nicht erst auf die Idee kommen, Schützengräben auszuheben, wollte Löhrmann die Gemeinschaftsschule sanft einführen, quasi durch die Hintertür, ohne Beteiligung des Landtags, als Schulversuch auf freiwilliger Basis. Das aber ging gründlich schief. Gerichte schrieben der Landesregierung vor, die Gemeinschaftsschule benötige eine gesetzliche Grundlage.

Die Urteile erwischen Löhrmann kalt.  Seither muss sie mit ihrer ersten schweren Schlappe fertig werden. Sie braucht jetzt dringend ein neues Schulgesetz, wenn sie die Gemeinschaftsschule etablieren will. Die Ministerin sucht für dieses Gesetz das Einvernehmen aller Landtagsparteien. Doch nun legt sich die NRW-CDU quer.

Warten auf den Gesprächstermin


Dabei hatte die größte Oppositionspartei frühzeitig signalisiert, dass ihr an Grabenkämpfen nicht gelegen sei. Sie bot an, die Gemeinschaftsschule zu akzeptieren und die Absicherung der Hauptschule in der Verfassung zu streichen.  Als Gegenleistung forderte sie, das Gymnasium und die Realschule in der Verfassung abzusichern.  Schon vor Wochen schrieb Landeschef Röttgen einen Brief an SPD-Ministerpräsidentin Kraft. Er bat die Regierungschefin um ein Gespräch. Er wollte sich mit Kraft über einen dauerhaften Schulfrieden arrangieren.

Obwohl die Landesregierung bei jeder Gelegenheit betont, wie sehr ihr an einem solchen Frieden gelegen sei: Das Gespräch zwischen Röttgen und Kraft kam bisher nicht zustande. Der Regierungssprecher erklärte zwar, dass auch Kraft am Gespräch mit Röttgen gelegen sei. Einen Termin nannte er bisher jedoch nicht. Auf Röttgens Brief blieb Kraft eine Antwort schuldig.

Warum reagierte sie nicht? Wir können es nur vermuten. Denkbar ist, dass sie mit Röttgen gar nicht reden will. Wenn es so wäre: Hätte sie ihm das dann nicht mitteilen müssen? Die normalen Umgangsformen legen so etwas nahe. Selbstverständlich kann Kraft sein Gesprächsangebot ausschlagen. Sie sollte es ihm dann aber auch mitteilen.  Ignorieren sollte sie es nicht. Schon gar nicht, wenn die CDU am Schulfrieden beteiligt werden soll. Zumindest Schulministerin Löhrmann schein daran sehr interessiert zu sein.

Warum also blieb Kraft stumm?

Die neue grüne Schulpolitik


Die Schule ist für Politiker ein heikles Thema. Auf kaum einem anderen Gebiet können sie die Bürger so leicht gegen sich aufbringen. Das mussten zuletzt die Grünen in Hamburg erfahren. Sie wollten in der schwarz-grünen Koalition das Schulsystem kräftig umkrempeln. Sie machten die Rechnung ohne die Bürger. Die Hamburger stoppten den Plan der Grünen, die Primarschule einzuführen, mit einem Volksbegehren. Die Missachtung des Bürgerwillen erwies sich für die Grünen als Desaster, das sie teuer zu stehen kam. Bei der Bürgerschaftswahl 2011 konnten sie im Unterschied zum Bundestrend der Partei kaum zulegen und landeten in der Opposition.

Aus dieser Niederlage haben die Grünen Konsequenzen gezogen. Seither hüten sie sich, in der Schulpolitik mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Wo sie mitregieren, bleiben sie moderat. Statt Maximalforderungen zu stellen, versuchen sie, gerade so viel an Reformen zu erreichen, wie dies ohne Konfrontation mit den Bürgern möglich ist. Auch in NRW hat sich die Partei inzwischen das Schlagwort vom Schulfrieden zu Eigen gemacht.

Ihre Energiepolitik haben die Grünen längst mehrheitsfähig gemacht. Nun rücken sie auch mit ihrer Schulpolitik weit in die politische Mitte vor und verbreitern so das Fundament, auf dem ihre glänzenden Umfragewerte fußen. Die Schule war schon immer ein Schwerpunkt grüner Politik, kein Wunder bei einer Partei, die viele Lehrer unter ihren Mitgliedern und Wählern hat. Schulpolitik war bei den Grünen immer auch Sozialpolitik. Das ist einer der Gründe, warum die Schulpolitik bei ihnen so großes Gewicht hat. Sie spielt eine Schlüsselrolle beim Versuch, die Partei noch stärker zu profilieren.

Schwarz und Grün kommen sich näher


Brächte Löhrmann tatsächlich einen Schulfrieden unter Einschluss der CDU zustande, nähme ihr politisches Gewicht  und das der Grünen beträchtlich zu. Es würde ihnen zugeschrieben, das Land in der Schulpolitik befriedet und das Schulsystem in NRW zukunftsfest gemacht zu haben. Ein Erfolg, der den holprigen Start der Gemeinschaftsschule rasch vergessen ließe und den Grünen bei Wahlen sicher zusätzliche Stimmen brächte.

