(uh) In Nordrhein-Westfalen Ministerpräsidentin zu sein, ist nicht leicht. Das Bundesland ist groß. Mit der Regierungschefin verbinden sich viele Erwartungen.


Im Vergleich der Bundesländer hat NRW mit Abstand die meisten Einwohner. Und im EU-Vergleich sogar mehr Einwohner als 20 der 27 EU-Staaten. Wie also profiliert und präsentiert sich die Ministerpräsidentin eines so großen Landes? Und wie positioniert sie das Land?

Keine landespolitische Idee


Wie jeder Regierungschef sollte sie das tun, was kein Minister kann. Sie sollte sich ums große Ganze kümmern. Jeder Minister hat einen begrenzten Aufgabenbereich. Die Regierungschefin sollte die verschiedenen Politikfelder miteinander verknüpfen. Im günstigsten Fall gelingt es ihr, sie unter einem Motto zusammenzufassen, das zu ihr passt, ihre Politik widerspiegelt und in dem sich die Mehrheit der Bürger wieder findet. Rau etwa gelang das mit dem Motto: Versöhnen statt spalten. Seinen Nachfolgern Clement, Steinbrück und Rüttgers gelang das nicht. Ihre landespolitische Idee ist weitgehend vergessen.


Wer hoffte, Hannelore Kraft würde nach ihrer Wahl 2010 den Kern ihrer Politik zum Thema machen, sah sich enttäuscht. Sie plädierte wie viele andere Regierungschefs für mehr Anstrengungen im Bildungsbereich. Vor allem aber tat sie sich als Finanzpolitikerin hervor. Um ihre Bildungspläne zu finanzieren, wollte sie mehr Schulden aufnehmen, als die Verfassung zulässt. Sie glaubte offenbar, so ließe sich politisches Gewicht gewinnen.

Schlagzeilen mit Schulden


Ein Trugschluss. Mit ihrem Schulden-Kurs steht sie ziemlich alleine da. Die SPD-geführten Regierungen in Bremen, Hamburg und Rheinland-Pfalz wie auch die SPD-Finanzminister in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt propagieren Sparsamkeit und planen, ihre Etats zu sanieren. Dagegen macht NRW als größtes Bundesland Schlagzeilen mit seinen Schulden.


Auch in NRW ist es Aufgabe des Finanzministers, die Haushalts- und Finanzpolitik der Regierung darzulegen. Welche Richtung seine Politik nimmt, bestimmt er aber nicht allein. Er braucht die Zustimmung der Regierungschefin. Doch in NRW kam Finanzminister Walter-Borjans lange Zeit gar nicht erst ins Spiel. An seiner Stelle tat die Ministerpräsidentin so, als sei sie der Finanzminister. Monatelang propagierte sie ihren Schulden-Kurs.

Die Initiative verloren


Ein Regierungschef, der die Arbeit eines Ministers macht, läuft Gefahr, im Tagesgeschäft beschädigt zu werden. Genau das erlebte Kraft. Die Öffentlichkeit reagierte skeptisch auf ihre Haushaltspolitik. Auch in der eigenen Partei regte sich Widerstand. Sie wird sie als Schulden-Königin verspottet. Obendrein ist das Land als großer Schuldenmacher abgestempelt. Ein beträchtlicher Image-Schaden.


Auch politisch endete ihr Ausflug in die Finanzpolitik in der Sackgasse. Tatenlos musste sie ertragen, dass die Opposition sie mit Hilfe des Verfassungsgerichts auf den Boden der Verfassung holte. Das Gericht untersagte ihren Schulden-Kurs. Jedermann sah: Kraft hatte die Initiative an die Opposition verloren. Ein Graus für jeden Regierungschef.


Nur ein Anfängerfehler? Sicher ist das nicht. Kraft agierte gegen Warnungen aus den eigenen Reihen. Dort munkelt man, sie wolle immer alles besser wissen und sei weitgehend beratungsresistent. Jedenfalls scheint sie aus dem Haushaltsdesaster nicht viel gelernt zu haben; denn mit dem Etat 2011 setzt sie sich schon wieder dem Vorwurf aus, die Verfassung zu brechen. Die Opposition will erneut klagen, wohl wieder mit Erfolg. Krafts Versuch, sich und das Land über die Finanzpolitik zu profilieren, muss man als gescheitert ansehen.

Zum Statisten degradiert


Die Ministerpräsidentin braucht ein neues Thema, schon, um das alte vergessen zu machen. In der Diskussion um den Atom-Ausstieg wurde sie fündig. Und mit ihr die gesamte SPD-Spitze. Seit drei Wochen spricht Kraft nun über Wirtschafts- und Industriepolitik. Ein Feld, das die NRW-Regierung bisher kaum beackerte.