Der Schulfrieden verschöbe auch die Gewichte in der rot-grünen Koalition weiter zu Gunsten der Grünen. Schon heute profitieren sie kräftig von der unübersehbaren Schwäche der SPD-Minister. Gelänge es Röttgen und Löhrmann, sich auf einen Frieden stiftenden Kompromiss in der Schulpolitik zu verständigen, fiele nach der Energiepolitik eine zweite Hürde, die der Annäherung von CDU und Grünen bisher im Wege steht.

Schon zeichnet sich ab, dass demnächst noch eine dritte Hürde zwischen Schwarz und Grün abgeräumt wird. Die NRW-Grünen halten – wie die CDU – Krafts Schuldenpolitik inzwischen für untragbarar und soziale Wohltaten, wie sie die SPD plant und SPD-Familienministerin Schäfer durchsetzen will, für unfinanzierbar. Sie dringen darauf, den nächsten Haushalt durch stärkere Einschnitte verfassungsfest zu machen. Sie berufen sich dabei auf die Auflagen des Verfassungsgerichts, das Krafts Schuldenpolitik im Frühjahr stoppte.

Mit der Forderung nach einer strikten Haushaltspolitik, die vor Kürzungen nicht zurückschreckt, stehen die NRW-Grünen in ihrer Partei nicht allein. Auch die Grünen in anderen Bundesländern wie Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz haben es sich zum Ziel gesetzt, die Haushalte zu sanieren, dort übrigens im Einvernehmen mit ihren Bündnispartnern von der SPD. Der Anspruch, sparsam zu sein und solide zu haushalten, wird den NRW-Grünen weitere Wähler bringen und die Vorbehalte konservativer CDU-Anhänger gegen die Grünen verringern.

Röttgen fühlt sich und die NRW-CDU brüskiert


Es erstaunt daher nicht, wenn Ministerpräsidentin Kraft wenig Neigung verspürt, sich mit Röttgen zu treffen, sich mit ihm über die Schulpolitik zu verständigen und damit die Annäherung zwischen CDU und Grünen zu fördern. Um dem Termin mit Röttgen zu entgehen und gar nicht erst in die unangenehmen Rolle als Entwicklungshelferin oder Hebamme einer schwarz-grünen Annäherung zu geraten, lud Kraft nun gleich alle Landtagsfraktionen zum Runden Tisch über den Schulfrieden ein.

Röttgen und die CDU kommen gar nicht umhin, sich brüskiert zu sehen. Die Ministerpräsidentin verfügt über genügend politische Sensibilität. Ihr war sicher bewusst, dass sie Röttgen gegen den Kopf stieß, als sie alle Fraktionen einlud. Dass Röttgen beleidigt kurzerhand die Teilnahme der CDU absagen würde, war ebenso vorhersehbar.

Seine Begründung belegt, dass Kraft ins Schwarze traf. Die Ministerpräsidentin verweigere das Gespräch, beklagt er. Stattdessen mute sie der CDU ein Gespräch unter Teilnahme der Linken zu, mit der die CDU gar nicht über Schulfragen reden wolle. Unter anderem auch deshalb, weil der Verfassungsschutz die Partei beobachtet. Verärgert über seine Zurückweisung bindet Röttgen die Ministerpräsidentin und die SPD erneut fest an die Linke. Der frühere CDU-Generalsekretär Wüst hätte an dieser Stelle laut „Kraftilanti“ gerufen.

Röttgen nutzt die Gelegenheit zwar, die SPD nach links außen zu drücken und die CDU weiter in der Mitte zu verorten. Er nimmt jedoch in Kauf, dass die NRW-CDU – auch in den Augen vieler ihrer Anhänger – nun isoliert da steht. Das hält auf Dauer vor allem die CDU-Landtagsfraktion nicht aus, die als hasenfüßig gilt und für ihre Druckempfindlichkeit bekannt ist. Irgendwann wird Röttgen den Schmollwinkel verlassen und sich zu Gesprächen bereit finden müssen. Wer  raus geht, muss auch wieder rein kommen. Es sei denn, er verschwindet für immer. Der Mehrheit der Wähler wird Röttgens Absage nicht gefallen. In soweit dürfte Krafts Taktik aufgehen.

Kein Schulfrieden ohne die CDU


Ein neues Schulgesetz kann die rot-grüne Minderheitsregierung auch ohne die CDU durchsetzen. Dazu genügen Stimmen von FDP oder Linken. Doch wer in NRW Schulfrieden stiften will, kommt nicht umhin, sich mit der CDU zu verständigen. Das dürfte allen Beteiligten klar sein. Nur die Linke tut so, als brauche man die CDU nicht, und rät der Koalition damit ab, sich auf die Union einzulassen. Was hätte die Linke wohl gesagt, wenn sich Kraft mit Röttgen getroffen und verständigt hätte?

Bisher war sie nicht bereit, Röttgen und der CDU in der Schulpolitik eine Sonderrolle einzuräumen. Kraft kommt damit den Erwartungen der Linken entgegen. Die Partei, die sich von der CDU immer wieder Extremismus vorhalten lassen muss, dürfte zufrieden sein, dass Kraft die Landtagsfraktionen zum Runden Tisch rief, ohne zuvor mit Röttgen zu gesprochen zu haben. Im Grunde ein politisches Mätzchen, das so wirkt, als sollten Röttgen und die CDU aus der Diskussion um den Schulfrieden ausgegrenzt werden.

In NRW nicht richtig handlungsfähig


Der Linken mag das Manöver, mit dem Kraft den CDU-Chef ausbremste, gefallen haben. Doch bei Schulministerin Löhrmann, die alle Parteien ins Boot holen will, muss Krafts Aktion eher als Provokation angekommen sein. Dass die Ministerpräsidentin den CDU-Landeschef vergrätze,  erschwert der Ministerin das Geschäft, Schulfrieden zu stiften. Das machte Löhrmann auch indirekt deutlich. Sie versuchte, den Schaden zu begrenzen. Sie lud Röttgen zu zweiseitigen Gesprächen ein.

Doch auch dieses Angebot lehnte er ab. Er mochte wohl nicht mit der Kellnerin reden, nachdem die Köchin ihn nicht in die Küche gelassen hatte. Und gewiss wollte er den Konservativen in der Union, die ihn wegen des Atomausstiegs kritisieren und ihm ohnehin vorwerfen, den Grünen hinterher zu laufen, nicht weitere Munition liefern. Doch trotz solch guter Gründe muss man bezweifeln, dass diese erneute Absage klug war. Auch sie dürfte vielen Wählern nicht gefallen haben.

Zudem macht sie deutlich, dass Röttgen auf seine Berliner Interessen Rücksicht nehmen muss. Das ist dumm für den Bundesminister. Mit seinem Versuch, in der NRW-Politik mitzumischen, ist er nicht nur aufgelaufen. Er wird auch als jemand vorgeführt, der in NRW nicht richtig handlungsfähig ist, weil er seinen politischen Schwerpunkt nicht in Düsseldorf hat. Das scheint Röttgen inzwischen aufgegangen zu sein. Die CDU sei gesprächsbereit, doch müsse Landesregierung sicher stellen, dass die Linke an Konsensgesprächen nicht beteiligt werde.

Reformbereite CDU-Bürgermeister


Klar wird aber auch immer mehr, dass die schwache SPD den selbstbewussten Grünen nicht allzu viele Erfolge gönnt, zumal die Grünen in den Umfragen den Abstand zur SPD verringert haben. In jüngster Zeit werden die Gegensätze zwischen beiden Koalitionspartnern immer deutlicher. Beide Seiten sind dazu übergegangen, sich voneinander abzugrenzen. Die SPD bemüht sich, von Krafts Provokation abzulenken, um zu verhindern, dass die Ministerpräsidentin in koalitionsinterne Rempeleien gezogen wird.

Deshalb macht die SPD das Innenleben der CDU zum Thema. Sie verweist auf Differenzen in der Union über die Schulpolitik: Röttgen habe die Einladung zum Runden Tisch unter innerparteilichem Druck ausschlagen müssen, heißt es. Die Konservativen in der CDU, die schon seinen Atomausstieg kritisieren, seien nun auch über seine Schulpolitik entsetzt. Sie hätten ihn zur Kehrtwende gezwungen, weil sie den Ausverkauf konservativer Werte stoppen wollten.

So schön das auch klingt: Plausibel ist es nicht. Dass es zwischen Röttgen und den Konservativen in der Union wegen der Energiepolitik Spannungen gibt, trifft sicher zu. Diese Schnittstelle wird dem CDU-Landeschef gewiss noch viel Ärger bereiten. Doch mit der Schulpolitik verhält es sich etwas anders. Die CDU vor Ort kann einem Schulfrieden durchaus etwas abgewinnen.

Die CDU ist längst dabei, sich vom dreigliedrigen Schulsystem zu verabschieden, das sie lange hoch hielt. Vor allem die Bürgermeister kleiner Gemeinden aus dem ländlichen NRW sind reformwillig.  Viele haben das CDU-Parteibuch. Ihre Gemeinden zählen überwiegend zu den konservativen Hochburgen der NRW-CDU. Schon jetzt gibt es in den NRW-Kommunen eine Reihe schwarz-grüner Bündnisse. Sie könnten trotz der aktuellen Querelen um die Gemeinschaftsschule nach der nächsten Kommunalwahl deutlich zunehmen.

4 Comments

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  3. Gertrud Theisen Reply

    Eine sehr zutreffende Analyse. Die CDU ist der SPD weitgehend entgegen gekommen. Warum hat die Ministerpräsidentin darauf nicht reagiert? Offenbar aus taktischen Gründen von Rot-Grün fehlte bisher die erwartete Reaktion der Union.Da spielten sicherlich alte Wunden zwischen Fraktionschef Laumann und dessen Vize Laschet eine große Rolle. Solche innerparteilichen Scharmützel sind für einen überparteilichen Schulkonsens völlig ungeeignet.

    Es fehlten bislang klare und eindeutige Reaktionen aus der NRW-CDU. Offenbar sind da einige parteiinterne Kämpfe in Fraktion und Partei noch nicht beigelegt.

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