Nun aber macht die Regierungschefin wieder das, was sie schon in der Haushalts- und Finanzpolitik tat: Sie schlüpft diesmal in die Rolle ihres Wirtschafts- und Energieministers Voigtsberger. Er trat bisher schon kaum in Erscheinung. Nun degradiert ihn die Regierungschefin zum Statisten.


Es ist Kraft, die Sorgfalt beim Atom-Ausstieg, Planungssicherheit für die Unternehmen und Strom zu konkurrenzfähigen Preisen fordert. Sie ist es, die vor der Flucht der stromintensiven Industrie ins Ausland warnt und das Menetel der Deindustrialisierung an die Wand malt. Obendrein plädiert sie dafür, noch Jahrzehnte lang Strom aus Kohle zu erzeugen. Mit diesen Positionen hofft sie wohl, das Vertrauen vieler Arbeitnehmer zu gewinnen und zu bewahren.

Parteiinterner Stellungskrieg


Ob die Rechnung aufgeht, ist noch nicht abzusehen. Doch eines lässt sich schon jetzt erkennen: Im parteiinternen Stellungskrieg der SPD-Funktionäre verschafft ihr das neue Thema etwas Luft. Seit sie mit der Linken kooperiert, um ihre Haushalte durch den Landtag zu bekommen, ist die machtbewusste SPD-Rechte gereizt und irritiert.


Sie argwöhnet seit langem, Kraft drifte immer weiter nach links ab. Mit ihrem Einsatz für die Industrie versucht Kraft, diesem Vorwurf zu begegnen, sich ein wenig von den Grünen abzugrenzen und ein Stück weit in die politische Mitte zu rücken.

Kampf um die Mitte


So richtig festsetzen kann sie sich dort aber nicht. Ihren Ausflug in die Haushaltspolitik stoppte noch die Opposition. Den Vorstoß zur Wirtschafts- und Energiepolitik bremst nun der grüne Koalitionspartner. Instinktsicher nehmen die Grünen Krafts Äußerungen zum Anlass, in die bürgerliche Mitte auszulegen und deren Vorbehalte gegen die Kohle zu bedienen.


Der grüne Fraktionschef Priggen verniedlichte Krafts Einsatz für die Kohle als „Kohle-Romantik“. Die grüne Landeschefin Düker stempelte Krafts Äußerungen als „Ideologie von gestern“ ab, so als wäre die Regierungschefin im vergangenen Jahrhundert zurück geblieben und hätte den Anschluss an die Moderne verpasst. Damit nicht genug. „Das Land von Kohle und Stahl gibt es nicht mehr“, meint Düker. Das klingt so, als müsse man Kraft endlich die Augen öffnen und ihr klar machen, in welchem Land sie lebt.


Und dann tut Priggen der sparunwilligen Regierungschefin und ihrer betulichen SPD-Landtagsfraktion richtig weh. Er kündigt einen harten Sparkurs an. „Wir müssen runter von den Schulden“, sagt er und verweist auf das Urteil des Verfassungsgerichts. Für soziale Wohltaten, wie sie die SPD plane, sei kein Geld mehr da. Der Etat 2012 werde durch zwangsläufige Kosten um 900 Millionen Euro zusätzlich belastet. „Das müssen wir durch Einsparungen auffangen“, sagt Priggen. Auch das ein Beitrag, den Spielraum der Grünen in der Mitte weiter auszudehnen und die Partei noch mehr zu stärken.

Marschrichtung für die kommenden Jahre


Die Ministerpräsidentin hat offensichtlich Probleme, ihrem Kabinett verbindliche politische Linien vorzugeben. Mit seiner Sparankündigung übernimmt es der Fraktionschef des kleinen Koalitionspartners, der rot-grünen Koalition und der Minderheitsregierung schon fast herausfordernd die Marschrichtung für die kommenden Jahre zu weisen.


In der SPD-Fraktion dürfte Priggens Spar-Appell Besorgnisse schüren. Kürzt die Koalition zu viel oder an der falschen Stelle des Etats, könnte sich die Linke gezwungen sehen, den Haushalt 2012 zu blockieren. Den Grünen mit ihren glänzenden Umfrageergebnissen kann das egal sein. Sie könnten mit der CDU Neuwahlen durchsetzen und danach mit der Union eine Koalition schließen.


In der CDU wird darüber schon laut nachgedacht, sogar in Laumanns konservativer CDU des Münsterlandes.

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